# taz.de -- Nahostkonflikt im Film auf der Berlinale: The Kids are not alright | |
> Udi Aloni hübscht in „Junction 48“ arabischen Befreiungsnationalismus mit | |
> HipHop auf. Das hat was Folkloristisches. | |
Bild: Szene aus Udi Alonis Junction 48 mit Samar Qupty und Tamer Nafar. | |
Arabische Israelis, die HipHop machen. Aus Lod. Da horcht man auf. Lod, die | |
Kleinstadt östlich von Tel Aviv, bis 1948 überwiegend arabisch besiedelt, | |
gehört heute zum israelischen Kernland. Aus Lod stammen immerhin so | |
berühmte Persönlichkeiten wie George Habash, der 2008 verstorbene Chef der | |
gefürchteten palästinensischen PFLP. | |
Doch mit einem früheren Paten des Hasses auf palästinensischer Seite will | |
sich Regisseur Udi Aloni in „Junction 48“ aktuell nicht beschäftigen. Aloni | |
geht es vielmehr darum zu zeigen, wie sehr die israelische Gesellschaft | |
ihre nicht jüdischstämmige Bevölkerung (also etwa ein Fünftel der | |
Bevölkerung) diskriminiere. In Kontinuität seit 1948, der Staatsgründung, | |
versteht sich. | |
Um dies zu illustrieren, hat Aloni, der israelisch-amerikanische Regisseur, | |
als Hauptdarsteller Tamer Nafar gecastet. Nafar ist eine tatsächlich | |
existierende israelisch-arabische HipHop-Größe. In „Junction 48“ spielt | |
Nafar den Rapper „Kareem“, hängt mit anderen Jungs in provisorischen | |
Studios und elterlichen Dachwohnungen im arabischen Stadtteil von Lod ab | |
(im Film: „das Ghetto“). Man lebt in den Tag hinein, nebenan füttern die | |
Alten ihre Ziegen. Ein Teil von Kareems Freunden ist in den lokalen Handel | |
mit weichen Drogen involviert. Die harten gibt’s bei einem Dealer mit | |
Rufnamen „Imam“. | |
Aber vor allen sind da die taffen Auseinandersetzungen mit israelischen | |
Cops, die die arabischstämmigen Jungs in so einigen Filmszenen | |
schikanieren. Und ein Grundkonflikt – you remember: „Junction 48“ – um … | |
Besitztitel eines elterlich/großelterlichen Hauses, das geräumt werden | |
soll. Kareems HipHop-Gang protestiert wie das ganze Viertel dagegen. | |
Auch einen Ausflug der männlichen Rap-Rebellen ins Bordell hält der Film | |
bereit (klar, zu wohl jüdischen Nutten). Man steht ja auch gegen die | |
Islamisten und ihre rigide Prüderie. Mehr Offenheit und „Selbstkritik“ auf | |
arabisch-israelischer Seite hält der Film aber kaum bereit. | |
Neben dem HipHopper Kareem ist dessen Freundin „Manar“ die zentrale Figur | |
in „Junction 48“. Manar soll wohl als Role Model für weibliche Linke | |
fungieren. Ihre Filmszenen stehen im Zeichen offensiv vorgetragener | |
Oriental-Folklore. Die junge anständige Frau aus Lod huldigt ausdauernd in | |
Folklore-Songs dem „Land ihrer Vorfahren“. Da bleibt kein Auge trocken. Nur | |
dass man nicht weiß, wie dieser kerzenwarme Kitsch zum mackerhaften HipHop | |
eines Kareem passen soll. | |
Folklore, HipHop und arabischer Befreiungsnationalismus united? Später | |
tritt Maner vor den Bildern von Marx, Engels, Lenin – die früheren Heroen | |
Mao und Stalin sind an der Wand durchgestrichen – im arabischen | |
Heimatverein von Lod auf. Einer der Höhepunkte von „Junction 48“ ist die | |
Ehrenrettung von Manar durch Kareems HipHop-Crew in einem | |
jüdisch-israelischen Klub. Gnadenlos überzeichnete jüdisch-israelische | |
Rassisten bedrängen sie, die ebenfalls gnadenlos überzeichnete Rose des | |
arabischen Lods, die tapfer den palästinensischen Patriotismus vertritt. | |
Die Rollen in diesem Film sind leider allzu klar verteilt: dort die | |
palästinensische Opfergesellschaft, hier die jüdische Tätergemeinschaft. | |
Das ist bequem, befestigt aber nur die unproduktiven Frontverläufe. Wer | |
glaubwürdig Missstände im Staate Israel kritisieren möchte, sollte dafür | |
besser das völkische Dispositiv verlassen. Der jugendkulturelle Anstrich | |
von Alonis Film dient so jedoch vor allem dazu, den alten unversöhnlichen | |
arabischen Befreiungsnationalismus aufzuhübschen. | |
17 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
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