Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Queere Filme auf der Berlinale: „Nichts Erreichtes ist sicher“
> Fern der Heteronormativität: Der Teddy Award wird 30. Mitgründer Wieland
> Speck über queeres Kino und seine internationalen Herausforderungen.
Bild: Ein Bär, kein Teddy.
taz: Herr Speck, der Teddy Award wird 30. Erinnern Sie sich noch, wie alles
begann?
Wieland Speck: Im schwulen Buchladen Prinz Eisenherz gab es ab 1982 das
Nachtcafé. Filmemacher, Festivalorganisatoren und Publikum diskutierten
dort über die queeren Filme der Berlinale. 1987 habe ich diese Gruppe dann
einfach gefragt: Welcher war der wichtigste Film? Kurz darauf schickten wir
die ersten Awards, damals waren es noch Stoffbären, in Briefumschlägen
raus. Die Preisträger wussten damals noch gar nicht, was der Bär in der
Post bedeutet.
Was war das damals für eine Zeit für den queeren Film?
Es war der Beginn einer neuen Phase. Ende der Siebziger und Anfang der
Achtziger zeigten die Emanzipationskämpfe erste Erfolge, es gab das erste
offen schwule Stadtviertel in San Francisco. Doch dann kam Aids. Und es
ging plötzlich um Bedürftigkeit. Plötzlich mussten sich Schwule um Schwule
kümmern. Das war ein neuer Ansatz für die auf Party getrimmte erste
Freiheitsphase schwuler Männer. Das brachte in der Zeit, in der der Teddy
entstand, starke Filme hervor. Aids hat viele Homosexuelle politisiert.
Sie haben den Award gemeinsam mit dem damaligen Panorama-Leiter Manfred
Salzgeber gegründet, der später an Aids starb. Welche Ziele hatten Sie für
den queeren Film?
Queere Filme haben wir auch vor dem Teddy erfolgreich auf der Berlinale
gezeigt. Nach dem Festival blieb oft der kommerzielle Erfolg aus.
Verleihern waren diese Filme zu nischig, und sie hatten Angst, damit Geld
zu verlieren. Unser Ziel war und ist es, diese Filme auch für den
Mainstream zu öffnen. Das ist uns als Festivalprogrammer und mit dem Teddy
für den europäischen Filmmarkt manchmal gelungen. Pedro Almodóvar etwa
bekam für „Das Gesetz der Begierde“ den allerersten Award. Danach wurde er
berühmt.
Der Teddy wird an queere Filme aus dem gesamten Berlinale-Programm
vergeben. In diesem Jahr hat der Award aber auch ein eigenes Programm.
Genau, [1][es gibt das Jubiläumsprogramm „Teddy30“], in dem wir queere
Geschichte zeigen. Etwa mit der Doku „Before Stonewall“ von 1984. Sie
handelt von der Homokneipe „Stonewall-Inn“ im New York von 1969. Dort kam
es oft zu Razzien, bei denen Schwule mit Lesben tanzten, damit es hetero
aussah. Bis die Leute zurückschlugen – so entstanden die gewalttätigen
„Stonewall“-Aufstände in der Christopher Street. Das war der Anfang der
Nachkriegsschwulenbewegung.
Wie wichtig ist es, eine eigene Geschichte zu haben?
Existenziell. Die queere Bewegung hat bisher keine geschriebene Geschichte.
Jeder Schwule und jede Lesbe fängt quasi wieder von vorn an. Meine
Geschichte etwa begann 1972, als ich zum ersten Mal zum Protestieren auf
die Straße ging. Das war die Zeit nach Rosa von Praunheims kontroversem
Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er
lebt“. Aber es ist auch wichtig, sich anzuschauen, was es davor gab. Das
Teddy-Projekt „Queer Academy“ arbeitet deshalb an einer Filmdatenbank, um
ein queeres Filmgedächtnis zu schaffen.
Für „Teddy30“ wurden einige Filme restauriert.
Aber nicht von uns. Mit „Anders als die Andern“ von 1919 zeigen wir den
ersten schwulen Film der Geschichte, der in der Weimarer Republik zensiert
und zerstört wurde. Zuvor reisten jedoch Kopien in andere Länder. Das UCLA
Film and Television Archive in Los Angeles und Outfest, ein ebenfalls dort
ansässiges LGBT-Filmfestival, kümmern sich seit 2005 um den Erhalt solcher
Queerfilme. Sie finden die Kopien und setzen sie wie ein Puzzle zusammen.
So kommt es, dass in Kalifornien ein deutscher Film von 1919 restauriert
wird. Fast ein bisschen peinlich, dass das nicht in Deutschland geleistet
wurde.
Stellt sich mittlerweile eigentlich so etwas wie „Normalität“ –
Familienleben, Beziehungsalltag – in den Filmen ein?
