# taz.de -- Film über queeres Leben in Berlin: Sag mir, wo die Blumen sind | |
> Der Filmemacher Yony Leyser dokumentiert das subkulturelle Berlin unserer | |
> Zeit und seine linke Szene. Sein Blick ist bemerkenswert. | |
Bild: Freiheit – wie sie sein könnte | |
Berlin taz | Yony Leyser sitzt in einem schwarzen Sessel in der | |
Wilmersdorfer Wohnung des Regisseurs Rosa von Praunheim. Er ist umgeben von | |
Filmplakaten mit Männern, einem Podest mit Dinosaurierfiguren und einer | |
Vitrine mit einer Python. Yony Leyser dreht den Kopf, als er hört, wie sich | |
die Tür hinter ihm öffnet. Ein älterer Herr in Bademantel betritt den | |
zugestellten Durchgangsraum. „Hallo“, sagt der Unbekannte, huscht durch den | |
Raum zur anderen Tür. Yony Leyser runzelt die Stirn, grüßt freundlich | |
zurück. „Ein Exfreund von Rosa“, erklärt der Assistent von Praunheims, der | |
gerade dabei ist, die Kamera auszurichten, die er vor den beiden Sesseln | |
aufgestellt hat. | |
Yony Leyser, dunkle Augen, stämmig gebaut, wartet schon 15 Minuten auf | |
seinen Freund und Regisseur Rosa von Praunheim. Er rollt seine Unterlippe, | |
wippt mit seinen glitzernden Schuhen vor und zurück. Dann steht er auf, | |
dreht sich um. Vor ihm: ein Tisch mit unzähligen kleinen Dingen. Er | |
entdeckt zwei Sonnenblumen in einer Vase, rückt sie zurecht. „Es soll ja | |
schön sein hier.“ | |
Yony Leyser, 31 Jahre alt, Filmregisseur, US-Amerikaner, lebt seit sechs | |
Jahren in Berlin. Mit seinem zweiten Langzeitfilm, „Desire Will Set You | |
Free“, hat er im Sommer dieses Jahres eine experimentelle Perle im | |
deutschen Kino geschaffen: 90 Minuten Rundlauf in der queeren Berlin-Blase | |
der 2010er Jahre. | |
Der bürgerliche israelische Schriftsteller Ezra, gespielt von Yony Leyser | |
selbst, trifft in einer Bar in Schöneberg auf den Russen Sasha. Der blonde | |
Stricher ist erst vor drei Monaten in die Stadt gekommen. Die beiden ziehen | |
durch die Nacht. Es geht in die Szene: in die Clubs Berghain, About Blank, | |
in die Bars Roses und Silver Future. Nina Hagen, Peaches, Rummelsnuff und | |
andere Größen des Berliner Nachtlebens spielen im Film mit. | |
## Rausch, Drogen, nackte Haut | |
Eine Zeitkapsel des Jetzt – gezeigt wird Berlin als Treffpunkt der | |
Feiernden, Berlin als Brücke zwischen Ost und West, klassenlos, als queere | |
Lebenswelt, bestehend aus bunten Rauschbildern mit Drogen und nackter Haut. | |
Eine Projektion Yony Leysers auf Berlin, die aus der queeren Nische der | |
Stadt schöpft, mit allem, was ein Amerikaner am neuen Sehnsuchtsort Berlin | |
vermutet. Umgesetzt ist der Film fast ausschließlich mit anderen | |
immigrierten Ausländern. | |
Fotografiert hat Ali Olay Gözkaya, bekannt aus der Berliner Schule, dessen | |
Ästhetik ruhiger Bilder sich mit aufgedrehten Kostümen und improvisierten | |
Dialogen beißt. | |
Rosa von Praunheim betritt mit Baseballcap und buntem Hemd sein Wohnzimmer, | |
umarmt den jungen Regisseur. Die beiden streiten sich kurz, wie sie vor der | |
Kamera sitzen wollen. „Sei nicht so eine Diva“, sagt Yony Leyser. Er tupft | |
sich mit einem Taschentuch die Stirn. | |
## „Wie läuft dein Sexleben, Yony?“ | |
„Geht los“, ruft der Assistent. Erste Frage: „Wie läuft dein Sexleben, | |
Yony?“ Das Gespräch holpert voran. Es ist als Extra für die DVD des Films | |
geplant. | |
