# taz.de -- Hamburger Eckkneipen im Dokumentarfilm: Zwischen Seoul und St. Pauli | |
> Die Reihe „Dokland Hamburg“ ist fester Bestandteil der dortigen | |
> Dokumentarfilmwoche und widmet sich gerne Lokalpatriotischem. | |
Bild: Ausgehend von einer Marginalie, den Sparclubs, nähert sich „Manche hat… | |
BREMEN taz | Männer, die durch den Schnee in den bosnischen Bergen | |
stampfen; Impressionen vom Großstadtleben in Südkorea; Seebilder von einem | |
Sturm auf dem Atlantik; Todesmeldungen aus einem Dorf im südlichen | |
Brandenburg: All das würde man auf den ersten Blick kaum erwarten in einer | |
Programmschiene namens „Dokland Hamburg“. Die ist auch wieder Teil des | |
Programms der diesjährigen, inzwischen 13. „Dokumentarfilmwoche Hamburg“. | |
In früheren Jahren zeigte man unter dem lokolpatriotisch anmutenden Label | |
tatsächlich vor allem Filme über Hamburg. Diesmal dagegen geht es darum, | |
dass sie in der Stadt entstanden sind – oder doch wenigstens gemacht wurden | |
von Menschen, die dort leben oder auch studieren. War Hamburg also lange | |
eine Art Heimathafen, wird es inzwischen eher als Medienstandort | |
präsentiert. | |
Dieses Manko, wenn man so will, macht aber ein Film im „Dokland“-Programm | |
mehr als wett: Unter dem Titel „Manche hatten Krokodile“ (Sa, 9. April, | |
Metropolis) hat Christian Hornung eine Liebeserklärung an St. Pauli | |
gedreht. Und was für eine: Der Filmemacher hat einen schönen | |
dramaturgischen Dreh gefunden, um die alten Kiezkneipen sowie ihre | |
Betreiber und Stammgäste vorzustellen: Er konzentriert sich auf ein Detail | |
am Rande: die Sparclubs, die immer noch in einigen der ihrerseits ja immer | |
weniger werdenden Gaststätten betrieben werden. | |
Die alten Blechkästen an der Wand sind heute ein offensichtlicher | |
Anachronismus – so wie all die ehemaligen Seeleute, Prostituierten, | |
Bardamen und Zuhälter, die heute noch regelmäßig etwas Geld hineinstecken. | |
Der Filmemacher bringt sie zum Erzählen, und vom eigentlichen Thema | |
schweifen sie alle bereitwillig ab und spinnen dabei auch viel | |
Seemannsgarn. | |
## Durchs Bullauge entsorgt | |
So etwa bei der titelgebenden Geschichte von den Krokodilen, die Matrosen | |
aufs Schiff geschmuggelt haben und die nach einem Machtwort des Kapitäns | |
dann durchs Bullauge entsorgt wurden. Da wird auch viel von den goldenen | |
Zeiten St. Paulis in den 60ern erzählt, als Zigaretten mit | |
100-Mark-Scheinen angezündet worden seien. Wenn etwa die ehemalige | |
„schwerste Stripperin Deutschlands“ oder die chinesischstämmige Betreiberin | |
des „Hongkong“-Hotels ihre Lebensgeschichten erzählen, sind diese Anekdoten | |
immer sehr unterhaltsam, bilden aber auch eine Sozialgeschichte des | |
Milieus, das immer die Paradiesvögel und Außenseiter angelockt hat. | |
Während in den Kneipen selbst die Zeit stehen geblieben scheint – keiner | |
der Gäste ist jünger als 50 –, zeigt Kameramann Martin Neumeyer, wenn er | |
mit seiner Kamera hinaus geht, wie schnell sich alles ändert in Hamburg-St. | |
Pauli. So illustriert eine Montage, bei der wiederholt ein Auto durchs Bild | |
fährt, was die Schnitte kaschiert, wie extrem sich eine Straßenfront in | |
kurzer Zeit verändert. Ja, die Zeiten von Kneipen wie dem „Utspann“ und der | |
