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# taz.de -- Borwin Bandelow hat den Ostfriesenwitz erfunden: „Die finden die …
> Die Ostfriesen gelten als Hinterwälder, über die man sich herrlich lustig
> machen kann. Aber wieso eigentlich? Und wie ist es dazu gekommen?
Bild: Sieht eigentlich ziemlich normal aus: Landschaft an der Ems bei Leer.
taz: Herr Bandelow, Sie müssen das ja eigentlich wissen: Wo ist
Ostfriesland?
Borwin Bandelow: Oh, Ostfriesland war 300 Meter von meinem Haus in
Westerstede entfernt, in dem ich damals mit meinen Eltern gelebt habe. In
der Ecke links oben in Deutschland.
Was für Menschen leben da oben links?
Die Menschen dort werden immer so dargestellt, als ob sie hinterwäldlerisch
und verschlossen wären. In Wirklichkeit sind sie sehr herzlich. Herzlicher
als die Menschen etwa in Städten wie Hannover oder so. Geht man in
Ostfriesland in ein Geschäft, wird man immer sehr freundlich begrüßt, meist
mit einem Spruch auf den Lippen. Und es ist auch nicht so, dass sie sehr
wenig reden. Es gibt Ostfriesen, die sehr viel reden.
Ganz gegen das Klischee.
Genau. Es ist übrigens auch nicht so, dass sie sich gegen Fremde wehren.
Ganz im Gegenteil, man hat eher den Eindruck, gleich willkommen zu sein.
Sie sagen also, dass die Ostfriesen schlau und weltoffen sind. Wieso
erzählt man sich dann Witze wie diesen: Wie kam es, dass die Ostfriesen an
einem einzigen Tag ihre ganze U-Boot-Flotte verloren haben?
Den kenne ich noch nicht. Wie kam das?
Es war Tag der offenen Tür! Warum kann man sich so gut über die Ostfriesen
lustig machen?
Man macht sich ja weltweit über andere Bevölkerungsgruppen lustig. Zum
Beispiel in Ungarn über die Siebenbürgen, in Holland über die Belgier oder
in den USA über die Polen. Überall kursieren solche Witze. Viele
Ostfriesenwitze waren etwa alte Bayernwitze, die man auf Ostfriesland
umfunktioniert hat. Letztlich will man von den eigenen Unzulänglichkeiten
ablenken, wenn man sich über Minderheiten lustig macht.
Diese Witze sind also gar nichts Besonderes?
Doch schon! Sie haben ja auch einen historischen Hintergrund. Ostfriesland
war oft unter einem anderen Regime als andere Teile Deutschlands. Die
Ostfriesen haben sich immer hartnäckig gegen alle möglichen äußeren
Einflüsse gewehrt, gegen Napoleon etwa oder gegen den dänischen König.
Dadurch hatten sie eine etwas isolierte Stellung.
Ein bisschen gallisches-Dorf-mäßig?
Ja, so kann man es ganz gut beschreiben. Die Leute, die sich über
Ostfriesen lustig machen, finden die also nicht wirklich blöd oder so.
Sondern eher knuffig, und sie glauben, dass dort oben links die Welt im
Vergleich zu anderen Teilen Deutschlands noch in Ordnung ist. Es ist also
nicht böse gemeint, wenn jemand Ostfriesenwitze macht.
Darf man sich eigentlich über Minderheiten lustig machen?
Es gab mal ein Buch, das hieß „Der Witzableiter“, und da wurde genau das
gegeißelt. Aber diese Witze sind ja nicht aus einer Feindschaft entstanden,
sondern aus einem Miteinander. Es haben sich schon mal Leute darüber
beschwert, dass im Radio Ostfriesenwitze erzählt wurden, weil das die
Region verunglimpfe. Da hört für mich der Humor auf. Aber wer sich über so
etwas aufregt, ist in der Regel kein Ostfriese.
Sie erzählen so darüber, als seien Sie eine neutrale Figur. Dabei gelten
Sie als Erfinder des Ostfriesenwitzes. Sehen Sie sich selbst auch so?
Ich habe früher in der Schülerzeitung „Der Trompeter“ das erste Mal
Geschichten über Ostfriesen geschrieben. Die hatten so ähnliche Inhalte wie
später die Witze. Also nicht so typische „Kommt ein Mann zum Arzt“-Witze,
sondern Prosa und Zeichnungen. Mein Chefredakteur hat zwar gesagt hat, ich
solle doch lieber was über den Vietnam-Krieg schreiben, das war die Zeit
damals, aber da ich unpolitisch war, habe ich das nicht gemacht. Mit deinen
Ostfriesengeschichten wirst du doch nie bekannt, schreib lieber was
Politisches, hat er gesagt. Aber dann haben uns die Leute die
Schülerzeitung wegen der Ostfriesengeschichten aus der Hand gerissen und es
gab immer weitere Folgen und von da hat sich das weiterverbreitet. Soldaten
haben die Geschichten weitererzählt und irgendwann standen die
Ostfriesenwitze im Spiegel.
