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# taz.de -- Fachkräftemangel im Badesektor: Flüchtlinge springen ins kalte Wa…
> Qusay Alkhafaji und Yasar Alansari arbeiten als Rettungsschwimmer in
> Waldkirch. Trotz der Islamdebatten sind sie gern gesehen.
Bild: Sie haben sich angefreundet: Rettungsschwimmer Yasar Alansari (l.) und Qu…
Waldkirch taz | Qusay Alkhafaji steht auf dem Dreimeterturm im Freibad von
Waldkirch. Er holt tief Luft. Der Blick auf den Schwarzwald, die grünen
Berge. Von hier oben kann er den Frieden sehen. Er dreht sich um, schließt
die Augen. Jetzt ist er wieder in Bagdad auf der As-Sarrafia-Brücke. Eine
zerstörte Stadt. 55 Grad Hitze. Der Schweiß perlt von seiner Stirn in den
Tigris. Mit an der Brücke stehen seine Frau und sein anderthalbjähriger
Sohn. Dann der Sprung. Rückwärts. Ein Salto. Luft. Bilder rauschen an Qusay
Alkhafaji vorbei. Die Übernachtfahrt mit dem Schlauchboot. Der
Balkanmarsch. Ungewaschen. Das Ankommen in Deutschland.
Und dann:
Das eiskalte Wasser. Erleichterung. Viel kälter als der Tigris. Qusay
Alkhafaji taucht auf. Im Freibad in Waldkirch. Vier Kinder sitzen auf der
Bank neben dem Becken und klatschen. Etwas skeptisch, mit verschränkten
Armen, steht Yasar Alansari daneben: „Immer die gleiche Show.“ Er nickt.
Gleich geht ihre Schicht los. Yasar Alansari, 22 Jahre alt, und Qusay
Alkhafaji, 27, sind beste Freunde und beide arbeiten in Waldkirch seit vier
Wochen als Rettungsschwimmer.
Waldkirch, das ist eine kleine Stadt im Breisgau. Hier, rund zwanzig
Minuten mit dem Zug von Freiburg, ist die Welt in Ordnung. Keine
Arbeitslosigkeit, intaktes Kleinstadtleben mit belebter Fußgängerzone und
gewachsener Nachbarschaft, die 21.000 Einwohner zählt. Das Freibad im
Stadtteil Kollnau ist der neue Stolz. Früher gab es in Waldkirch sogar zwei
Bäder. Die waren alt. Dann entschied man sich für eines mit modernstem
Standard. Einziges Problem: ausgebildetes Personal finden, um das Bad zu
betreiben.
## Unbekanntes Fachvokabular
In Deutschlands 6.500 Bädern herrscht akuter Fachkräftemangel. Zu Beginn
der Freibadsaison wurden 2.500 unbesetzte Stellen beklagt. Die Deutsche
Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) warnt vor schließenden Bädern und
verkürzten Öffnungszeiten. Zudem könnten immer weniger Kinder schwimmen.
Als die Kanzlerin vor einem Jahr „Wir schaffen das“ ausrief, besänftigte
sie den Wirtschaftsflügel der eigenen Partei mit dem Argument, man brauche
Zuwanderung, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Kann die Lücke in
den Schwimmbädern mit den neuen Einwohnern gefüllt werden?
Die Vermittlung in Waldkirch lief über den Deutschunterricht, den Yasar
Alansari und Qusay Alkhafaji besuchten. Dort erzählten sie der
Deutschlehrerin, dass sie gern schwimmen. Ein paar Wochen später landeten
sie bei Gerhard Bienen, Vorsitzender der DLRG Waldkirch. Ein großer,
kräftiger Herr mit leichtem Akzent: „Technisch haperte es, haben wir aber
hinbekommen.“ Um als Rettungsschwimmer zu arbeiten, mussten die Flüchtlinge
das Rettungsschwimmabzeichen absolvieren: 25 Meter tauchen, mit Kleidung
schwimmen, Rücken, Kraulen, Erste-Hilfe-Kurs. Hinzu kam ein Theorietest, in
dem es um das Verhalten im Freibad geht.