„Kaffeepause“ sind gezählt, und auch die vielen Kreuze hinter den Namen der | |
Mitwirkenden im Abspann machen deutlich, dass dieser Film in wenigen Jahren | |
ein historisches Dokument sein wird. | |
Eine viel tristere Stimmung durchzieht die 70 Minuten von „Wenn man sie | |
bedauert, können sie schlecht sterben“ (Fr, 8. April, Lichtmess). Die | |
Hamburger Filmemacherin Friederike Güssefeld ist in ein 500 Seelen-Dorf im | |
südlichen Brandenburg gegangen und hat dort auch auf den Straßen nicht eine | |
junge Seele gefunden. Alle, die noch Hoffnung und Kraft hatten, haben den | |
Ort längst verlassen und und so sind jene, die dort noch leben, dem Tod | |
näher als die Menschen anderswo. Der Ort ist denn auch noch für eine Reihe | |
von bizarren Todesfällen bekannt: Ein junger Mann hat seinen Vater aus | |
Geldgier in der Jauchegrube ertränkt, eine Frau übergoss sich mit Benzin | |
und verbrannte, ein Fremder kam in den Ort, ging in den Wald und erschoss | |
sich dort. | |
Von all dem erzählen die Dorfbewohner mit irritierender Gelassenheit. Die | |
vielen Selbstmörder im Ort werden eher beneidet als bedauert: „Wer den Mut | |
hat“, sagt eine Bäuerin, „der macht es halt.“ Kameramann Tim Kuhn hat die | |
Protagonisten in sorgfältig komponierten, statischen Einstellungen | |
fotografiert, die sie noch mehr wie die untoten Bewohner einer Zwischenwelt | |
wirken lassen. Lebendig werden sie nur, wenn sie von den Zeiten vor der | |
Wende erzählen: Da erinnert sich ein ehemaliger Polizist beispielsweise | |
gerne daran, dass er einen, der ihn Schwein nannte, noch verprügeln konnte. | |
## Leben in der Vergangenheit | |
Dieses Leben in der Vergangenheit ist ein heimliches Leit(d)motiv der | |
Reihe: Auch „Stadt der Elefanten“ (Do, 7. April, Lichtmess) von Marko | |
Mijatovic zeigt einen Ort ohne Zukunft. Die Stadt Vares in den bosnischen | |
Bergen florierte einst infolge des Bergbaus, doch der Krieg hat vieles | |
zerstört. Nun leben auch dort nur noch die Alten – und erinnern sich. | |
Mijatovic erzählt scheinbar ohne Fokus, bleibt oft im Ungefähren, aber | |
genau dadurch vermittelt er eine Ahnung vom herrschenden Lebensgefühl. | |
Er braucht dafür etwa eine halbe Stunde – genau wie drei andere in Hamburg | |
studierende Filmemacher, die in autobiografischen Arbeiten eher | |
impressionistisch erzählen: Hana Kim hat „Der bittere Apfel vom Stamm“ (Fr, | |
Metropolis) in ihrer Heimatstadt Seoul gedreht und Fragmente aus Gesprächen | |
mit ihrer Mutter mit Stadtansichten gekoppelt. Josefina Gill wiederum wuchs | |
in Argentinien auf. Ihr jüdischer Großvater ist 1937 aus Deutschland | |
geflohen, nun kehrt mit ihr erstmals ein Nachkomme dorthin zurück. Für ihr | |
Hängen zwischen den Kontinenten hat sie stimmige Bilder gefunden: „Desde la | |
marea – Was die Gezeiten mit sich bringen“ (Do, 7. April, | |
Metropolis)besteht nur aus Aufnahmen einer Schiffsreise über den Atlantik. | |
In „Baba Evi“ (Do, Lichtmess) will Akin Sipal vom Verhältnis zu seinem | |
Vater und seinem Großvater erzählen – der in der Türkei als Übersetzer und | |
Schriftsteller berühmt ist und sich geweigert hat mitzumachen. | |
6 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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