# taz.de -- Deichbau als Strategiespiel: Ostfriesland auf dem Brett | |
> Uwe Rosenberg hat mit „Arler Erde“ ein komplexes Strategiespiel über | |
> Ostfriesland erfunden. Der Auricher arbeitete damit seine | |
> Familiengeschichte auf. | |
Bild: Spielt‘n Ostfriese Heimat: Uwe Rosenberg | |
HAMBURG taz | Von vorne peitscht die Nordsee gegen die Deiche. Hinten liegt | |
das Moor, sumpfig und nass. Dazwischen Arle, ein ostfriesisches Dorf, um | |
1800. Es gibt hier nur ein paar Bauernhöfe, Schafe und schwarz-weiß | |
gefleckte Milchkühe. Der Spieleautor Uwe Rosenberg hat mit „Arler Erde“ ein | |
komplexes Strategiespiel über die Urbarmachung Ostfrieslands erfunden – und | |
damit weltweit Erfolg. | |
Dabei sollte man meinen, dass das Thema schon in Bayern niemanden mehr | |
interessiert. Doch von den insgesamt 10.000 verkauften Exemplaren gingen | |
zum Beispiel 750 nach Japan. „Für die Menschen da ist das nur irgendeine | |
Region in Europa“, sagt Uwe Rosenberg, ein Typ mit ausgewaschenem Shirt und | |
strubbeligem Haar. | |
Für Rosenberg dagegen ist es Zuhause. Der 45-Jährige ist in Ostfriesland | |
aufgewachsen. Genau wie Generationen seiner Familie vor ihm. Das Bauernhaus | |
seines Ururgroßvaters steht noch immer. Das Dach ist verwittert und die | |
dunkelgrüne Farbe von der Holztür abgeplatzt, aber es steht. | |
Mit dem Spiel arbeitet Rosenberg die Geschichte seiner Familie auf. Sein | |
Vater ging als Kind noch selbst zum Torfstechen ins Moor. Der Torf wurde | |
getrocknet und zum Heizen benutzt. In „Arler Erde“ brauchen auch die | |
Spieler bald mehr Land, müssen Moore trocken legen, Torf stechen und Deiche | |
bauen. Das bringt am Ende Punkte, aber vor allem schafft es Platz in der | |
eigenen Landschaft, um Äcker anzulegen und Ställe zu bauen. | |
## Ausflug mit dem Vater | |
Rosenberg stellt das Leben seiner Vorfahren sehr realistisch dar: Das Spiel | |
ist in Sommer und Winter geteilt. Die Spieler können ernten, mit ihren | |
Waren handeln und Ausflüge mit dem Wagen nach Dornum, Bremen oder Aurich | |
machen. Der Autor hat für das Spiel viele der Orte mit seinem Vater | |
bereist. Über die Geschichte, die Bräuche und Eigenarten der Ostfriesen hat | |
er sogar ein Begleitheft zum Spiel geschrieben. „Wir sind uns dadurch | |
nähergekommen“, sagt er. Auf der Tour hatten sie Zeit zum Reden, über die | |
Kindheit des Vaters, den Bauernhof und die Gegend. „So wurde klar, wie das | |
Spiel aussehen muss“, sagt Rosenberg. | |
Er selbst hatte vom Leben auf dem Land eigentlich wenig Ahnung. Rosenberg | |
wuchs in Aurich auf und ging fürs Statistik-Studium nach Dortmund. Heute | |
wohnt er mit seiner Frau und seinen drei kleinen Kindern in Gütersloh. In | |
seinem Arbeitszimmer steht ein schmaler, dunkelbrauner Schreibtisch aus | |
Holz. Rosenberg hat ihn extra von einem Tischler anfertigen lassen. Unter | |
der Platte kann er zwei weitere Ebenen herausziehen, damit er drei | |
Brettspiele gleichzeitig aufbauen kann. Manchmal arbeitet er an mehreren | |
Projekten parallel. | |
Die Regale an den Wänden sind gefüllt mit Spielen, Ersatzteilkartons und | |
unzähligen Sachbüchern über das Mittelalter, Ostfriesland und die | |
Landwirtschaft. In seinen Spielen soll jedes Detail stimmen. „Mir ist | |
wichtig, dass man die Geschichte spürt“, sagt er. | |
Am Anfang seiner Spiele steht jedoch meist nicht das Thema, sondern ein | |
Mechanismus. Rosenberg tüftelt so lange hin und her, bis ihn ein Spielzug | |
überzeugt. Er spielt gegen sich selbst – jeden Tag. So entstehe das Spiel | |
nach und nach. „Wie bei einem Schriftsteller, dessen Geschichte sich beim | |
Schreiben entwickelt“, sagt er. Stößt er dabei auf mechanische Probleme, | |