„Es ist manchmal gut, wenn jemand von außen schaut“, sagt Praunheim über | |
Leysers Berlin-Film. Das schärfe den Blick für das Besondere und habe einen | |
höheren dokumentarischen Wert für die Nachwelt. | |
Praunheim selbst filmte in den 70er und 80er Jahren die Subkultur New | |
Yorks: den Big City Underground aus Zeiten von Andy Warhol, die US-Stadt | |
als Magnet für Aufbruch und Umbruch suchende Europäer. | |
## Rosa von Praunheim als Mentor | |
Dieses New York gibt es heute nicht mehr; niemand weiß, wie lange es das | |
von Leyser gezeigte Berlin noch geben wird. Praunheim unterstützte den | |
jungen Regisseur deshalb bei seinen Plänen, das Berlin unserer Zeit mit den | |
Augen eines Amerikaners festzuhalten. Er lud ihn zu seinen privaten | |
Filmabenden bei sich zu Hause ein, stellte ihn anderen Regisseure und | |
Redakteuren vor, die er für die Finanzierung seines Filmes brauchte. | |
Zudem war Rosa von Praunheim ein Fan von Leysers erstem Film. In „A Man | |
Within“ porträtierte Yony Leyser das Leben des Beatschriftstellers William | |
S. Burroughs. Er interviewte John Waters, Patti Smith, Iggy Pop, Gus Van | |
Sant, David Cronenberg – sezierte in Kleinteilen den Charakter des | |
Schreibers, der als Waffennarr seine Frau erschoss und als schwuler | |
Drogenabhängiger in der vorliberalen Ära, den 50er Jahren, zur | |
Aufsässigkeit regelrecht gezwungen war. Yony Leysers Dokumentarfilm wurde | |
zum Kritikererfolg, lief international auf den Festivals. | |
Der Amerikaner sitzt in seiner kleinen Wohnung in Neukölln. Er streichelt | |
seine kleine dicke Katze, die er Pelzer genannt hat. „Ich hatte immer und | |
überall Probleme“, sagt er. Geboren ist er in DeKalb, Illinois. Die | |
Kleinstadt ist benannt nach dem deutschen Baron Johann de Kalb, der im | |
amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gegen die Briten kämpfte und fiel. Yony | |
Leyser selbst hat deutsche Vorfahren. Seine jüdischen Großeltern flohen | |
1936 von Berlin-Pankow in die USA. Ein Teil seiner Familie wurde in | |
Auschwitz getötet. | |
## Partystadt mit Nazi-Vergangenheit | |
Mit dem Titel seines Films, „Desire Will Set You Free“, „Lust macht frei�… | |
will er auch das historische Paradoxon der Partystadt Berlin aufzeigen. Den | |
Titel schnappte er von einem Plakat für eine Party auf. Er beobachtete in | |
Berlin die Nazifetischszene und fragte sich: Wie leichtfertig dürfen die | |
Feiernden mit der Geschichte der Stadt umgehen? „Die Party kann schnell | |
vorbei sein“, sagt Leyser. Schon seitdem er in der Stadt lebt, habe sich | |
vieles verändert. | |
Er habe ein Faible für die 20er Jahre Berlins, sagt der Nostalgiker und | |
macht Musik an. Der dicke Pelzer springt von seinem Schoß. Marlene Dietrich | |
erklingt: „Sag mir, wo die Blumen sind“. Yony Leyser lacht. Manchmal | |
erfülle man eben ein Klischee. | |
Dort, wo er aufwuchs, waren keine Blumen, sagt er. Mit seiner Mutter zog er | |
als Kind von DeKalb in einen Vorort von Chicago. Von allen Schulen flog | |
Yony Leyser, trotz guter Noten. „Ich hatte immer ein Problem mit | |
Autoritäten.“ An der CalArts, der Kunsthochschule in Los Angeles, flog er | |
raus, als er den Direktor beleidigte, studierte dann in Kansas, flog wieder | |
raus. | |
## Deutsch lernen in New York | |
An der diskussionsfreudigen New School in New York City fand er schließlich | |