„Das war schwer. Wir kannten ja viele Begriffe gar nicht“, sagt Yasar
Alansari, der vor zehn Monaten von Syrien nach Deutschland kam. Gerhard
Bienen und andere paukten ehrenamtlich Vokabeln und Verhaltensregeln mit
den Flüchtlingen.
## Kein Burkini in Sicht
Natürlich gab es auch in Waldkirch Bedenken. Den ganzen Sommer über gab es
deutschlandweit Meldungen von sexueller Belästigung in Freibädern. Die
rechte Facebookseite „XY-Einzelfall“ listet 160 Vorfälle in diesem Jahr,
von „üblen Sex-Attacken“ war in der Bild-Zeitung die Rede.
Zahlen gibt es bei den Bundesländern nur zu ausermittelten Fällen und die
zeigen bundesweit keine Veränderung in Relation zu den Vorjahren. Und in
Waldkirch? „Hatten wir noch nicht“, sagt Bademeister und Chef Dany Stephan.
Auch einen Burkini hat er noch nicht gesichtet. Im nächsten Jahr wolle man
eine Tafel mit Regeln aufstellen, auch auf Arabisch. Weil eben viele der
Flüchtlinge noch nicht gut genug Deutsch können.
Dass hier vieles anders als im Heimatland läuft, sehen auch Yasar Alansari
und Qusay Alkhafaji. Sowohl in Irak wie in Syrien werden Freibäder nicht
gemischtgeschlechtlich geöffnet. Für beide war das anfangs neu, wie so
vieles, was sie in Deutschland kennengelernt haben. Von der Pfandmaschine,
den Brötchen, dem ganzen Papierkram bis zu den fehlenden Schüssen.
„Das war wie ein Sprung ins kalte Wasser“, sagt Yasar Alansari. Er sitzt
auf der Liegewiese und schaut umher. Ein älteres Pärchen in Badekleidung
küsst sich. „Das ist verrückt“, er zieht die Augenbrauen hoch.
Ein Freund hat ihm erzählt, er habe ein Mädchen getroffen und das beim
ersten Treffen geküsst. Das käme für ihn nicht in Frage. Regelmäßig
telefoniert er mit seiner Mutter in Syrien, die fragt, ob er sich auch
anständig benehme.
## Perspektive: ungewiss
Yasar Alansari ist Alawit, wie auch der Diktator Syriens Baschar al-Assad.
Die Religionsgemeinschaft gehört zur den eher liberalen Auslegungen im
Islam. Der zurückhaltende Syrer trägt ein Tattoo am Oberarm und trinkt auch
manchmal Alkohol. Der „Islamische Staat“ macht mit der Minderheit kurzen
Prozess. Bis jetzt ist die Terrormiliz noch nicht bis zu seiner Heimatstadt
Latakia vorgedrungen. Die Küstenstadt blieb vom Kriegsgrauen des Landes
eher verschont, trotzdem massakrieren andere Dschihadisten und Rebellen
Alawiten auch dort. Unbedingt will er im friedlichen Schwarzwald bleiben.
Er denkt trotzdem viel an seine Heimat. „Erinnerungen sind das einzige
Land, aus dem wir nicht vertrieben werden können.“ Manchmal entsteht wahre
Poesie aus seinem holprigen Deutsch.
Um in Deutschland anzukommen, strengt er sich an. Wochenlang ist er jeden
Tag ins Freibad gegangen, um für die Prüfung zu trainieren. In Syrien hat
er Marketing studiert, hier könnte er sich vorstellen, Physiotherapeut zu
werden oder auch die dreijährige Ausbildung zum richtigen Schwimmmeister
anzutreten. Doch noch ist die Perspektive ungewiss. Auch wenn bei seinem
Hintergrund vieles dafür spricht, dass er bleiben kann, er hat noch keinen
offiziellen Flüchtlingsstatus.
Bei Qusay Alkhafaji sieht es komplizierter aus. Auch seine Interviews für
den offiziellen Flüchtlingsstatus stehen noch aus. Im Irak hat er eine
Familie, die er nach Deutschland holen will. Auf seinem Handy gibt es einen
Ordner mit Tausenden Fotos seines kleinen Sohns, den er noch nie persönlich
gesehen hat. In Bagdad arbeitete er als Rechtsanwalt. Wenn er hier den Weg
vom Abitur bis zum zweiten juristischen Staatsexamen gehen würde, wäre er
bei Berufseinstieg weit über 30. Derzeit unvorstellbar für den jungen
Vater.
