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# taz.de -- Debatte Neudefinition des Konservativen: Keine Sonntagsreden mehr
> Anstatt sich weiter an Unisextoiletten und Doppelnamen zu reiben, sollten
> sich die Konservativen der AfD stellen – auch mit Selbstkritik.
Bild: Stopp! Mit der Kritik an gendergerechten Toiletten sollten konservative D…
Gibt es in Deutschland eigentlich redliche konservative Intellektuelle –
solche, die das eigene Denken einer Revision unterziehen? Sie hätten
derzeit einiges zu tun. Denn Empörung und Sorgen sind groß angesichts der
jüngsten Wahlerfolge der AfD, auch unter Konservativen.
Aber vielleicht wäre ein bisschen Abstand ganz gut. Dann sähe man, dass es
an der Zeit ist, über einen konservativen Bildungsroman nachzudenken. Er
müsste beschreiben, was das Konservative hinter sich lassen muss, um nicht
beim Populismus der AfD zu landen.
Erinnern wir uns: Der Bildungsroman der Linken gehört zu den ganz wichtigen
intellektuellen Ereignissen in der alten Bundesrepublik. Er erzählte vom
Aufbegehren um 68 und wie es unter vielen Kompromissen und der
schmerzhaften Aufgabe von Idealen allmählich die Gesellschaft veränderte.
Als „Einwandern in das eigene Land“ hat Antje Vollmer solche komplizierten
Denk- und Lebensbewegungen einmal bezeichnet. Sie umfassten: Abschied von
Revolutionshoffnungen; Abschied von der Vorstellung, einen neuen Menschen
schaffen zu können. Mit diesen Utopieverlusten war eine komplizierte
Trauerarbeit verbunden. Es gab Depressionen. Verratsunterstellungen. Aber
auch eine genaue Aufarbeitung dessen, was falsch gelaufen war – von den
sektenartigen K-Gruppen bis zum Terrorismus der RAF.
Eine vergleichbar ernsthafte Auseinandersetzung mit den eigenen Grundlagen
muss man derzeit bei den Konservativen vermissen.
## Augenzwinkerndes Abarbeiten
Faktisch hat es ja durchaus Entwicklungen auf konservativer Seite gegeben.
Konservative haben die Einigung Europas vorangebracht. Dem traditionellen
Familienmodell wurden zumindest Varianten an die Seite gestellt. Es war ein
sogar sehr konservativer Politiker (auch wenn er nicht so aussah), der die
Wehrpflicht abschaffte. Was aber bis heute fehlt, ist die ernsthafte
gedankliche Einholung solcher Liberalisierungen.
Wo stößt man etwa auf die Figur des konservativen Renegaten, auf jemanden,
der ernsthaft an die Autorität des hierarchisch durchformatierten
Obrigkeitsstaats geglaubt hat – und dann feststellen muss, dass das
gesellschaftliche Zusammenleben mit ihm nicht mehr funktioniert?
Stattdessen gibt es Publizisten, die entweder raunend oder im Gestus, es im
Zweifel doch nicht so gemeint zu haben, Begriffe wie Volk, Nation,
Katholizismus in die Debatten einbringen – und, sobald sie auf Widerstand
stoßen, sich als Märtyrer inmitten angeblich linker Hegemonie aufführen.
Spätestens angesichts der Wahlergebnisse der AfD wirkt das albern. Ebenso
wie das beliebte halb augenzwinkernde Abarbeiten an Unisextoiletten und
weiblichen Doppelnamen. Statt sich an linken Popanzen zu reiben, hätten
konservative Publizisten Wichtigeres zu tun. Ohne ernsthafte
Selbstreflexion bleibt die innere Liberalisierung des Konservativen nämlich
unvollständig und instabil. Und die weithin offenen Flanken zum
Rechtspopulismus treten zutage.
## Was verstehen Konservative unter Kultur?
Wie wollen Konservative es zum Beispiel mit der Kultur halten?
Sonntagsreden, in denen man sich zu Sprache, Klassikern und Traditionen
bekennt, reichen nicht mehr aus in einer Situation, in der im
AfD-Parteiprogramm eine „deutsche Identität“ an der deutschen Sprache sowie
an der „einheimischen Kultur“ festgemacht wird – und Wähler das offenbar
ernst nehmen. „Importierte kulturelle Strömungen“ tauchen bei der AfD als
„ernste Bedrohung für den sozialen Frieden und für den Fortbestand der
Nation als kulturelle Einheit“ auf. Hier zeigt sich, dass das Gerede von
der Kulturnation im Ernstfall keineswegs harmlos ist. Wer in festen
Kulturen denkt, braucht gar nicht die Religionen und die hartgemachte
Differenz zwischen vermeintlichem Abendland und Islam mehr, um „Andere“
auszusondern.
Was aber wäre ein konservatives Verständnis von Kultur, das sich nicht in
solchen harschen Ausgrenzungen erschöpft? Und überhaupt – wäre es nicht
gutes konservatives Denken, über das Eigene zu grübeln, statt nun der AfD
im Grenzschließungswillen hinterherzulaufen und das vermeintlich Fremde
auszustoßen? Konservative Menschen müssen ja Hollywoodkino, italienisches
Essen oder auch Yoga nicht mögen. Aber anerkennen, dass Identitäten in
diesem Land längst etwas Gelenkiges angenommen haben und von allen
möglichen Einflüssen geprägt sind, sollten sie schon.
## Abschied vom vermeintlich Normalen
Ein konservativer Bildungsroman müsste, so wie einst der linke, also auch
Abschiede thematisieren. Den antiliberalen Kern des Konservativen müsste er
hinter sich lassen. Letztlich geht es dabei um den Abschied von der Idee,
dass jenseits des alltäglichen gesellschaftlichen Treibens etwas
Überzeitliches existiert – die Sprache, die Traditionen, der Glaube –, das
uns Heutigen verbindlich sagen kann, wer wir sind und was zu tun ist. Das
gibt es nämlich nicht. Der Einzelne mag in diesen Überlieferungen nach
etwas suchen, was ihm Sicherheit und Lebenssinn bietet; aber er wird immer
mit dem vermitteln müssen, was die anderen Menschen gesucht und gefunden
haben.
Es geht noch um einen anderen Abschied, und der ist ernst zu nehmen: den
Abschied von der Vorstellung, gesellschaftlich definieren zu können, was
normal ist und was also auch nicht normal in diesem Land. Vielleicht ist
dieser Abschied für Konservative genauso schwer, wie es für Linke einst der
Abschied von den Utopien war. Wenn man Interviews mit AfD-Anhängern sieht,
stellt man jedenfalls fest, dass der Abschied von der Autorität des
vermeintlich Normalen – so imaginär es längst ist – für viele Menschen e…
Problem darstellt; oft findet sich hierin die eigentliche Motivation, AfD
zu wählen. Aber er ist nun einmal die Voraussetzung für ein dann wieder
ernst zu nehmendes konservatives Denken, das auf die Bedeutung von Herkunft
und gewachsenen Strukturen hinweist – und aufzeigt, wie solche Konzepte in
der modernen Gesellschaft offen gelebt werden können.
In einem solchen Bildungsroman – und niemand hat ihn als einfach
bezeichnet! – wäre die AfD dann nur eine Episode. Schon seltsame Zeiten, in
denen man den Konservativen dafür die Daumen drücken muss.
7 Sep 2016
## AUTOREN
Dirk Knipphals
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