Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Spike Lees neuer Film „Chi-Raq“: „No Peace! No Pussy!“
> Lysistrata in Chicago: „Chi-Raq“ erzählt von einem Sexstreik für den
> Frieden. Eine Gruppe Frauen versucht so, einen Bandenkrieg zu beenden.
Bild: Ein bisschen viel Klamauk für ein so sensibles Thema. Teyonah Parris in …
Wenn jemand von den Waffen einer Frau spricht, ist schnell klar, wovon die
Rede ist. Nicht von Scharfsinn oder strategischem Denkvermögen, nein: Es
geht um Sex. Wenn sich Frauen nämlich in einer männlich dominierten Welt
durchsetzen wollen, dann steht ihnen als einziges Machtinstrument ihre
Vagina zur Verfügung.
Das ist zumindest die Kernthese von Spike Lees neuem Film „Chi-Raq“, in dem
sich eine Gruppe schwarzer Frauen im Süden Chicago organisiert, um mit
einem Sexstreik ihre Gatten (alles Gangster) zu einem Waffenstillstand zu
bewegen und den blutigen Bandenkrieg zu beenden, der schon sehr viele Leben
gekostet hat.
Erfunden hat dieses Motiv aber nicht Spike Lee, sondern Aristophanes in
seiner Komödie „Lysistrata“ (von 411 v. Chr.). In Anlehnung daran nennt der
US-amerikanische Regisseur die verfeindeten Nachbarschaften Sparta und Troy
City und lässt seine Figuren in Reimen sprechen. Einen Bezug zur Gegenwart
schafft Lee mit einer Szene, in der seine Lysistrata (gespielt von der
wunderbaren Teyonah Parris) die liberianische Friedensnobelpreisträgerin
Leymah Gbowee googelt, die einen ähnlichen Sexstreik als Protest
organisiert hat.
Was folgt, ist eine pointengeladene Agitprop-Nummernrevue, in der die Ladys
in Blaxploitation-Manier zur Badass-Army-Sexfantasie werden (etwa mit
knappem Militarylook) und ein Samuel L. Jackson in diversen pastellfarbenen
Hosenanzügen und mit Gehstock den Einmannchor gibt.
Das ist alles sehr amüsant und schön anzusehen – nicht nur aufgrund des
hervorragenden Casts: Wesley Snipes, Jennifer Hudson, Angela Bassett. Vom
Goldkettchen, das um Hauptdarstellerin Teyonah Parris’Oberkörper baumelt,
bis hin zu den farblich abgegrenzten Gangterritorien wirkt alles Visuelle
im inzwischen 44. Film, bei dem Spike Lee Regie geführt hat, bis ins
kleinste Detail sorgfältig inszeniert.
Auch die zahlreichen Musikszenen sind stilvoll arrangiert. Neben Jazz,
Gospel und R&B ist selbstverständlich auch HipHop prominent vertreten; dem
Genre ist schließlich der Filmtitel entlehnt: Auf Grundlage der
Beobachtung, dass in der vergangenen Dekade mehr Amerikaner in Chicago
durch Waffengewalt ums Leben gekommen sind als im Irakkrieg, nennen
Chicagoer Rapper ihre Heimatstadt neuerdings „Chi-Raq“.
## Ein bisschen viel Klamauk
Schade nur, dass all das über ein paar grundsätzliche Probleme des Films
nicht hinwegtäuschen kann. Man wundert sich, mit wie viel Klamauk ein so
sensibles Thema wie black-on-black-crime hier behandelt wird. Klar, Satire
darf das, und es klingen auch durchaus ernstere Töne an. Irritierend aber,
dass die schlauesten Statements, etwa zur gefährlichen Liaison zwischen
Waffenlobby und Regierung, einer der wenigen weißen Figuren, nämlich
Priester Corridan (John Cusack), in den Mund gelegt. Und das ausgerechnet
von Spike Lee, der in puncto Repräsentationspolitik die Dinge so genau
nimmt, dass er zum Boykott der diesjährigen Oscarverleihung aufrief, weil
kaum Schwarze nominiert wurden.