Beide wollen jetzt erst mal Deutsch lernen und ihren Job so gut wie möglich
machen. Noch bis Ende September hat das Bad geöffnet. Danach müssen sie
überlegen, wie es weitergeht.
## „Wir müssen auch mal rauswerfen“
Die beiden stehen am Rand des Nichtschwimmerbeckens. Geschreie, Geplansche.
Ein Kind springt immer wieder vom Beckenrand. Yasar Alansari will nur
verwarnen, der Jurist Qusay Alkhafaji ist strenger. „Wir müssen auch mal
rauswerfen“, sagt er. „Die fragen dann immer, warum, und wir erklären.“
Wenn es dazu kommt, wird das mit dem Bademeister abgesprochen.
Yasar Alansari musste schon eine bewusstlose Rentnerin aus dem Wasser
ziehen, da ging es gleich in den Erste-Hilfe-Raum. Ansonsten: Bienenstiche,
Streitereien unter Jugendlichen, Rangeleien am Springturm – Tagesgeschäft.
Viele der Badegäste kennen die neuen Rettungsschwimmer. Besonders Qusay
Alkhafaji ist ein gesprächiger Typ, der im Freibad mit Sonnenbrille den
Rentnern zuwinkt.
Beide fühlen sich im Breisgau absolut wohl, betonen sie immer wieder. Miles
Burger und Pavelos Wacker, ebenfalls Rettungsschwimmer in Waldkirch, stehen
gerade zwischen Abitur und Studium: „Die beiden haben sich schnell
eingelebt.“ Das Arabisch sei hilfreich, sagen sie. Die Zahl der Flüchtlinge
im Bad ist überschaubar, man nehme aber den anderen Badegästen die Angst
vor den neuen Einwohnern. Auch zum Filmschauen haben sich die
Rettungsschwimmer mit Yasar Alansari schon mal verabredet.
## Keine Anfeindungen von rechts
Bei der Landtagswahl im März erreichte die AfD in Waldkirch zehn Prozent.
Fünf Prozent weniger als das Gesamtergebnis in Baden-Württemberg. Yasar
Alansari und Qusay Alkhafaji sagen, sie haben noch nie eine rechte
Anfeindung erlebt.
Auch in ihrer Nachbarschaft gebe es keine Probleme. Yasar Alansari wohnt
ein paar Orte entfernt, allein, Qusay Alkhafaji lebt in einem ehemaligen
Hotel mit anderen Flüchtlingen.
Beide kennen ihre Nachbarn, und ihre Nachbarn kennen sie. Fallen sie
einerseits im Kleinstadtleben auf, gibt es andererseits auch mehr
Interesse, Teilnahme an ihrem Schicksal. Im Breisgau, den Ortschaften mit
Einfamilienhäusern, Vorgärten und schicken Autos, grüßt man sich auf der
Straße.
Wie fast jeden Abend sitzt Qusay Alkhafaji im Garten seiner Unterkunft. Die
beiden Rettungsschwimmer rauchen Wasserpfeife und blicken auf die Kühe vor
den dunkelgrünen Bergen des Schwarzwaldes. Die Sonne geht unter. „Da vorne.
Noch vor den Kühen, da gibt es frische Milch“, zeigen sie. Mit einem
Nachbarshund geht Qusay Alkhafaji abends am Waldrand gern spazieren. Sein
Handy vibriert. Die Nachbarin Jessica hat geschrieben. Sie kommt öfter mal
abends auf einen Tee vorbei und erzählt mit ihm und den anderen
Flüchtlingen, was es Neues in der Nachbarschaft gibt.
Qusay Alkhafaji ist an diesem Abend mit seinem derzeitigen Leben zufrieden.
„Nur mein Sohn und meine Frau müssen noch nach Hause kommen.“
21 Sep 2016
## AUTOREN
Timo Lehmann
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Integration
Schwerpunkt Flucht
Schwimmbad
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Dilek Kolat
Vergewaltigung
Schwerpunkt Flucht
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