# taz.de -- Demo für Flüchtlinge: Ein Dorf rückt zusammen | |
> Mehr als 900 Klein Borsteler sind gegen den Baustopp der geplanten | |
> Unterkunft „Am Anzuchtgarten“ auf die Straße gegangen. | |
Bild: Setzen sich für Flüchtlinge im eigenen Stadtteil ein: Anwohner in Klein… | |
HAMBURG taz | Erstaunt blicken sich zwei Frauen am S-Bahnhof Kornweg um. | |
„So viele sind hier noch nie auf die Straße gegangen“, sagt die eine. Rund | |
900 Menschen haben am Samstag in Klein Borstel gegen den Baustopp der | |
Flüchtlingsunterkunft auf dem Gelände des ehemaligen Anzuchtsgartens des | |
Ohlsdorfer Friedhofs demonstriert. | |
Ende Oktober hatte das Verwaltungsgericht einer Klage von Anwohnern | |
stattgegeben und ein Moratorium verhängt. Rund 750 Menschen wollte die | |
Stadt dort im nächsten Jahr unterbringen, 250 sollten noch vor Anbruch des | |
Winters ein festes Dach über den Kopf bekommen. | |
Zu viel für den kleinen Stadtteil mit 3.500 Einwohnern, argumentieren die | |
rund 200 Anwohner, die sich im Verein „Lebenswertes Klein Borstel“ | |
zusammengeschlossen und geklagt haben. Eine Integration, schreibt der | |
Verein in einem an alle Haushalte im Stadtteil verteilten | |
Hochglanzprospekt, sei „bei einem Verhältnis von rund 700 Flüchtlingen zu | |
800 Bewohnern des unmittelbar angrenzenden Neubaugebiets“ unmöglich. | |
Das sehen die drei Jugendlichen aus dem Stadtteil, die die Demonstration am | |
Samstag organisiert haben, ganz anders. „Als wir in der Zeitung vom | |
Baustopp erfahren haben, haben wir noch am selben Abend beschlossen, etwas | |
zu unternehmen“, sagt Stella Köhler. | |
„In einer Notsituation muss man den Eigennutz gegenüber dem Wohl anderer | |
zurückstellen. Wir wollten zeigen, dass Klein Borstel nicht nur aus denen | |
besteht, die gegen die Unterkunft geklagt haben“, sagt die 17-jährige | |
Schülerin. Dass nun so viele Menschen gegen den Baustopp Gesicht gezeigt | |
haben, habe aber auch sie überwältigt, sagt Köhler. | |
Tatsächlich ist die Hilfsbereitschaft im Stadtteil groß. Unterstützt wurde | |
die Demo auch von der Initiative „Klein Borstel hilft“, die seit Wochen | |
ganz konkret die ehrenamtliche Hilfe für die Integration der neuen Nachbarn | |
vorbereitet – unterstützt von der Kirchengemeinde, den Einzelhändlern, der | |
Freiwilligen Feuerwehr und dem „Heimatverein Klein Borstel“, in dem jeder | |
Vierte im Stadtteil Mitglied ist. Stolz ist man in Klein Borstel auf das | |
gut funktionierende nachbarschaftliche Miteinander, man versteht sich als | |
„Dorf in Hamburg“. | |
„Wir wollen zeigen, dass Klein Borstel weltoffen ist und wir gern unseren | |
Beitrag leisten“, sagt Jan Billhardt von der Initiative. Er fordert, dass | |
die Kläger ihre Klage zurückziehen oder sich zumindest schnell mit der | |
Stadt einigen. „In Anbetracht der aktuellen Notsituation ist es | |
unverantwortlich, das Projekt zu stoppen“, sagt er. | |
Dass die Hilfsbereitschaft im „Dorf“ mehr als bloßes Lippenbekenntnis ist, | |
beweisen viele Klein Borsteler seit Donnerstag vergangener Woche ganz | |
praktisch. Angesichts der angespannten Situation am Hauptbahnhof hatte die | |
Diakonie Kirchengemeinden in der Stadt angefragt, Räume für durchreisende | |
Geflüchtete zur Verfügung zu stellen. | |
Binnen zwei Stunden verwandelten rund 100 Klein Borsteler das seit Monaten | |
leerstehende Pastorat der Kirchengemeinde in eine provisorische Unterkunft, | |
brachten Isomatten und Lebensmittel, bauten Betten, setzten Lampen und | |
Heizung instand. Mehr als 40 Geflüchtete konnten am Abend untergebracht | |
werden, seitdem kommen jeden Abend neue. | |
„Die Menschen wollen helfen, sie kommen in Scharen hierher“, freut sich | |
Ilka Mamero, die die ehrenamtliche Hilfe koordiniert. „Es ist unglaublich, | |
was Klein Borstel auf die Beine stellt. Egal, wo man hingeht, trifft man | |
auf offene Arme“, sagt sie. | |
Tatsächlich rückten die Bewohner des Stadtteils nun noch enger zusammen. | |
„Klein Borstel begegnet sich hier, zeigt Gesicht und noch bestehende Ängste | |
werden ganz konkret abgebaut“, ist Mamero überzeugt. | |
Auch Demoorganisatorin Köhler ist begeistert, wie viele im Pastorat helfen. | |
„Wir waren die erste Gemeinde in Hamburg, die es am Donnerstag geschafft | |
hat, Geflüchtete aufzunehmen“, sagt sie stolz. Das zeige, wie gut die | |
Unterstützung in Klein Borstel funktionieren könne – wenn man es nur | |
zulasse. | |
9 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Robert Matthies | |
## TAGS | |
Unterbringung von Geflüchteten | |
Schwerpunkt Flucht | |
Flüchtlinge | |
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