Soldaten? Wieso haben Soldaten eine Schülerzeitung aus Westerstede gelesen?
Das waren ehemalige Schüler. Mit dem 18. Lebensjahr musste ja jeder zum
Bund und da die Soldaten vor allem in der Gegend da oben den ganzen Tag
nichts zu tun hatten, haben sie sich aus Langweile diese
Ostfriesengeschichten erzählt. Ich würde aber auch sagen, dass ich diese
Geschichten nicht alleine erfunden habe. Wir waren so eine Gruppe, von
denen mindestens die Hälfte Ostfriesen waren, und wir haben über Wochen und
Monate geblödelt. Ich war einfach nur der erste, der es dann in die Zeitung
geschrieben hat.
Was blödelten Sie denn so?
Liegen vier weiße Kotflügel auf der Straße. Was ist das?
Weiß nicht.
Ein Polizeiauto, die Ostfriesen haben alles Grüne gefressen. Dazu muss man
wissen, dass Polizei-Käfer früher grün waren und weiße Kotflügel hatten.
Solche Sprüche eben, und die verbreiteten sich am Gymnasium Westerstede
ziemlich stark. Man hat in den Pausen kaum über was anderes geredet.
Es ging eigentlich um eine typische Kabbelei unter Nachbarn, oder? Zwischen
Ammerländern, die in Westerstede leben, und Ostfriesen?
Ja genau, diese Auseinandersetzung ist auch historisch begründet. Es gibt
in der Nähe von Westerstede ein Kriegerdenkmal, wo die Ammerländer und die
Ostfriesen sich einst eine furchtbare Schlacht geliefert haben. Und bei uns
an der Schule in Ammerland gab es ein paar Ostfriesen. Meist solche, die in
ihrer Schule in Leer und Aurich nicht zurechtkamen, aufmüpfig waren und die
von Ostfriesland nach Westerstede strafversetzt waren. Meine
Ostfriesengeschichten in der Zeitung hatten aber auch ein bisschen was mit
der DDR zu tun, das war ja damals das zentrale Thema in der Politik.
Wir sind in den 60er-Jahren?
Ich tippe auf 1967. Da hat man sich über den Sprachduktus der Politiker in
der DDR lustig gemacht, die haben so eine merkwürdig verschrobene
Ausdrucksweise gehabt. Wir haben dann in der Zeitung die „Republik freies
Ostfriesland“ ausgerufen, die sich gegen den Rest der Republik abschottet
und die natürlich dumm und borniert ist. Letztendlich war das eine
Persiflage auf die DDR-Politiker und deren steife Ausdrucksweise. Manchmal
ging es in den Geschichten aber auch um komische Tiere.
Was für Tiere?
Komische Tiere, die ein kurzes und ein langes Bein hatten und so besser am
Deich entlang laufen konnten. Da wurde später dieser Ostfriesenwitz draus:
Wieso haben Ostfriesen ein kurzes und ein langes Bein?
Damit sie besser am Deich entlang laufen können. Mögen Sie diese Art von
Humor eigentlich immer noch?
Eigentlich mag ich diese Art von trockenem Humor. Aber ich erzähle heute
deutlich weniger Witze als früher. Ich war aber ehrlich gesagt immer schon
ein schlechter Witze-Erzähler.
Wieso?
Zu schüchtern. Man muss ein ziemlich penetranter Selbstdarsteller sein, um
richtig gut Witze erzählen zu können. Selbst bei so kurzen Witzen wie den
Ostfriesenwitzen gilt: Wenn man die Pointe versäbelt, ist das nicht so gut.
Haben Sie eigentlich je verstanden, wieso Sie mit den Ostfriesenwitzen eine
regelrechte Witzewelle losgetreten haben?
Ich habe nie verstanden, wieso die sich so hartnäckig gehalten haben. Es
gab vor ein paar Jahren mal eine Sendung im NDR, in der ein Ranking der
besten Witze Deutschlands vorgestellt wurde. An erster Stelle kamen die
Bauernwitze und an zweiter Stelle die Ostfriesenwitze, und das nach so
vielen, vielen Jahren.
Haben diese Witze was mit Ostfriesland gemacht?
Der Kurdirektor von Bensersiel hat mir damals gesagt, dass ich eine ganze
Region, die sehr arm, düster und traurig war, in Arbeit und Brot gebracht
hätte. Denn es gab so ab Ende der 60er-Jahre einen extremen Aufschwung im
Tourismus und der wurde zu einem Teil auch den Ostfriesenwitzen
zugeschrieben. Der Kurdirektor wollte mir damals eine Freikarte für alle
Einrichtungen von Esens-Bensersiel schicken. Aber das muss er dann wohl
vergessen haben.
30 Oct 2016
## AUTOREN
Ilka Kreutzträger
## TAGS
Ostfriesland
Humor
NS-Verbrechen
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Mystery
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Schwerpunkt Flucht
Ostfriesland
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