# taz.de -- LGBTIQ*-Initiative in Berlin: Queere Buntheit gegen Rechts | |
> Die AfD nutzt Homosexualität, um gegen Geflüchtete Stimmung zu machen. | |
> Die Initiative „Keine Stimme den Blauen und Braunen“ hält dagegen. | |
Bild: Mit Homosexuellen versucht die AfD Stimmung gegen Geflüchtete zu machen | |
„Queere Personen sind genauso politisch und unpolitisch wie alle | |
anderen“ – ein Grund für Heiko Großer, die parteiübergreifende, | |
queere Initiative „Berlin braucht uns! Keine Stimme den Blauen und | |
Braunen“ ins Leben zu rufen. | |
Es sei ein Irrglaube, dass Lesben, Schwule, Inter- und | |
Transsexuelle automatisch politisch interessiert oder gar | |
„linksgrün“ ausgerichtet seien, so Großer, der im Vorstand der | |
Berliner Aidshilfe sitzt: „Sie haben die gleichen Ängste und | |
Verhaltensmuster wie alle anderen auch bei Wahlen.“ | |
Beim Thema Flucht sei es etwa die von rechtspopulistischen Parteien | |
geschürte Angst, Privilegien an ankommende Geflüchtete | |
abtreten zu müssen. Auch Homosexuelle würden davon zu „unsagbar | |
nationalistischen“ Denkmustern verleitet, sagt Manuela Kay, | |
Chefredakteurin des lesbischen Magazins L-Mag aus Berlin. | |
Unter manchen von ihnen gebe es auch die Hoffnung, mit rassistischen | |
Positionen mehr Akzeptanz durch die Mehrheitsgesellschaft zu | |
erlangen: „Nach oben buckeln, nach unten treten“ – damit versuchten | |
manche „verblendete Homosexuelle“ ihren Stand zu verbessern, so | |
Kay. | |
## Bewusst wählen | |
Deshalb hat sich die Initiative „Berlin braucht uns!“ zur Aufgabe | |
gemacht, ganz gezielt LGBTIQ* anzusprechen, um sie für den Wahlgang | |
zum Berliner Abgeordnetenhaus am 18. September zu | |
mobilisieren. Laut Initiative soll die Kampagne zu einer | |
eigenständigen Auseinandersetzung mit Inhalten rechter | |
Parteien und einer bewussten Wahlentscheidung bewegen. | |
Mittlerweile zählt das Bündnis 63 Organisationen, Vereine und | |
Gruppen. Erfreut und überrascht zugleich zeigt sich Großer über den | |
breiten Zuspruch – vor allem angesichts der Tatsache, dass die | |
queere Community in Berlin sehr zerstritten sei. Weder hier noch in | |
Deutschland habe es bisher ein solch großes Bündnis von LGBTIQ* | |
gegeben, wenn auch manche Organisationen abgewinkt hätten, weil | |
ihnen die Initiative „zu politisch“ sei. | |
Der Titel der Kampagne „Arsch hoch!“ ist dabei Programm. Bei kaum einer | |
relevanten Veranstaltung hat die Initiative seit ihrer Gründung | |
gefehlt: weder beim CSD und dem lesbisch-schwulen Stadtfest noch bei | |
der antifaschistischen Demonstration „Für eine solidarische | |
Gesellschaft – Gegen rechte Hetze!“ am 30. Juli. | |
Anfang Juli organisierte die Initiative zudem eine | |
Diskussionsveranstaltung, bei der mit großer Beteiligung | |
rechtspopulistische Argumentationsmuster unter die Lupe | |
genommen wurden. | |
## Negative Folgen | |
Was eine parlamentarisch erstarkte AfD für Folgen hätte, darauf | |
verweist die Initiative seit ihrem Bestehen bei jeder Gelegenheit. | |
Die Kampfansage der AfD gegen Gender-Mainstreaming (siehe unteren | |
Kasten), ihr erklärtes Ziel einer „altersgerechten | |
Sexualerziehung ohne Lobbygruppen im Unterricht“ – das heißt | |
unter Ausschluss diverser Sexualitäten – oder die Anpreisung der | |
heteronormativen Familie als einzig richtiger Lebensform und | |