die Freiheit, die er brauchte. Hier hatten deutsche Exilanten wie Hannah | |
Arendt und Hanns Eisler in den 1940ern gelehrt, hier kam Yony Leyser mit | |
deutscher Kultur in Berührung, sah die frühen Filme von Rainer W. | |
Fassbinder, beschäftigte sich mit der deutschen, mit seiner eigenen | |
Familiengeschichte. Er lernte Deutsch und ging mit einem Austauschprogramm | |
2007 an die Freie Universität nach Berlin. | |
„Das war ein Weckruf. Ich habe es in den USA einfach nicht mehr | |
ausgehalten.“ Weniger war es das Schwulsein, was in New York heute Teil des | |
Mainstreams ist, mehr noch die queere Subkultur Berlins, die sich mit der | |
linken Szene verband. Das zog ihn in den Bann. „Das gibt es in den USA nur | |
noch in ganz kleinem Raum.“ Weit weg von all den Brüchen in seinem | |
Heimatland konnte er hier einen Neustart beginnen: „Ich fühle mich freier | |
in Berlin.“ | |
Als er nach dem Austauschjahr zurück in den USA seinen Dokumentarfilm über | |
William S. Burroughs fertigstellte und seine Festivaltour beendete, | |
entschied er sich 2010 für Berlin. Zu Beginn lebte er in einer | |
Wohngemeinschaft mit anderen Künstlern. Als Fotograf und Schreiber war er | |
für das Vice-Magazin unterwegs, arbeitete in Clubs und rutschte nach und | |
nach in die deutsche Filmszene. | |
## Filmförderung aus vielen Töpfen | |
Das deutsche Filmfördersystem habe seine Vor- und Nachteile, sagt er. | |
„Desire Will Set You Free“ hat Yony Leyser unabhängig produziert. Geld gab | |
es vom Medienboard Berlin-Brandenburg GmbH (MBB), vom ZDF – Das kleine | |
Fernsehspiel und von der Augstein Stiftung. Auch für seinen neuen Film | |
konnte er Geld aus den Filmfördertöpfen bekommen. Er befindet sich gerade | |
in der Postproduktion. | |
Yony Leyser sitzt im Schneideraum. Ilko Davidov muss husten. Er ist blass | |
im Gesicht, der Drehstuhl, auf dem er sitzt, viel zu klein für seinen | |
großen Körper. Er starrt auf zwei Bildschirme vor sich. „Von Punkmusik | |
verstehe ich was, aber die meisten hier kannte ich nicht.“ Er zeigt auf die | |
Bildschirme | |
Ilko Davidov, gebürtiger Bulgare aus Sofia, ist Yony Leysers Cutter. Sie | |
schneiden gerade das neue Projekt. Einen Dokumentarfilm über „Queercore“, | |
einen Teil der Punkbewegung der 80er Jahre, der sich als queer bekannte und | |
die Gesellschaft im Ganzen ablehnte. Der Film trägt den Namen „Punking A | |
Revolution“ und soll nächstes Jahr in die Kinos kommen. Yony Leyser führte | |
fast fünfzig Interviews, sammelte in Archiven – mehr als hundert Stunden | |
Material müssen nun in einer 90-minütigen Version mit passender Narration | |
Platz finden. | |
## Der letzte „Queerfilm“ | |
Ilko Davidov war schon für den Schnitt von „A Man Within“ über William S. | |
Burroughs verantwortlich. Nun flog er von Chicago nach Berlin, um auch an | |
dem neuen Projekt mitarbeiten zu können. Allein mit der Materialsichtung | |
verbrachten die beiden Wochen in den kleinen Räumen der Produktionsfirma in | |
Prenzlauer Berg. | |
Es soll der letzte „Queerfilm“ werden, sagt Yony Leyser. Er braucht mal | |
wieder einen Bruch. „I’m over the queer thing.“ Aber in Berlin will er | |
bleiben. Er will noch ein paar Blumen pflücken. | |
8 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Timo Lehmann | |
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