# taz.de -- Doku über Kinder von Same-Sex-Paaren: Gewöhnlich und unperfekt | |
> Der Kinofilm „Gayby Baby“ zeigt die Kinder von gleichgeschlechtlichen | |
> Eltern in Australien – ihren Alltag, ihre Konflikte, ihre Wünsche. | |
Bild: Familienalltag in „Gayby Baby“: Matt mit seinen lesbischen Eltern | |
In Australien ist die Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare in etwa | |
der Hälfte der Bundesstaaten gestattet, darunter Victoria, Tasmanien und | |
New South Wales in der südöstlichen Ecke des Landes. Hierher kommt auch die | |
Filmemacherin Maya Newell, die als Tochter zweier lesbischer Mütter selbst | |
ein „gayby“ war (ein Begriff, der laut Auskunft der Regisseurin als | |
Eigenbezeichnung der Kinder selbst entstand). Diese persönliche Erfahrung | |
war auch Motivation erst für die Fernsehdoku „Growing Up Gaby“ (2013) und | |
dann für diesen langen Kinodokumentarfilm. | |
Doch es war weder Groll auf eine verkorkste Kindheit noch Missionseifer für | |
das Konzept Regenbogenfamilie, die die junge Regisseurin in das aufwendige | |
und per Crowdfundingkampagne kofinanzierte Filmprojekt trieb. Viel schwerer | |
wog für sie das (auch durch Lisa Cholodenkos Spielfilm „The Kids Are All | |
Right“ getriggerte) Fehlen einer angemessenen medialen Repräsentanz und der | |
Wunsch, die Normalität des Regenbogenalltags zu zeigen. | |
Für ihren Film hat Newell in einem breiten Castingverfahren vier Kinder im | |
Alter zwischen elf und zwölf Jahren ausgewählt, dem Alter, wo viele die | |
Konflikte ihrer Lebensweise mit den gesellschaftlichen Standards erstmals | |
deutlich und bewusst wahrnehmen. Dabei haben die Helden – und nur eine | |
Heldin – zusätzlich zu den alterstypischen Prüfungen der Vorpubertät | |
allesamt besondere Widrigkeiten zu bewältigen: Gus etwa kämpft mit zwei | |
Übermüttern, die ihm mit geballter Frauenfriedensmoral seine Leidenschaft | |
für Wrestling abgewöhnen wollen. | |
Ebony lebt mit vielen Geschwistern in einem engen übergriffigen | |
Messie-Gewusel. Graham wurde von seinen Vätern adoptiert, als er mit fünf | |
Jahren noch nicht sprechen konnte, und wird nach einem Umzug auf die | |
konservativen Fidschi-Inseln von ihnen zu Zwecklügen hinsichtlich der | |
Familienkonstellation gedrängt. Hart ist es auch für Matt, der damit | |
klarkommen muss, dass sich seine lesbischen Eltern ausgerechnet einer | |
fundamentalistischen Kirche angeschlossen haben – mit den entsprechenden | |
Folgen. | |
Großer Stoff also für klassisch konfliktorientiertes Dokukino. Doch leider | |
– und über die Gründe lässt sich nur spekulieren – zielt die Arbeit des | |
Filmteams durch die Montage (Schnitt: Rochelle Oshlack) in eine ganz andere | |
Richtung und hat aus der Fülle von insgesamt 100 Stunden gedrehtem Material | |
eine illustrierte Tonbildschau gebastelt, wo – zwischen allzu kurzen | |
beobachtenden Szenen – die Kinderstimmen aus dem Off passgenau gestutzte | |
Kommentare zu musikunterlegten Bilderstrecken abgeben. | |
So verschenkt der Film seinen starken Stoff mindestens zum Teil. Und auch | |
erschreckende Einblicke in eine Welt, wo Zwölfjährige sich mit Castings für | |
Schulplätze bewerben müssen und Grundschullehrerinnen mit | |
Gouvernantenmethoden ihr Reich beherrschen, bleiben Illustration. | |
Newell hat sicherlich recht mit ihrer Intention, einmal ganz gewöhnlich | |
unperfekte Regenbogenfamilien im Film zu zeigen. Das Ergebnis dürfte dabei | |
mit dem gezeigten dauernervenzehrenden Alltag das Publikum quer zur | |
jeweiligen Regenbogenaffinität spalten: nämlich in Familienmenschen, die | |
sich in den dargestellten Konflikten anteilnehmend wiedererkennen und am | |
Film begeistern, und diejenigen, denen die eigene Kindheit genug Familie | |
für ihr Leben war – und sie nun konsequenterweise auch nicht auf der | |
Leinwand reaktiviert sehen wollen: fernbleiben! | |
Trotz aller filmischen Schwächen dürfte „Gayby Baby“ im pädagogischen | |
Bereich durchaus praktische positive Wirkung zeigen. Schließlich ist die | |
Elternschaft von Same-Sex-Paaren in der politischen Realität gerade wieder | |
Hauptkampfplatz alter und neuer rechter Ideologen. Auch in Australien | |
sorgten vergangenen Sommer einige geplante Schulaufführungen für heftigen | |
Wirbel. | |
22 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Silvia Hallensleben | |
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