Lösung demografischer Probleme, sind dabei Aspekte aus dem | |
Wahlprogramm der rechtspopulistischen Partei, die kritisiert | |
werden. | |
Den Versuch der AfD, das Thema Homosexualität auch mit Verweis auf | |
eigene homosexuelle Mitglieder aufzugreifen, enttarnen | |
Großer und Kay als gefährliche Strategie: „Das ist ein Versuch, | |
verschiedene Minderheiten gegeneinander auszuspielen.“ | |
Die AfD instrumentalisiere das Thema, um alle Geflüchtete unter | |
den Generalverdacht der Homophobie zu stellen. Zwar herrsche bei | |
manchen LGBTIQ* spätestens seit dem homophoben, terroristischen | |
Angriff in Orlando Unsicherheit. „Die Antwort auf diese Ängste | |
dürfen aber nicht Generalisierung, Pauschalisierung und | |
Ausgrenzung sein“, sagt Großer. | |
Stattdessen müsse man sich mit diesen Bedenken auseinandersetzen | |
und Menschen, die nach Deutschland flüchten, offen begegnen. „Wenn wir | |
das nicht schaffen, dann haben der sogenannte Islamische Staat und | |
die AfD gewonnen“, erklärt Großer. Wo tatsächlich homophobe | |
Einstellungen herrschten, dort helfe Aufklärungsarbeit. | |
## Sexualität der 60er Jahre | |
Widersprüche zwischen wahlstrategischer Selbstdarstellung und | |
tatsächlicher politischer Agenda legt die Initiative auf ihrer | |
Facebook-Seite offen, indem sie das Wahlprogramm der AfD | |
häppchenweise analysiert. Ausgesuchte bildungs- , familien- und | |
sexualpolitische Programmpunkte führen dabei LGBTIQ* schwarz auf | |
weiß vor Augen, dass die AfD für eine homosexuellenfeindliche | |
Politik steht. | |
In puncto Sexualität wolle die AfD „in die 60er zurück“ mit der | |
Privilegierung der heterosexuellen Ehe, der heterosexuellen | |
Familie als Keimzelle der Gesellschaft und der Konzeption von | |
Sexualität als Privatsache: „Wenn es nach der AfD ginge, müssten | |
Homosexuelle ihre Sexualität verstecken“, fasst Großer | |
zusammen. | |
Schwer zu begreifen deshalb, dass eine | |
„Bundesinteressengemeinschaft Homosexuelle in der AfD“ | |
existiert oder Homosexuelle wie Frank Hansel bei der | |
Abgeordnetenhauswahl für die AfD kandidieren. Gegenüber der taz | |
sagt Hansel, dass es der AfD nicht um „Moralfragen oder sexuelle | |
Geschmacksfragen“ gehe, sondern um eine „Beendigung der negativen | |
Diskriminierung von Familien und Kindern“. | |
## Wunsch nach Akzeptanz | |
„Das hat sehr viel mit Selbsthass zu tun“, erklärt dagegen Manuela | |
Kay. Das Bedürfnis, von der Gesellschaft „auf Teufel komm raus“ | |
akzeptiert zu werden, führe zu einer „schizophrenen Haltung“. Der | |
Widerspruch, als homosexuelle Person eine homophobe Politik zu | |
tragen, lasse sich dann mit der eigenen Homophobie von Lesben oder | |
Schwulen, also „dem Hass gegen das eigene Schwul- oder Lesbischsein“, | |
erklären. | |
Bildung und Reflexion sind für Manuela Kay die einzigen Wege, aus | |
dieser Spirale des Selbsthasses zu entkommen. Die Hoffnung auf | |
einen Sinneswandel der Homosexuellen in der AfD gibt sie deshalb | |
nicht auf: „Vielleicht durchlaufen die ja auch irgendwann einen | |
Reflexionsprozess“, sagt sie. „Dann bin ich gespannt, was sie in zehn | |
Jahren über ihr Engagement für diese Partei sagen.“ | |
10 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Volkan Ağar | |
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