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# taz.de -- Muskulöse Körperlichkeit: Gelobtes schwules Land
> Solange es genügend schöne Menschen, Sonne und Party Locations gibt,
> lassen sich schwule Touristen von der einen oder anderen Bombe nicht
> abschrecken. Sie reisen gerne nach Israel
Bild: Totes Meer? Ach was, es lebt!
Dem israelischen Geheimdienst ist in der Regel nichts Menschliches fremd -
aber auch er ist irritierbar: "Sie sind vom israelischen Ministerium für
Tourismus eingeladen, zu einer schwulen Pressereise?", fragt ungläubig die
Dame am Flughafen Berlin-Schönefeld, Sonder-Terminal C für Reisen nach
Israel. Nach rund zwei Stunden Befragungen und Sicherheitschecks setzt sich
die Boeing "El-Al" in Bewegung, eskortiert von deutschen Beamten mit echten
Maschinenpistolen.
Endlich hebt das Flugzeug ab. Nun sind die Passagiere auf die
Zuverlässigkeit des Skymarshalls angewiesen, der auffällig unauffällig in
der Business Class sitzt. Klein und drahtig, damit er notfalls in der
Kabine ungehindert agieren kann. Er sieht so aus, als brauchte man sich um
seine Kompetenz keine Sorgen zu machen. Und auch so, als ob er gerade einem
Hochglanzmagazin für gleichgeschlechtliche Lebensweisen entsprungen sei.
Dennoch ist das hier alles andere als ein Flug nach Gran Canaria.
Der "Travelguide" vor Ort in Israel ist Modell-Athlet und Offizier der
israelischen Armee. Er heißt Karl und ist selbstverständlich schwul. Israel
ist in Bezug auf Homosexualität nicht nur das liberalste Land im Nahen und
Mittleren Osten, was nun wirklich kein Kunststück ist, sondern auch
weltweit. Dementsprechend sind Schwule und Lesben in der Armee akzeptiert,
und wer sich dem martialischen Soldatentum nicht aktiv zugeneigt fühlt,
geht eben in die "Intelligence".
Homos "are welcome" in Israel - und das Ministerium für Tourismus versucht
schwule Touristen anzulocken, auch weil sich unter Reiseveranstaltern
herumgesprochen hat, dass diese Zielgruppe nicht nur kaufkräftig und
konsumfreudig, sondern auch völlig resistent gegen Terrorbedrohungen ist.
Sie ist Terror gewohnt und lässt sich von der einen oder anderen Bombe
nicht abschrecken, solange es ausreichend schöne Menschen, Sonne und Party
Locations gibt.
So versucht zum Beispiel auch die Türkei in Zeiten der PKK-Intifada, Homos
anzulocken: mit Anzeigen, die eine historische Skulptur des Priapos mit
steinernem XL-Gemächt zeigen. Dennoch ist eine schwule Werbekampagne, die
vom israelischen Tourismusministerium zusammen mit der Gay-Rights-Gruppe
Aguda organisiert wurde, jüngst von religiösen Parteien heftigst kritisiert
worden. Schwule Pärchen vor der Klagemauer entsprechen nicht dem Geschmack
der ultraorthodoxen Schas-Partei und der Nationalen Union. Im Ergebnis
ruderte Tourismusminister Jitzhak Aharanowitsch zurück und distanzierte
sich von der Kampagne. Es gibt viele Israel, was in der Kurzformel "In
Haifa wird gearbeitet, in Jerusalem gebetet und in Tel Aviv gelebt" zum
Ausdruck kommt.
Für schwule Touristen empfiehlt sich Jerusalem daher nur als Tagesausflug -
und das nicht nur, weil es dort nur eine einzige Homo-Bar gibt. Die Stadt
ist das Epizentrum des religiösen Wahns. Durch die engen Gassen der
Altstadt ziehen täglich Prozessionen mit Gläubigen aus aller Welt. Mit
geschulterten Kreuzen und Rosenkränzen in der Hand marschieren sie zum
Beispiel nach Golgatha, wo jede christliche Kirche ein Eckchen mit Schrein
reserviert hat: Armenier, Katholiken, Orthodoxe und wie sie alle heißen.
Man kann Wiener Schnitzel bei den Malteser-Kreuzrittern essen oder Falafel
im muslimischen Viertel, die Al-Aksa-Moschee bestaunen und an der
Klagemauer mit Papp-Kippa auf dem Kopf über Gott und die Welt nachdenken.
Als schwuler Tourist kann man das alles besichtigen, man sollte sich nur
nicht offen und selbstbewusst als solcher zu erkennen geben, denn sonst
leistet man einen unfreiwilligen Beitrag zum Weltfrieden. Die orthodoxen
Gläubigen des Planeten eint nicht die Liebe zu Gott, sondern der Hass auf
Homosexuelle. So endete im letzten Jahr der ambitionierte Versuch, einen
"Gay Pride" in den Straßen Jerusalems zu veranstalten, in einem
Fußballstadion, das in einen Hochsicherheitstrakt verwandelt wurde. Zuvor
hatten orthodoxe Juden Autos angezündet, es gab diverse Bombendrohungen.
