# taz.de -- Schwule Palästinenser in Israel: „Wir wollen kein Pinkwashing“ | |
> Die Dokumentation „Oriented“ erzählt vom Leben junger Schwuler in Tel | |
> Aviv. Der Clou: Sie sind Palästinenser mit israelischem Pass. | |
Bild: Die Gruppe, die den Film realisiert hat, nennt sich „Qambuta“. Ihr ge… | |
TEL AVIV taz | Wie viele Juden kommen denn?“, fragt Naim Jiryes seinen | |
Freund Khader Abu-Seif. | |
Die jungen Männer sitzen zu dritt mit Fadi Daeem um einen Wohnzimmertisch | |
und planen eine Party für Araber in der Stadt. Alle drei tragen Vollbärte | |
und kurze Hosen, und alle drei sind schwul. Natürlich würden Juden dabei | |
sein, sagt Abu-Seif und will nicht verstehen, dass es deshalb ein Problem | |
gibt. | |
„Aber es ist unsere Party“, wirft Daeem ein. „Werden sie ein Viertel | |
ausmachen, die Hälfte oder mehr?“, hakt Jiryes nach. Abu-Seif spielt | |
verlegen mit einem T-Shirt, legt es wie ein Tuch um den Kopf, versteckt | |
sein Gesicht darunter. „Es sind Linke, die sind für unsere Sache“, sagt er | |
dann störrisch. „Die kommen nicht, um uns zu bombardieren und um ‚Viva la | |
Occupation‘ zu rufen.“ Daeem kontert sarkastisch: „Nein – die kommen, um | |
uns zu retten.“ | |
Drei israelische Araber, Mitte zwanzig, drei Schwule in Tel Aviv. Abu-Seif, | |
Daeem und Jiryes sind die Protagonisten von Jake Witzenfelds Dokumentarfilm | |
„Oriented“, was beides meint: Orient und Orientierung. | |
Es geht um Identität, um die nationale Zugehörigkeit zum palästinensischen | |
Volk, obschon alle drei israelische Staatsbürger sind, und um ihre | |
Homosexualität. „Wir wollen an die Öffentlichkeit mit unserer Agenda für | |
ein verändertes Genderbewusstsein und eine andere Sexualität“, sagt Daeem. | |
Ihre Zielgruppen sind die eigene Gesellschaft, die Palästinenser in Israel, | |
die fast ein Fünftel der Bevölkerung ausmachen, und die Palästinenser im | |
besetzten Westjordanland und Gazastreifen. Es geht um die Leute, die sich | |
„immer fast ausschließlich mit der Besatzung beschäftigen“, was Daeem nic… | |
abtun will. Gegen die Besatzung zu kämpfen sei „richtig und berechtigt“, | |
aber es dürfe trotzdem nicht das einzige Thema bleiben. „Es gibt anderes“, | |
sagt er, und „es gibt Grund für Kritik an uns selbst, an unseren Familien | |
und unserer Gesellschaft“. | |
## Gefängnis, Auspeitschen, Tod | |
Tel Aviv gilt als das Schwulenparadies des Nahen Ostens. Während im | |
Westjordanland Homosexuellen Gefängnis droht und im Gazastreifen | |
Auspeitschen oder gar der Tod, erklärte GayCities.com Tel Aviv vor wenigen | |
Jahren zum weltweit besten Ziel für den Regenbogentourismus. Hier lässt es | |
sich leben im liberalen Sektor von Israel, bei sommerlichen Temperaturen | |
fast das gesamte Jahr über und dem Meer mit mehreren hundert Metern eigenem | |
LGTB-Strand. | |
Schwierig wird es für die drei Helden in dem Film „Oriented“ und für die | |
Hunderte, vielleicht Tausende anderen palästinensischen Schwulen im Land, | |
sobald das Wort „Palästinenser“ fällt. „Würde ich auf meiner Arbeitsst… | |
sagen, dass ich mich als Palästinenser definiere, flöge ich heute noch | |
raus“, sagt Daeem. Er hat sich die Augenbrauen gepierct und trägt einen | |
Ohrring, aber das stört niemanden in dem Krankenhaus, wo der studierte | |
Krankenpfleger arbeitet. „Ich habe einen israelischen Pass, aber ich fühle | |
mich nicht als Israeli“, sagt er. | |
Auch innerhalb der LGTB-Gemeinde gibt es Widerstand gegen die, die | |
offiziell als israelische Araber registriert sind, sich selbst aber eher | |
als Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft definieren. In einer | |
Szene von „Oriented“ hält Abu-Seif einen Vortrag im Tel Aviver Gay-Zentrum. | |
Thema ist er selbst, sein Outing, seine Beziehung zu einem jüdischen | |
Israeli, ihre politischen Konflikte und ihr Alltag. Das Publikum ist nur | |
bedingt solidarisch mit dem jungen Schwulen. „Was willst du“, fragt einer | |
der Zuhörer erbost darüber, dass Abu-Seif andauernd von „Palästina, | |
Palästina, Palästina“ rede. Willst du, dass wir (die Juden) von hier | |
abhauen?“ Abu-Seif schüttelt den Kopf. Ihm ginge es nur darum, wahrgenommen | |
und respektiert zu werden. | |
## Nicht der erste Film | |
„Oriented“ ist für die drei Freunde nicht der erste Film. „Qambuta“, so | |
nennen sie ihre kleine Gruppe, der auch ein paar Frauen angehören und die | |
sich als gewaltlose kulturelle Widerstandsbewegung gegen Gender- und | |
nationale Diskriminierung definiert. Mit einem Kurzfilm, der im Internet | |
