# taz.de -- Frauenfilmfestival Dortmund/Köln: Arbeit als exorzistische Therapie | |
> Schauplatz Mexiko: Beim diesjährigen Frauenfilmfestival gab es einen | |
> Schwerpunkt mit Filmen aus dem vom Drogenkrieg geplagten Land. Ein Fazit. | |
Bild: Still aus dem preisgekrönten Film „Alba“ | |
Gerade hat die unabhängige Menschenrechtskommission GIEI in Mexiko unter | |
Protest ihre Arbeit zur Aufklärung der Verbrechen gegen die verschwundenen | |
Studenten von Ayotzinapa beendet und in ihrem [1][Abschlussbericht] massive | |
Behinderungen durch den Staat beklagt. | |
Ihre Ermittlungen hatten entgegen der offiziellen Version eine Beteiligung | |
staatlicher Instanzen an den Taten festgestellt. Dieser Rückzug ist ein | |
schwerer Schlag für Familien und Unterstützer der Opfer vom 26. September | |
2014, aber auch für die der anderen über 70.000 Menschen, die in den | |
letzten Jahren unter ähnlichen Umständen „verschwunden worden“ sind. | |
Fast zur selben Zeit saß in Köln eine Gruppe mexikanischer Filmfrauen auf | |
einem Podium, um im Rahmen eines von Sonja Hofmann kuratierten | |
Mexiko-Specials des Internationalen Frauenfilmfestivals Dortmund|Köln die | |
Bedeutung dieser strukturellen Gewalt für ihre Arbeit zu erörtern. Dabei | |
waren sie sich einig, dass die eigene Betroffenheit wesentliches Movens für | |
ihre Filmarbeit sei: individuell als eine Art exorzistische Therapie; | |
gesellschaftlich als Versuch, der Angst und dem Schweigen die möglichst | |
vielfältige Präsenz lebendiger Stimmen entgegenzustellen. | |
Das funktioniere im Produktionsbereich derzeit auch erfreulich gut, Zensur | |
wie im Journalismus findet im Filmbereich bisher nicht statt, von der | |
staatlichen Filmförderung würden widerständige Projekte sogar bewusst | |
gefördert. Mit einer Frauenquote von 30 Prozent haben mexikanische | |
Filmemacherinnen das Nahziel der deutschen Pro-Quote-Regie-Frauen schon | |
erreicht. Allerdings ist dort problematisch, dass viele der Filme nur einen | |
marginalen Kinoauftritt bekommen. | |
## Aus dem Goldenen Zeitalter | |
Frauen sind von der Repression als Opfer sexualisierter Gewalt und Mütter | |
vermisster Kinder besonders betroffen, wie es die Filme von Tatiana Huezo | |
eindringlich zeigen. In „Tempestad“ gibt sie Einblick in die ausführlichen | |
Berichte zweier Frauen, die die Verflechtung und Verbrämung staatlicher und | |
mafiöser Verbrechen erleiden. Die eine war nach der Festnahme durch die | |
Polizei unter falschem Vorwand in einem von Drogenkartellen betriebenen | |
„inoffiziellen“ Gefängnis gelandet, die andere hat ihre Tochter vermutlich | |
an Menschenhändler verloren. Auch in Huezos ebenso bildstarkem Kurzfilm | |
„Ausencias“ ist es eine junge Mutter, die aus heiterem Himmel Mann und Sohn | |
an ungreifbare Entführer verliert. | |
Als Referenz an ein ganz anderes Kapitel – in der mexikanischen | |
Filmgeschichte das sogenannte Goldene Zeitalter – lief Adela Sequeyros | |
Spielfilm „La mujer de nadie“ von 1937. Allerdings muss ein Fehler im | |
Katalog berichtigt werden, bevor er zur filmhistorischen Wahrheit entstellt | |
wird. Denn die Produktion – wie im Grußwort von Oberbürgermeisterin | |
Henriette Rekers – als ersten von einer Frau gedrehten mexikanischen Film | |
zu bezeichnen, wäre doch schwerer Verrat an Frauen wie Mimi Derba oder den | |
Schwestern Adriana und Dolores Elhers, die schon in den 1910er Jahren als | |