Davor mussten sogar die Sicherheitskräfte des säkularen Staates Israel
kapitulieren.
Sodom und Gomorrha liegt denn auch eher in Tel Aviv, andere nennen es das
"San Francisco des Nahen Ostens". Die meisten Schwulen und Lesben des
Landes leben hier. Der Konsens innerhalb der "Blase" Tel Aviv lautet: Wir
wollen mit diesem ganzen Wahnsinn nichts zu tun haben und jeden Tag
genießen - es könnte schließlich der letzte sein. Genauso ist Tel Aviv. In
der Evita-Bar, einer Mixtur aus Restaurant und Club, erzählt ein Israeli,
während im Hintergrund "Dschingis Khan" läuft - heute ist Grand-Prix-Party
-, wie sie damals auf der Dachterrasse mit Freunden zusammengesessen
hatten, um bei Cocktails die Ankunft der irakischen Scud-Raketen zu
beobachten. Nun ist es Ahmadinedschad, der von Iran aus Israel dem Erdboden
gleichmachen will, die Nachbarn ringsum sind darauf erpicht, die Bewohner
von Tel Aviv ins angrenzende Mittelmeer zu treiben.
Bis dahin geht man lieber an den Strand, um zu schwimmen und zu feiern,
dass man lebt. An der endlosen Strandpromenade Tel Avis ist am Abend die
halbe Stadt auf den Beinen, ein "fancy" Restaurant mit
mediterran-internationaler Küche reiht sich an das nächste, an den
Strandbars genießt man kühle Drinks zu kühlender Meeresluft. Schwule sieht
man überall, vor allem am Hilton Beach - seit Jahrzehnten bevorzugter
Übernachtungsort der Flugbegleiter dieser Erde. Gleich neben dem Hilton und
oberhalb des Strandes befindet sich ein weitläufiges "Cruising Areal". Wer
dorthin mit dem Taxi fährt, wird vom russischen Chauffeur mit großer
Selbstverständlichkeit gefragt: "How do you like israelian dicks?"
Die schwulen Tempelanlagen Tel Avivs heißen Oman, Vox und TLV. Clubs, in
denen muskulöse Körperlichkeit angebetet wird. Man glaubt hier an die
Schönheit, denn wie die Religion in Jerusalem ist sie in Tel Aviv zu Hause.
Pilger aus der ganzen Welt, ob aus Berlin oder New York, kommen hierher, um
sie bei wummernden Beats und Bässen anzubeten und auch zu berühren. Denn
niemand hier hat Zeit zum Verschwenden übrig, jeder Augenblick ist wertvoll
und wird genutzt, die Wege, die zueinander führen, sind kurz. Und auch wenn
man aus Deutschland kommt, will sich wirklich niemand mit einem über
Auschwitz unterhalten.
Ein absolutes Muss nicht nur für den schwulen Israel-Touristen ist ein
Ausflug zum Toten Meer. Mit dem Auto fährt man ab Jerusalem immer abwärts
bis zum tiefsten Punkt der Erde. Mitten durch Westjordanland, vorbei an
Militär-Checkpoints, vorbei an Mauern und Stacheldrahtzäunen, hinter denen
sich jene Gebiete befinden, die man als Schwuler wenn dann nur inkognito
besuchen sollte: Lebensgefahr. Doch auch schwule Palästinenser, die diesen
Zaun in Richtung Israel überwinden, um sich vor den (Ehren-)Mord-Gelüsten
ihrer Familie in Sicherheit zu bringen, sitzen weiterhin in der Patsche:
Sie werden von den israelischen Sicherheitskräften mit Argusaugen
beobachtet, weil man befürchtet, dass sie von Gaza oder Hebron aus
"ferngezündet" werden könnten. Nur mit einem umgeschnallten Bombengürtel
könnten sie die Ehre ihrer Familie wiederherstellen und doch noch ins
Paradies gelangen. Sie sind verloren, ähnlich wie jene Beduinen, die in
vermüllten Siedlungen am Rande der Autobahn hausen: Sie können nicht mehr
wandern, weil die Grenzen überall dicht sind.
Das Tote Meer trocknet aufgrund des industriellen Rohstoffraubbaus seiner
Anliegerstaaten aus, aber noch funktioniert es wie der biblische See
Genezareth: Tatsächlich reißt es einem bei Eintritt die Beine nach oben,
und man schwimmt wie von alleine auf der Wasseroberfläche. Ertrinken geht
nicht. Eine Reisegruppe mit amerikanischen Juden aus Wisconsin kann es
nicht glauben und singt aufgekratzt "Hava Nagila". Israel ist ein total
verrücktes Land. Doch die Schwulen können sich hier so sicher fühlen wie in
Abrahams Schoß. Ein Wunder.
28 Jul 2007
## AUTOREN
Martin Reichert
## TAGS
Palästinenser
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Der Clou: Sie sind Palästinenser mit israelischem Pass.
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