läuft, will „Qambuta“ an die Nakba erinnern, den Beginn der | |
palästinensischen Flüchtlingskatastrophe gleich nach Gründung des Staates | |
Israel 1948, als Zigtausende Menschen in den Libanon, nach Syrien, | |
Jordanien, in das Westjordanland oder den Gazastreifen fliehen mussten. | |
Daeem betrachtet sich selbst auch als Flüchtling, obwohl seine Familie nach | |
kurzer Flucht in den Libanon wieder zurückkommen konnte, nur nicht wieder | |
in ihr Haus, in das zwischenzeitlich jüdische Immigranten gezogen waren. In | |
einem Kurzfilm von „Qambuta“ trägt Daeem einen Schlüssel um den Hals, | |
Symbol dafür, dass die Flüchtlinge auch 70 Jahre nach der Vertreibung ihre | |
Heimat und Häuser nicht aufgeben wollen. | |
„Es ist mein Recht, mich so zu definieren, wie ich es will“, sagt er, „das | |
sollte niemandem Angst machen oder ihn dazu bringen, mich zu hassen“. | |
Für die drei Freunde ist die Positionierung für ihr Volk gerade als schwule | |
Araber wichtig. „Die Leute sehen den Film“, erklärt Daeem, „und dann sag… | |
sie: ‚Ach das sind die palästinensischen Schwulen, die leben in Tel Aviv, | |
gehen auf Partys, tanzen, lassen es sich gut gehen, warum also beschweren | |
sie sich?‘“ | |
Gleichzeitig kommt die Kritik aus der eigenen palästinensischen | |
Gesellschaft, die die Schwulen als zu israelisch betrachtet, zu angepasst | |
an die Gesellschaft der Besatzer. | |
## Urlaubsparadies für Schwule und Lesben | |
„Pinkwashing“ werfen Kritiker der Regierung in Jerusalem und ihrem | |
PR-Apparat vor. Die internationale Vermarktung des Landes als | |
Urlaubsparadies für Schwule und Lesben, eine Normalisierung der Besatzung | |
auch auf dem Rücken der schwul-lesbischen Palästinenser, Trennanlagen und | |
Siedlungsbau im Westjordanland verschleiert vom rosa Vorhang liberalen | |
Lebens und sexueller Freiheit – nicht mit Daeem. „Wir wollen kein | |
Pinkwashing.“ | |
Regisseur Jake Witzenfeld, der über einen Mitbewohner in seiner Tel Aviver | |
WG auf die Amateurfilmer von „Qambuta“ stieß, lockte es, die Geschichte der | |
drei schwulen Araber aus Tel Aviv zu erzählen. „Am Ende geht es um die | |
Menschen“ sagt der jüdische Immigrant aus England. Er sei „komplett | |
gelangweilt“ gewesen vom üblichen Nahost-Diskurs, bis er „diese Jungs | |
getroffen“ habe. | |
„Wir leiden nicht alle auf dieselbe Weise unter der Besatzung“, meint | |
Daeem. Der eine sei ein Kämpfer, der andere mehr Opfer. „Wir repräsentieren | |
niemanden“, setzt Jiryes fort, der sich als „Palästinenser, Vegetarier, | |
Atheist und Feminist“ vorstellt. Während der Filmaufnahmen outet er sich | |
vor seiner Familie und Freunden. „Es geht einfach um beides“, erklärt er, | |
„mal wiegt die sexuelle Identität schwerer, mal die nationale“. | |
## Ganz normale Leute | |
Den Film findet er wichtig, weil er palästinensische Schwule, „ganz normale | |
Leute, die von ihren Familien geliebt werden“, wie Abu-Seif in dem Film | |
sagt, auf die Leinwand bringt. Das Motiv „schwuler Palästinenser liebt | |
schwulen Israeli“ taucht zwar in Spielfilmen, wie zuletzt in „Out in the | |
Dark“, auf, davon abgesehen sind palästinensische Homosexuelle aber kaum | |
präsent in der nahöstlichen Kulturszene. | |
Als „Diskussionsstarter“ empfindet Witzenfeld seinen Film. „Wachrütteln�… | |
will er, den Zuschauer 86 Minuten lang in die Welt von Abu-Seif, Daeem und | |
Jiryes führen. „Es geht nicht darum, anschließend eine Petition zu | |
unterschreiben oder für eine gute Sache zu spenden.“ Zwischen ein bis drei | |
Vorführungen finden täglich statt, „auf allen Kontinenten, nur nicht | |
Afrika“. Gemeindezentren, jüdische oder arabische Kulturveranstaltungen, | |
Filmfestivals – „wir stehen jederzeit bereit, uns per Skype | |
dazuzuschalten“, sagt Witzenfeld, der auch mal nachts um drei vor dem | |
Rechner sitzt, um „mit einer Handvoll Zuschauern den Film zu diskutieren“. | |
Abu-Seif ist in diesen Wochen selbst unterwegs, um „Oriented“ in den USA zu | |
promoten. Geplant ist, laut [1][Webseite,] „die weltweite digitale | |
Verbreitung im Juni 2016“. Die Rückmeldung sei großartig, meint Witzenfeld, | |
nur müsse er sich regelmäßig der Frage stellen, wie ein „guter, weißer, | |
jüdischer Heterojunge“ ausgerechnet einen Film über schwule Araber macht. | |
„Wer Israel liebt, der sollte es kritisieren“, sagt er, und Daeem | |
kommentiert übertrieben abfällig: „You selfhating Jew.“ | |
5 Apr 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.orientedfilm.com/ | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
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