weil ein Schritt nicht zum nächsten führt, fängt Rosenberg an zu grübeln, | |
unter der Dusche oder auf der Schlafcouch im Arbeitszimmer. „Lang | |
ausstrecken hilft oft“, sagt er. Dann sehe er das Problem aus einer anderen | |
Perspektive. | |
Das Bettzeug auf der Couch ist noch zerwühlt, ein Schlafanzug liegt | |
daneben. Gerade hat er einen stressigen Auftrag hinter sich. Er hat eine | |
neue Version seines Spiels „Agricola“ für den amerikanischen Markt | |
entwickelt. Zum Schluss lief die Zeit davon, der Vertrag sah nach Ablauf | |
der Frist empfindliche Strafen vor. Rosenberg verbrachte die Nächte in | |
seinem Arbeitszimmer. „Da bin ich etwas naiv rangegangen“, sagt er. „Wir | |
sind eben alles Amateure in der Branche.“ Gemeinsam mit dem Team seines | |
Verlags hat er es gerade rechtzeitig geschafft. | |
Der Spieleerfinder ist an mehreren Verlagen beteiligt. Das Kaufmännische | |
überlässt er anderen, genau wie die Gestaltung der Spiele. Für die kauzigen | |
Zeichnungen friesischer Bauern, von Torfkähnen oder des gelb-roten | |
Leuchtturms von Pilsum auf den Spielsteinen ist Grafiker Dennis Lohausen | |
verantwortlich. Die Prototypen auf Rosenbergs Schreibtisch sind nicht mehr | |
als ein bedrucktes Blatt Papier und ein paar Figuren. „Das muss nicht schön | |
sein“, sagt er. „Nur funktionieren.“ | |
Sein erstes Spiel hat er schon als Kind entwickelt. Das Thema war Fußball. | |
Das Prinzip: Laufen und Schießen. Strategisch anspruchsvoll war das nicht, | |
aber das Spieleerfinden ließ ihn nicht mehr los. Während seiner Zeit bei | |
der Bundeswehr in Aurich veröffentlichte er sein erstes Spiel bei einem | |
Verlag: „Times“, ein Quiz mit historischen Fragen. Der Erfolg war mäßig, | |
trotzdem hatte Rosenberg seine Leidenschaft gefunden. „Ich wusste, dass es | |
das ist, was ich machen will.“ | |
## Anstoß auf dem Parkplatz | |
Der entscheidende Anstoß war ein Gespräch auf einem Parkplatz. „Dabei kann | |
sich mein Gesprächspartner schon gar nicht mehr daran erinnern“, sagt | |
Rosenberg und lacht. Ein Freund erzählte ihm, dass ein amerikanischer | |
Verlag auf der Suche nach neuen Kartenspielen sei. „Es war der richtige | |
Zeitpunkt, um ihnen eines anzubieten.“ Rosenberg gelang schon beim zweiten | |
Versuch ein Coup: Er entwickelte das Kartenspiel „Bohnanza“. Das einfache | |
Spielprinzip verkauft sich noch heute. Etliche Erweiterungen sind auf dem | |
Markt. | |
Plötzlich hatte Rosenberg, der mittellose Statistik-Student, echten Erfolg | |
mit einem Spiel und verdiente mit seiner Idee Geld. „Am Anfang hatte ich | |
noch gute Ideen“, sagt Rosenberg, „dann kam auch viel Blödsinn.“ Seine | |
Karriere kam ins Stocken. „Am Anfang habe ich Spiele gemacht, die mir | |
selbst gefallen.“ Später habe er versucht, neue Mechanismen zu entwickeln. | |
Dabei war, wenn er sich fragte, warum vor ihm noch nie jemand diese Idee | |
ausprobiert hatte, die Antwort schnell klar: „Weil sie keinen Spaß macht.“ | |
Für seine Spiele fand er keine Verleger. Trotzdem tüftelte er weiter, | |
probierte seine Ideen mit Spielegruppen aus, bis auch die keine Lust mehr | |
hatten. Er tingelte von Spieleabend zu Spieleabend, verzichtete dort auf | |
Chips und Bier, um zu sparen, lebte in einem kleinen Zimmer. Das Geld war | |
knapp. „Aber das war mir nicht wichtig.“ Wichtig waren nur die Spiele. | |
„Ich bin kläglich gescheitert“, sagt Rosenberg. Mit dem Studienabschluss in | |
der Tasche ging er deshalb zu seinem ersten Vorstellungsgespräch. Die | |
Aussicht: ein Bürojob als Statistiker. „Mir ist danach speiübel geworden.“ | |
Er gab sich selbst drei Jahre, um endlich Erfolg als Spieleerfinder zu | |
haben – und schaffte es nicht. Keiner der Verlage wollte seine Spiele. | |
