# taz.de -- Integration auf dem Lande: Männer in der Fremde | |
> Was macht es mit eritreischen Flüchtlingen, in einem ostfriesischen Dorf | |
> zu landen – und was umgekehrt? Davon handelt der Film „Gestrandet“ von | |
> Lisei Caspers. | |
Bild: Als es noch ganz gut lief: Als Ein-Euro-Jobber Pflastersteine zu verlegen… | |
BREMEN taz | Diese Ostfriesen haben schon seltsame Sitten. Das Boßeln etwa, | |
jene Sportart, bei der eine Kugel mit möglichst wenigen Würfen und | |
möglichst viel Alkoholzunahme über eine festgelegte Strecke gebracht werden | |
muss: Am Anfang von Lisei Caspers’ Films „Gestrandet“ nun bestaunen fünf | |
dunkelhäutige Männer dieses seltsame Ritual – eine schöne Umkehrung des | |
kolonialen Blicks, der bis heute vielen Dokumentationen einen so | |
unangenehmen Grundton beschert. | |
2013 endete die Flucht von Aman, Mohammed, Ali, Hassan und Osman – in | |
Strackholt im tiefsten Ostfriesland. Für die Eritreer ist erstmal alles | |
fremd in dem 1500-Seelen-Dorf. Gerade mal einer von ihnen kann sich | |
halbwegs in gebrochenem Englisch verständlich machen, ein anderer, Osman, | |
ist seit Geburt taub. Regisseurin Caspers will zeigen, wie es sich anfühlt, | |
als Asylbewerber nach Deutschland zu kommen. Ihr eigenes Heimatdorf liegt | |
in der Nähe von Strackholt, und als sie die fünf Flüchtlinge zufällig bei | |
einem Besuch zuhause kennenlernte, entschloss sie, ihren nächsten Film über | |
sie zu machen. | |
## Fremdenfeindlichkeit ist kein Thema | |
19 Monate lang hat sie die fünf mit der Kamera begleitet. Dabei verwundert | |
es im ersten Teil des Films, wie problemlos die Geflüchteten in dem kleinen | |
Dorf aufgenommen werden: Die Leute wirken gastfreundlich und es gibt keine | |
Szene, in der die Eritreer direkt auf Ressentiments stoßen. Zwar wird in | |
einer Kneipenszene erwähnt, dass andere Gäste Stammtischparolen geäußert | |
hätten. Auch merkt im Schwimmbad ein Bademeister an, einige Besucher wären | |
es nicht gewohnt, dass dunkelhäutige Menschen – „und auch in der Anzahl“… | |
im Becken sind. Fremdenfeindlichkeit scheint aber nicht das Problem von | |
Aman, Mohammed, Ali, Hassan und Osman zu sein – zumindest ist sie nicht das | |
Thema dieses Films. | |
Andererseits werden die Neuangekommenen weitgehend allein gelassen: Kein | |
Amt kümmert sich um sie, und so sind es zwei ehrenamtliche Helfer, die | |
immer mehr zu den Helden des Films werden: Helmut Wendt, ein pensionierter | |
Lehrer, gibt den Männern Deutschunterricht, wobei sich sein Erfolg in | |
Grenzen hält: Bis zuletzt sagt keiner von ihnen einen Satz auf Deutsch. | |
Dann ist da noch die Journalistin Christiane Norda, die die Männer | |
regelmäßig besucht und ihnen beim Umgang mit den Behörden hilft. Wenn ein | |
Brief vom Amt kommt, ist sie es, die ihn öffnet, liest, übersetzt. Und in | |
diesen Sequenzen wird deutlich, wie hilflos die Flüchtlinge in dem für sie | |
unverständlichen bürokratischen Prozess sind. | |
Wendt und Norda werden im Laufe des Films immer mehr zu den Fürsprechern | |
der Flüchtlinge, denn deren Sprachlosigkeit ist sowohl ein Thema als auch | |
ein Problem des Films selbst: Die Kommunikation ist nur über Dolmetscher, | |
zum Teil in Gebärdensprache, möglich – und so kommt Lisei Caspers ihnen | |
nicht wirklich nahe. Nicht mal, wenn sie spazieren gehen oder Karten | |
spielen, hat man das Gefühl, die fünf hätten wenigstens kurz die Kamera | |
vergessen. In einer Sequenz sollen sie nachspielen, wie sie in Eritrea | |
gedemütigt wurden – und machen nur klar, wie unmöglich das ist. Ein paar | |
authentische Handyaufnahmen von der Flucht durch die Sahara hat Caspers in | |
eine Parallelmontage mit Aufnahmen geschnitten, die die Männer als Läufer | |
bei einem sportlichen Wettkampf in Strackholt zeigt. Seine Not und seine | |
Ängste bringt einer von ihnen dagegen mit einem Satz auf den Punkt: Auf die | |
Frage, ob er sich vorstellen könnte, nach Eritrea zurückzukehren, antwortet | |
er, da wäre es besser, ihn gleich hier umzubringen. | |
## Eine Geschichte der Desillusionierung | |
Im Laufe des Films erzählt Caspers immer mehr eine Geschichte der | |
Desillusionierung. Waren die Männer am Anfang noch dankbar dafür, als | |
1-Euro-Job Straßen zu pflastern, wird ihnen nach einigen Monaten klar, wie | |
wenig Perspektive diese Arbeit ihnen bietet – und dass es sonst nichts für | |
sie zu tun gibt. Ihr Leben besteht aus Warten, aus wachsender Angst um die | |
Familie, die sie zurückließen, und die Kontakte mit den Dorfbewohnern | |
bleiben oberflächlich. Deutschlehrer Wendt verliert irgendwann die Geduld | |
und bricht frustriert den Unterricht ab. Journalistin Norda schreibt einen | |
Brief an den Bundespräsidenten, in dem sie schildert, wie ihre Schützlinge | |
durch das lange Warten und die Leere immer verzweifelter werden. Beim | |
Vorlesen bricht sie vor der Kamera in Tränen aus. | |
Die Dreharbeiten sollten eigentlich nach zwölf Monaten abgeschlossen sein, | |
dann hätte der Film mit diesen deprimierenden Bildern von hoffnungslos | |
Gestrandeten geendet. Beim Schnitt habe sich gezeigt, dass „das Ende der | |
Geschichte in der Luft hing – wie die Flüchtlinge“, so sagt es Caspers | |
selbst. Deshalb kehrte sie ein halbes Jahr später nach Strackholt zurück, | |
wo nur Osman noch wohnte. Alle fünf hatten inzwischen Asyl erhalten. | |
„Gestrandet“ geht in dieser Woche auf eine [1][Kinotour], bei der das Team | |
und die Protagonisten den Film [2][vorstellen] werden. Am kommenden | |
Donnerstag kommt er dann regulär in die [3][Kinos]. | |
30 Mar 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.abaton.de/ | |
[2] http://www.casablanca-kino.de/ | |
[3] http://www.kino-aurich.de/ | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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