Das funktioniert vor allem in westlichen Ländern, in denen es eine gewisse
Emanzipation gibt. Aus Ländern, in denen das nicht so ist, kommen erst mal
Coming-out-Geschichten. Außerdem stellt sich immer die Frage: Für wen ist
was normal? Bei der Pressevorführung des französischen Films „Paris 05:59“
etwa haben Leute den Saal verlassen, weil sie eine Darkroom-Szene nicht
aushielten. Das hat mich etwas schockiert, weil dort eine gewisse schwule
Normalität dargestellt wird.
Was ist mit dem Thema Aids?
Aids spielt wieder eine größere Rolle. In den Neunzigern gab es viele Filme
darüber. Danach brauchte das Trauma ein paar Jahre, um so weit verdrängt
oder verarbeitet zu werden, dass man sich jetzt wieder mit etwas Abstand
heranwagt. Der israelische Film „Who’s gonna love me now?“, der auf der
Berlinale läuft, zeigt das sehr gut.
Der Teddy, der Preis und die Aufmerksamkeit sind auch wichtig für
ausländische Beiträge. Wie unterstützen Sie den internationalen Queerfilm?
Aus Afrika zum Beispiel kommen kaum Filme. Es ist schwer, sich dort zu
outen. Eigentlich müsste es für Homosexuelle aus Afrika längst ein Asyl bei
uns geben. 2010 etwa wurden in Ugandas Version der Bild-Zeitung
Homosexuelle mit Foto und Adresse gezeigt, damit die Leute da hingehen und
sie umbringen. Und das haben sie getan. Unter den Getöteten war auch David
Kato, ein wichtiger Schwulenaktivist in Uganda. Zwei Amerikanerinnen haben
damals einen Film über ihn gedreht, als der Mord passierte. Die Doku „Call
Me Kuchu“ hat 2012 den Teddy gewonnen. Seit 2014 vergeben wir im Rahmen der
Teddy-Award-Verleihung den David-Kato-Preis.
Welche Filme kommen aus Ländern, in denen queere Themen häufig noch nicht
öffentlich diskutiert werden?
Aus Südkorea kommt in diesem Jahr die Doku „Weekends“. Dort geht es um das
zehnjährige Jubiläum eines schwulen Männerchors. In Südkorea wandelt sich
alles sehr schnell – der Film zeigt die Fortschritte der
Emanzipationsbewegung dort. Doch oft, wenn ich zur Sichtung für die
Berlinale in asiatische oder auch afrikanische und lateinamerikanische
Länder reise und bei Repräsentanten nach queeren Filmen frage, reagieren
die Leute erst mal verhalten. Sie wollen auf der Berlinale vertreten sein,
aber nicht mit queeren Themen! So ein Festival bedeutet schließlich
Öffentlichkeit.
Der Begriff „queer“ hat sich erst in den vergangenen Jahren herausgebildet
und vereint viele subkulturelle Inhalte. Ist es schwierig, allen Seiten
gerecht zu werden?
Ich überlege manchmal, ob es Sinn machen würde, eine schwule und eine
lesbische Jury zu haben. Beide Seiten haben zwar strukturell gegen
dieselben Sachen zu kämpfen, dennoch sind sie anders geprägt. Jeder hat
erst mal seine eigene Leidensgeschichte. Unterdrückung Homosexueller
beginnt ja in der Kindheit, die bei Jungen und Mädchen anders verläuft,
aber doch in dem Sinne gleich ist, dass beide spätestens in der Pubertät
kapieren, dass sie nicht in ihre Familie passen.
2014 gab es Beschwerden, weil es zu wenige lesbische Filme im Programm gab.
Vergangenes Jahr war bei uns ein starkes für lesbisches Kino, in diesem
Jahr haben wir wieder weniger. Aber es ist wirklich sehr arbeitsintensiv,
Filme mit lesbischem Inhalt zu finden. Obwohl der Prozentsatz von Männern
und Frauen an deutschen Filmhochschulen beinah fünfzig-fünfzig ist, sind
die umgesetzten Filme eher von Männern. Frauen machen mehr Dramaturgie,
Kamera und Produktion. Ehrlich gesagt weiß ich immer noch nicht, woran das
liegt. Ich hoffe, dass die Gleichstellungsinitiative „ProQuoteRegie“ etwas
erreicht.
In diesem Jahr geht der Special-Teddy an Christine Vachon. Sie hat zum
Beispiel Todd Haynes’ „Carol“ produziert, der 2016 für den Oscar nominie…
ist. Wenn Queerfilme für den Oscar nominiert werden, braucht es den Teddy
da überhaupt noch?
Wie man jetzt bei den Oscars sieht, nur weil ein schwarzer Darsteller in
einem Jahr einen Oscar gewinnt, kann es im nächsten Jahr schon sein, dass
keiner mehr nominiert ist. Nur weil ein paar queere Filme nominiert sind,
muss das nicht so bleiben. Unsere Erfahrung zeigt: Nichts Erreichtes ist
sicher. Es braucht daneben auch immer etwas Radikaleres.
Was wünschen Sie sich zum Dreißigsten?
