| # taz.de -- Die Wahrheit: Des Meisters verschwiegene Meinung | |
| > Nichts hat Seehofers Denkens so enthüllt und freigelegt wie seine | |
| > Erläuterung zu einer Nachfrage bei einer seiner jüngsten | |
| > Pressekonferenzen. | |
| Gemeinhin gilt Horst Seehofer ja als Meister der vielsagenden Attacke und | |
| der rotierenden Gesinnung. Da gewährt er dem Fernsehmann Claus Kleber | |
| gnädig, seine im Interview gesprochenen Sätze sehr gerne auch senden zu | |
| dürfen, oder lässt sogar Fragen zu, die er sich selbst gar nicht gestellt | |
| hat. Oder er setzt sich in diesen dunklen Zeiten des herrschenden Unrechts | |
| tapfer selber ins Recht. | |
| Aber nichts hat das Prinzip des Seehofer’schen Denkens so enthüllt und | |
| freigelegt wie seine Erläuterung zu einer Nachfrage bei einer seiner | |
| jüngsten Pressekonferenzen, ob er das, was er sage, denn auch so meine. | |
| Darauf entgegnete der bayerische König der Worte mit einem grandios | |
| begründeten Ja, indem er fortfuhr: „Was ich nicht sage, meine ich auch | |
| nicht!“ | |
| Tiefer als durch diesen Satz kann man nicht in die Wittgenstein’sche Welt | |
| des Unsagbaren und Ungesagten eindringen. Diese eine Antwort hat Jahrzehnte | |
| moderner Sprachphilosophie mit einem Schlage überflüssig gemacht. Wo es im | |
| Schlussparagrafen 7 im „Tractatus logico-philosophicus“ noch heißt: „Wov… | |
| man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen“, lässt Seehofer die | |
| Welt des Schweigens als einen Ort des Nicht-Meinens aufleuchten. | |
| Man bedenke trotz seiner scheinbaren Plapperhaftigkeit einmal, was Seehofer | |
| so Tag für Tag alles nicht sagt. Sagt er was zu Söder oder Aigner? Nein, | |
| denn er meint auch nichts. Sagt er was zu seiner Amtsführung in der | |
| Rechtsnachfolge des bayerischen Märchenkönigs? Wieder nichts, denn eine | |
| bloße Meinung wäre ja in Gestalt des Unwissens überflüssig. Seehofers Welt | |
| dreht sich ausschließlich in der Sphäre der Klarheit und des Wissens. In | |
| all den Momenten, in denen Horst Seehofer nichts sagt und schweigt, lässt | |
| er die ganze Nichtigkeit des bloßen Meinens hinter sich. | |
| Für einen Horst wie ihn ist das nicht der Rede wert. Da geht er weit über | |
| seinen Vorgänger Wittgenstein hinaus, der seinerzeit nicht nur den Leser | |
| des „Tractatus“, sondern auch sich selber ratlos zurückließ. Zwischen | |
| Meinung und gewusster Äußerung passt bei Seehofer kein Iota, er filtert aus | |
| dem Weltgeschehen unfehlbar das heraus, was stimmt. Und was er nicht sagt, | |
| das stimmt halt nicht. Da können die anderen reden, was sie wollen. | |
| Und sie tun es ja auch unablässig – zum Beispiel Dieter Kosslick im | |
| Interview anlässlich der Eröffnung der Berlinale, als er über deren | |
| ungebrochene Lebendigkeit reflektierte: „Morituri te salutant!“, freute er | |
| sich ins Mikrofon, um per Synchronisation des Gemeinten ins Gesagte dies | |
| sofort ins Sagenhafte zu heben: „Die Totgeborenen grüßen dich!“ So etwas | |
| Letales käme dem großen Horst nicht über die Lippen. Dafür ist sein | |
| lebensbejahendes Wesen zu grundfreundlich. Denn wenn auch die meisten | |
| Meinungen der Mitwelt für ihn geistige Totgeburten sind, so schweigt er | |
| dazu lieber – auch wenn die vielen anderen sich darüber ärgern. Aber genau | |
| das ist überflüssig: Der Horst, der meint‘s doch gar nicht so. Sonst hätt�… | |
| er‘s doch g‘sagt, Herrschaftszeiten! | |
| 18 Feb 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Reinhard Umbach | |
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