# taz.de -- Konflikte um den CSD: Schwul, lesbisch – rassistisch? | |
> Der Christopher Street Day ist ein Tag der Freiheit. Unser Autor meint, | |
> das queerer Fundamentalismus dieser Freiheit ganz und gar nicht | |
> zuträglich ist. | |
Bild: Bunt und nicht per se rassistisch: Besucher des CSD 2011 in Frankfurt (Ma… | |
Fundamentalisten geben sich gern spektakulär. Natürlich hätte die | |
Feministin Judith Butler die Veranstalter des Berliner CSD 2010 schon bei | |
der Einladung wissen lassen können, dass sie den ihr zugedachten | |
Zivilcourage-Preis gar nicht haben wollte. Stattdessen erklärte sie erst | |
während der Verleihung, dass sie sich „von Komplizenschaft zu Rassismus, | |
einschließlich antimuslimischem Rassismus, distanzieren“ wolle, den sie den | |
sie ehren Wollenden unterstellte. | |
Ihre Professorenkollegin Sarah Schulman schob nun nach, indem sie in der | |
New York Times vom 22. November 2011 den Vorwurf des „antimuslimischen | |
Rassismus“ weiter Teile der westlichen LGBT-Bewegung auf den | |
Israel-Palästina-Konflikt ausweitete. Israel sei laut Schulman nur deshalb | |
„gay friendly“ geworden, um im Vergleich zu den Nachbarländern | |
„aufgeklärter und moderner“ zu wirken. | |
Ihre Ausführungen garnierte sie mit Details über den norwegischen | |
Massenmörder Anders Behring Breivik, der angeblich durch den rassistischen | |
schwulen Schriftsteller Bruce Bawer beeinflusst gewesen sei. Der „deutschen | |
Lesben- und Schwulenbewegung“ warf sie vor, „Stellungnahmen zu | |
veröffentlichen“, in denen „Muslim-Immigranten als Feinde der Gays“ | |
angeprangert würden. | |
Analog zum „Brainwashing“ wurde nun der Begriff „Pinkwashing“ in Stellu… | |
gebracht. Er soll jene Vertreter sexueller Minderheiten geißeln, die ihr | |
mühsam errungenes Menschenrecht auf sexuelle Selbstbestimmung – das noch | |
immer in nur wenigen Teilen der Welt gilt – angeblich missbrauchen: für | |
dummes Party-CSD-Gehabe, zur Ausgrenzung ebenfalls benachteiligter | |
muslimischer Immigranten und zur Verharmlosung der israelischen | |
Besatzungspolitik in Palästina. Insgesamt starker Tobak. Bei Licht | |
betrachtet sind dies drei Vorwürfe, die auf drei fundamentalen Irrtümern | |
beruhen. | |
## Unterschiedlich nuancierte Stimmen | |
Erster Irrtum: Nicht die Kritik an jenen Vertretern des Islam, die | |
schwulen- und frauenfeindlich auftreten, ist das Problem, sondern die | |
Pauschalisierung dieser Kritik. Es gibt nicht eine „deutsche rassistische | |
Lesben- und Schwulenbewegung“, sondern unterschiedlich nuancierte Stimmen, | |
die ein tatsächliches Problem benennen. | |
Dort wo Rassisten oder gar rassistische Politiker zufällig auch schwul | |
sind, sagt dies ebenso viel oder wenig aus wie der Umstand, dass es zu | |
Zeiten schlimmster Homosexuellen-Verfolgung auch einen schwulen SA-Führer | |
Ernst Röhm gab – und ja, auch schwule Nazis. Fundamentalismus ist | |
gefährlich, ganz egal ob islamisch, christlich, nationalistisch oder auch | |
feministisch. | |
Zweiter Irrtum: Nicht die endlich auch in Israel erstrittenen Rechte für | |
sexuelle Minderheiten sind das Problem, sondern das Infragestellen dieser | |
Rechte als „Werbemittel“ für den sich liberal gebenden Staat Israel. In | |
diesem Land wurden Rechte für eine Minderheit erstritten – das macht die | |
unrechtmäßige Besetzung Palästinas keineswegs wett. Es schmälert auch | |
keineswegs die Leistung islamischer LGBT-Gruppen. | |
Minderheiten sollten niemals gegeneinander ausgespielt werden. Und: | |
Mehrheiten sind nicht prinzipiell zu verdammen, sondern langfristig | |
notwendig, um Rechte dauerhaft legal abzusichern. | |
## Kein qualitatives Persönlichkeitsmerkmal | |
Dritter Irrtum: Das Problem ist nicht, dass es auch rechte und rassistische | |
Politiker gibt, die – leider – zuweilen schwul sind. Das Problem ist, dass | |
sexuelle Orientierung hier zu einem qualitativen Persönlichkeitsmerkmal | |
erhoben wird, das es nicht ist: Weder die Hautfarbe noch die Religion und | |
eben auch nicht die sexuelle Orientierung sagen etwas aus über die | |
menschliche Qualität einer Person. Und das bedeutet in der Umkehrung, dass | |
Menschenrechte unteilbar sind. Sie gelten für Palästinenser wie Israelis, | |
für VertreterInnen sexueller Mehrheiten wie Minderheiten. | |
Pauschalisierungen und Generalisierungen erscheinen zu Beginn oft radikal, | |
bei genauer Betrachtung bleibt meist nichts als Spektakel übrig. Judith | |
Butler und Sarah Schulman haben sich mit ihren Provokationen im eher | |
biederen US-amerikanischen Kontext einen Namen gemacht, die notwendige | |
Aufklärung haben sie jedoch nicht vorangetrieben. | |
Dabei täten Dialoge zwischen VertreterInnen benachteiligter Minderheiten | |
not. Und noch immer ist es eine Herausforderung, sich nicht mit einer | |
scheinliberalen Mehrheit zu begnügen, sondern die tatsächlich aufgeklärten | |
Teile der Gesellschaft zu stärken. | |
## Vorreiterrolle der aufgeklärten Minderheit | |
Wie auch in anderen traditionell-konservativen Gesellschaften war es in | |
Südafrika zunächst eine aufgeklärte Minderheit, die der Mehrheit im Jahr | |
1996 die weltweit erste freiheitliche Verfassung vorschlug und dann im | |
Parlament durchbrachte, in der auch die Rechte sexueller Minderheiten | |
ausdrücklich geachtet werden. | |
Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu sagte seinerzeit: „Ich hätte nicht | |
gegen die Diskriminierung der Apartheid kämpfen können, wenn ich nicht | |
heute den Mund aufmachen würde gegen homophobe Diskriminierung.“ Doch auch | |
hier ist der Weg von der freiheitlichen Verfassung zur Realität im Alltag | |
noch ein langer, wenn wir nur an die über Südafrika hinaus bekannt | |
gewordenen schrecklichen Verbrechen der „Corrective Gangrapes“ | |
(„korrigierende Gruppenvergewaltigungen“) an lesbischen Frauen denken. | |
Allen Veranstaltungen zum CSD 2012 – traditionell wie alternativ – ist zu | |
wünschen, dass sie wachsam bleiben gegenüber jeder Form von Unterdrückung. | |
Hier wie im Nahen Osten, bei Minder- wie Mehrheiten. Und es ist ihnen zu | |
wünschen, dass sie Dialoge zwischen einander eher „fremden“ | |
gesellschaftlichen Gruppen ermutigen, anstatt sie mit pauschalisierenden | |
Kampfbegriffen zu ersticken. | |
23 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Lutz van Dijk | |
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Palästinenser | |
Tel Aviv | |
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