Produzentinnen und Regisseurinnen reüssierten. | |
Dies macht die im 19. Jahrhundert angesiedelte und entsprechend altmodisch | |
inszenierte Geschichte um eine vor Misshandlungen ihres Stiefvaters | |
davongelaufene junge (und von Sequeyro selbst dargestellte) Frau, die | |
halbverhungert von drei misogynen Künstlern aufgenommen und bald auch | |
vergöttert wird, nicht weniger amüsant – und zu einem hellsichtigen | |
Kommentar zur Repräsentation von Weiblichkeit in den Künsten. | |
## Präzise und lakonisch | |
Eine genderästhetische Hellsichtigkeit, die Männern selbstverständlich | |
nicht grundsätzlich abgeht, in ihrem praktischen Schaffen aber doch eher | |
rar ist – so verschärft Sequeyros Film als selbstreflexiver Kommentar noch | |
einmal schön die Aufmerksamkeit für die blickpolitische Bedeutung von | |
frauenfokussierten Filmschauen wie in Köln. | |
Schöne Beispiele hierfür sind auch die auffallend präsenten | |
Coming-of-Age-Filme im Wettbewerb für Debütfilme: die problematisch | |
aufwachsende und eigenwillige Mädchen aus der Negev-Wüste („Sand Storm“, | |
Regie: Elite Zexer) oder den Badlands von North Dakota („Songs My Brothers | |
Taught Me“, Regie: Chloé Zhao) in den Fokus nehmen. | |
Allen voran die präzise und lakonisch erzählte Geschichte von „Alba“, die | |
wegen einer Krankheit ihrer Mutter zum getrennt lebenden und verarmten | |
Vater ziehen muss und im Wettbewerb ihrer wohlhabenden Mitschülerinnen um | |
coole Auftritte und die anmutigsten Tanzschritte keine Chance hat. Es ist | |
eine Preziose aus dem bisher eher unbeschriebenen Filmland Ecuador | |
(koproduziert mit Mexiko), für das die Regisseurin Ana Cristina Barragán zu | |
Recht den mit 10.000 Euro dotierten Hauptpreis erhielt. Besondere Momente | |
auch im morgendlichen Schulprogramm, wenn etwa Deniz Gamze Ergüvens | |
preisgekrönter Film „Mustang“ um aufbegehrende türkische Mädchen von Kö… | |
Migrantenkindern hellwach betrachtet und bejubelt wurde. | |
25 Apr 2016 | |
## LINKS | |
[1] /Gewalt-gegen-Studenten-in-Mexiko/!5295162/ | |
## AUTOREN | |
Silvia Hallensleben | |
## TAGS | |
Filmfestival | |
Dortmund | |
Köln | |
Filmfestival | |
Film | |
Dokumentarfilm | |
Palästinenser | |
Schwerpunkt Berlinale | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Internationales Frauenfilmfestival Köln: Gegen chauvinistisches Jammern | |
Frauenfilmfestivals wurden öfter totgesagt – sind im Zuge von „#MeToo“ a… | |
wichtiger denn je. Das Kölner Festival zeigt, warum. | |
María Novaro über ihr Kinderfilmdebüt: „Ich will von Unterschieden spreche… | |
Die mexikanische Regisseurin María Novaro hat auf der Berlinale mit | |
„Tesoros“ ihren ersten Kinderfilm vorgelegt. Es geht um die selbständige | |
Welterkundung. | |
Dokumentarfilm „Krieg & Spiele“: Ferngesteuerte Waffensysteme | |
Drohnen und Computergames: In „Krieg & Spiele“ entlockt Filmemacherin Karin | |
Jurschick ihrem Material essayistische Freiräume. | |
Schwule Palästinenser in Israel: „Wir wollen kein Pinkwashing“ | |
Die Dokumentation „Oriented“ erzählt vom Leben junger Schwuler in Tel Aviv. | |
Der Clou: Sie sind Palästinenser mit israelischem Pass. | |
Berlinale-Rückblick: Mit Kino die Welt verändern | |
Bei der 66. Berlinale werden Filme belohnt, die poetische Bilder für große | |
politische Fragen finden. Der Goldene Bär ging an einen Lampedusa-Film. |