Ich wünsche mir zum Beispiel, dass keine Kinos mehr abgefackelt werden, wie
vergangenes Jahr in Kiew, nur weil dort ein schwuler Film lief. Das
internationale Filmfestival dort war eines der ersten, das die Idee des
Teddy aufgegriffen hat, schon in den späten Neunzigern. Der Preis heißt
dort Sunny Bunny. Sie haben versucht ein Wort zu finden, das ungefährlich
klingt – ähnlich wie beim Teddy. Man muss immer auch mit Tricks arbeiten,
um die Leute dazu zu bringen, queere Filme anzunehmen – und queere Menschen
am Leben zu lassen.
12 Feb 2016
## LINKS
[1] https://www.berlinale.de/de/im_fokus/berlinale_themen/teddy30/teddy_1.html
## AUTOREN
Christine Stöckel
## TAGS
Schwerpunkt Berlinale
Queer
Kino
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Uganda
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Disney
Berlin
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Vereinte Nationen
Schwerpunkt Berlinale
Spike Lee
Schwerpunkt Berlinale
Schwerpunkt Berlinale
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Kino
Gender
Schwerpunkt Krise in Griechenland
Kolonialismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Lesbischer Coming-of-Age-Film: Bedrohung lauert überall
Der norwegische Regisseur Joachim Trier erzählt den Film „Thelma“ als
fantastischen Thriller um unterdrückte Sexualität.
Ugandischer Medienrat verbietet Film: Ein schlechter Witz
Ein niederländischer Film darf nicht in Kampala laufen, da er
„Homosexualität glorifziert“. Ugandas Regierung verfolgt ein
erzkonservatives Wertekonzept.
Musiker Barry Manilow: Outing mit 73
Der Song „Mandy“ gehört zu den größten Erfolgen des US-Sängers. Nun
schreibt Barry Manilow auf Twitter, dass er schwul ist.
Petition der Woche: Ein Nicht-Kuss und seine Folgen
In der Neuverfilmung von „Die Schöne und das Biest“ taucht der erste
schwule Disney-Charakter auf. Konservative fordern: Boykott!
Film über queeres Leben in Berlin: Sag mir, wo die Blumen sind
Der Filmemacher Yony Leyser dokumentiert das subkulturelle Berlin unserer
Zeit und seine linke Szene. Sein Blick ist bemerkenswert.
Doku über Kinder von Same-Sex-Paaren: Gewöhnlich und unperfekt
Der Kinofilm „Gayby Baby“ zeigt die Kinder von gleichgeschlechtlichen
Eltern in Australien – ihren Alltag, ihre Konflikte, ihre Wünsche.
NGOs bei UN-Aidskonferenz: Muslime blockieren LGBT-Gruppen
Auf Druck islamischer Länder sind LGBT-Gruppen von einer UN-Aidskonferenz
ausgeschlossen worden. Nun gibt es Protest aus Europa und Amerika.
Christine Vachon über queere Filme: „Okay, ich bin ja nur die Dekopflanze“
Seit Jahren engagiert sich die lesbische Filmproduzentin Christine Vachon
für den Queerfilm. Ein Interview über Fairness im Geschäft und den Erfolg
von „Carol“.
Spike Lees neuer Film „Chi-Raq“: „No Peace! No Pussy!“
Lysistrata in Chicago: „Chi-Raq“ erzählt von einem Sexstreik für den
Frieden. Eine Gruppe Frauen versucht so, einen Bandenkrieg zu beenden.
Berlinale, Tag 4, Was bisher geschah: Körperkino und Diskursfreude
„Woche der Kritik“ heißt eine diskursfreudige Gegenveranstaltung zur
Berlinale. Dort wurde extremes Körperkino gezeigt.
Berlinale-Rezension „Midnight Special“: Mit biblischem Unterton
Der US-amerikanische Regisseur Jeff Nichols, Held des Independent-Kinos,
dreht mit „Midnight Special“ erstmals einen Science-Fiction-Film.
Film „Stonewall“: Jetzt schon ein historischer Flop
Roland Emmerich will mit „Stonewall“ der Geschichte der Schwulenbewegung
ein Denkmal setzen. Seine Erzählung gefällt nicht allen.
Busan Film Festival in Korea: Cineastischer Mittelfinger
Das Filmfestival im südkoreanischen Busan ist das relevanteste in Ostasien.
Der 20. Jahrgang schwächelte, aber es gab dennoch Highlights.
All genders welcome?: Noch lange nicht normal
Dass nicht jeder auf dieselbe Weise liebt, steht in Hamburgs Schulen auf
den Lehrplänen – aber in den Köpfen hat sich noch nicht viel verändert.
Kommentar zum griechischen „Nein“: Geschichte wird gemacht
Der Ausgang des Referendums ist eindeutig. Jetzt ist es vor allem an der
EZB, gemeinsam mit der griechischen Regierung Lösungen zu finden.
Zum Abschluss der Berlinale: Grenzenlose Bilder
Der Preis für „Taxi“ ist verdient. Regisseur Panahis Film findet
Trampelpfade zu anderen Berlinalebeiträgen – ein Netz der Metaerzählungen
entsteht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.