Erst als er begann, Party- und Quizspiele – einige davon über | |
Geschlechterklischees – zu erfinden, kehrte der Erfolg zurück. Rosenberg | |
entwickelte auch die Brettspielversion der Trash-TV-Sendung „Bauer sucht | |
Frau“, bereut das aber heute. „Verdient habe ich dabei so gut wie nichts, | |
dafür aber meinem Ruf geschadet“, sagt er. „Ich hätte mir die Sendung | |
vorher mal anschauen sollen.“ | |
## Zu schwer für Touristen | |
Heute entwickelt er vor allem komplexe Strategiespiele, sogenannte | |
Worker-Placement-Spiele. Dabei werden Spielsteine eingesetzt, um Aktionen | |
auszulösen, bei „Arler Erde“ etwa, um den eigenen Hof zu erweitern. „Arl… | |
Erde“ ist ein ziemlicher Brocken. Man spielt daran zwei bis drei Stunden, | |
obwohl das Spiel nur für ein bis zwei Spieler ist. Schon die Anleitung ist | |
nichts für unerfahrene Spieler: Auf 19 eng bedruckten Seiten werden die 30 | |
möglichen Spielzüge erklärt, aus denen man auswählen kann. Rosenberg riet | |
deshalb Touristenbüros und Cafés in Ostfriesland davon ab, „Arler Erde“ | |
anzubieten. „Das ist das Schlimmste, was man Touristen antun kann“, sagt | |
Rosenberg. „Ein regnerischer Urlaub in Ostfriesland und dann noch so ein | |
Spiel.“ Niemand solle einen solchen Strategie-Klopper aus Versehen kaufen. | |
Rosenberg kann das sagen. Seine Spiele verkaufen sich trotzdem. „Ich habe | |
meine Fans“, sagt er – Menschen auf der ganzen Welt, die seine Spiele | |
gerade wegen der komplexen Mechanismen kaufen. „Die asiatischen Fans sind | |
die enthusiastischsten“, sagt er. Auf Spielemessen, bei denen Verlage ihre | |
neusten Projekte vorstellen, behandelten sie ihn ehrerbietig wie einen | |
Popstar. „Solange, bis sie merken, dass ich ganz normal mit ihnen rede.“ | |
Für Touristen und Brettspielfans in Ostfriesland plant Rosenberg schon das | |
nächste Spiel – weniger komplex, damit man es an Regentagen mit der Familie | |
spielen kann. Es soll auf den ostfriesischen Inseln spielen. Die sollen die | |
Spieler erschließen, bis der Tourismus boomt. „Sie müssen aus dem Nichts | |
etwas machen, am Anfang Strandgut sammeln“, sagt Rosenberg. | |
Ostfriesland lässt ihn nicht los. Früher stellte er sich, wenn er nach | |
Hause kam, erst einmal auf einen Deich, schloss die Augen und atmete tief | |
durch. Heute ist sein Zuhause dort, wo seine Familie ist, sagt er. | |
Rosenberg ist angekommen, in Gütersloh. Nur zum Spielen aus Spaß hat er als | |
Familienpapa überhaupt keine Zeit mehr. | |
Den ganzen Schwerpunkt zum Thema Spiele lesen Sie in der taz.am Wochenende | |
oder [1][hier]. | |
2 Apr 2016 | |
## LINKS | |
[1] /e-kiosk/!114771/ | |
## AUTOREN | |
Andrea Scharpen | |
## TAGS | |
Ostfriesland | |
Ostfriesland | |
Ostfriesland | |
Ostfriesland | |
Ostfriesland | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Borwin Bandelow hat den Ostfriesenwitz erfunden: „Die finden die Ostfriesen k… | |
Die Ostfriesen gelten als Hinterwälder, über die man sich herrlich lustig | |
machen kann. Aber wieso eigentlich? Und wie ist es dazu gekommen? | |
Ambivalenter Sehnsuchtsort: Warum haben Ostfriesen … | |
Ostfriesenwitze kennt jeder. Aber warum wurde ausgerechnet die Gegend am | |
deutschen Westzipfel zur Zielschiebe? | |
Niederdeutsch im Kommen: „Mein“ und „dein“ auf Platt | |
In Ostfriesland arbeiten eine Reihe von Initiativen und Verbänden daran, | |
Plattdeutsch wieder stärker im Alltag zu verankern – mit erstaunlichem | |
Erfolg. | |
Boßeln in Niedersachen: Der lange Marsch zum Schöt | |
Das Spiel mit der Kugel ist mehr als Bollerwagen, Schnaps und | |
Grünkohlessen. In Niedersachsen betreiben Vereine dies als ernsten Sport | |
mit eigenen Ligen und Wettkämpfen. |