Was nach dem Film aber vor allem hängen bleibt, ist der repetitive
Protestslogan der Aktivistinnen, „No Peace! No Pussy!“, der, je öfter er
wiederholt wird, umso flacher und fragwürdiger wirkt. Spike Lee mag in
vielen Punkten des Films die Idee des griechischen Theaters souverän in den
modernen Kontext befördert haben. Doch dass in Zeiten des „Black Lives
Matter“-Aktivismus Sex zur einzigen unentbehrlichen Kompetenz der schwarzen
Frau erklärt wird, ist mehr als tragisch.
17 Feb 2016
## AUTOREN
Fatma Aydemir
## TAGS
Spike Lee
Chicago
Schwerpunkt Berlinale
Waffenlobby
Akademie der Künste Berlin
Schwerpunkt Berlinale
Schwerpunkt Berlinale
Schwerpunkt Berlinale
Schwerpunkt Berlinale
Israel
Schwerpunkt Berlinale
Queer
Academy Awards
Spike Lee
Spike Lee
Spike Lee
Spike Lee
## ARTIKEL ZUM THEMA
Im Norden steigt das Sicherheitsbedürfnis: Brüder, zu den Waffen
Seit der Silvesternacht von Köln haben sich deutlich mehr Menschen einen
Waffenschein besorgt als noch in den Vormonaten. Eine irrationale Angst
treibt sie um.
Berlinale-Ausstellung: Forum Expanded: Abgrundtiefe Lufträume
Die Akademie der Künste zeigt hochpolitische Arbeiten, bei denen Film und
zeitgenössisches Kunstschaffen miteinander paktieren.
Berlinale – Forum: Barock ist besser
„Le fils de Joseph“ strahlt im Berlinale-Forum. Regisseur Eugène Green
transformiert Kulturkritik gewohnt gut ins Komische und Absurde.
Berlinale – Wettbewerb: Über den Zaun zur Army
In Rafi Pitts’ Migrantendrama „Soy Nero“ sucht ein junger Mexikaner nach
der Eintrittskarte zur Welt der Reichen und Schönen.
Christine Vachon über queere Filme: „Okay, ich bin ja nur die Dekopflanze“
Seit Jahren engagiert sich die lesbische Filmproduzentin Christine Vachon
für den Queerfilm. Ein Interview über Fairness im Geschäft und den Erfolg
von „Carol“.
Berlinale-Film über Kritiker John Berger: Wie sehen wir Tiere an?
Vier Porträts zu vier Jahreszeiten: Die Dokumentation „The Seasons in
Quincy“ zeigt John Bergers besonderen Blick auf die Kunst und die Welt.
Nahostkonflikt im Film auf der Berlinale: The Kids are not alright
Udi Aloni hübscht in „Junction 48“ arabischen Befreiungsnationalismus mit
HipHop auf. Das hat was Folkloristisches.
Queere Filme auf der Berlinale: „Nichts Erreichtes ist sicher“
Fern der Heteronormativität: Der Teddy Award wird 30. Mitgründer Wieland
Speck über queeres Kino und seine internationalen Herausforderungen.
Die laszivste Szene der Berlinale: Ein aufgeklärter Psycho
„Já, Olga Hepnarová“ läuft im Panorama der Berlinale. Er erzählt vom
Ausgestoßensein einer lesbischen Frau, die zur Mörderin wird.
Rassismusdebatte um Oscar-Nominierung: Luftküsse und tschüss
Bei den Academy Awards sind keine Schwarzen nominiert – zum zweiten Mal in
Folge. Einige Gäste boykottieren nun die Veranstaltung.
Kinostart „Oldboy“: Entgrenzte Körper
„Oldboy“ von Spike Lee beruht auf einem Rachedrama des koreanischen
Regisseurs Chan-wook. Zerstörungswut findet keine kathartische Auflösung.
Filmfinanzierung durch Crowdfunding: Dollarregen für Spike Lee
Der US-Regisseur hat über das Portal „Kickstarter“ mehr als eine Million
Dollar an Spenden eingetrieben. Seinen Film über „Blutsucht“ kann er nun
ohne großes Studio drehen.
Finanzierung von Spike Lee-Film: Die Crowd soll Blut lecken
US-Regisseur Spike Lee sammelt für sein neues Filmprojekt Geld bei seinen
Fans ein. Kollege Soderbergh hat bereits die Spendenkasse klingeln lassen.
Portrait Spike Lee: Zu kritisierender Kritiker
Regisseur Spike Lee kritisiert den neuen Tarantino Film „Django Unchained“.
Er verharmlose die Sklaverei. Gesehen hat er den Film aber nicht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.