Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Nahostfilme auf der Berlinale: Ein Mädchen namens Layla
> Der Nahe Osten steht in Flammen, Krieg und Kultur aber vertragen sich
> nicht. Besondere Filme aus der Region sind aus Israel zu erwarten.
Bild: Jalal Marsawa und Lamis Ammar in „Sufat Chol“.
Die Berlinale will sich angesichts der dramatischen Situation im Nahen
Osten und der Flüchtlinge unbedingt solidarisch geben. „Ein Filmfestival
kann vielleicht dazu beitragen“, sagt Festivalchef Dieter Kosslick in einem
Interview des Deutschlandfunks, „mehr Toleranz zu erzeugen, weil man
einfach Menschen und Situationen sieht, von Geschichten erfährt, die völlig
anders sind als die, die man sonst von den Leuten kennt.“
Doch wo Bürgerkriege oder besonders repressive Systeme herrschen, entstehen
selten – und so nebenbei – interessante (Spielfilm-) Produktionen. Krieg
und Kultur vertragen sich nicht. Das wissen auch Kosslick und sein
Festivalteam.
Im Programm des Forums bemüht man sich dennoch, symbolisch Akzente zu
setzen. Mit „Houses without doors“ wird ein Dokumentarfilm aus dem heute
besonders umkämpften syrischen Aleppo gezeigt. Filmisch ist das
zwiespältig. Denn Regisseur Avo Kaprealian hat zwar unter Lebensgefahr vom
elterlichen Balkon aus heimlich Alltag und Straßenkämpfe in der
zweitgrößten Stadt Syriens dokumentiert. Doch ästhetisch hat Kaprealian
keine befriedigende Sprache dafür gefunden.
So bleibt es bei einer Ästhetik des Moments, die sich rasch erschöpft.
Zudem sind bereits gehaltvollere Dokumentationen (im syrischen Untergrund)
gedreht und versendet worden. Aber darf man dies überhaupt anmerken
angesichts der misslichen Umstände? Vielleicht muss man dies sogar. Denn
das Setzen auf reine Betroffenheit war immer schon eine fadenscheinige
Angelegenheit.
Naturgemäß besonders umstritten ist das kleine Land im Nahen Osten, in dem
als einziges halbwegs rechtsstaatliche und demokratische Verhältnisse in
der Region herrschen. Und das sich mit einer Mauer gegen Attentäter
schützt. Ja, die Rede ist von Israel, mit seiner reichen kulturellen
Tradition, mit seiner Fähigkeit zur Selbstkritik, das in den letzten Jahren
immer wieder mit sehr überraschenden Beiträgen auf dem Festival vertreten
war.
## „Inertia“ wirkt leicht depressiv
Doch wo ringsherum die Region in Flammen steht und von einem
Aussöhnungsprozess zwischen Israelis und Palästinensern kaum mehr die Rede
sein kann, scheint auch die Filmproduktion zu stagnieren. Oder der Blick
der Berlinale-Kuratoren hat sich ideologisch in Richtung professioneller
Israel-Kritik verengt.
Diese Vermutung legen jedenfalls filmisch so belanglose Beiträge wie „P.S.
Jerusalem“ (eindimensional abgedrehter Antizionismus von Danae Elon) oder
„Between Fences“ (theaterpädagogisch überreizte Erste-Welt-Kritik von Avi
Mograbi) im Forum nahe.
Immerhin bietet das Forum dem Berlinale-Publikum noch einen israelischen
Spielfilm wie „Inertia“ von Idan Haguel an. „Inertia“ wirkt leicht
depressiv, beinhaltet aber ein paar Rätsel, einige interessante
Einstellungen und mit Ilanit Ben-Yaakov eine kantig-faszinierende
Hauptdarstellerin, die sehr interessante Sweat-Shirts mit Vogelmotiven
trägt. Das ist doch schon einmal was.
Auch wenn man den ganzen Film über nicht weiß, was diese Frau in der
israelischen Hochhaussiedlung so einsam gemacht hat. Wenn man auch gerne
glaubt, dass das merkwürdige Verschwinden des Mannes für die
Hauptdarstellerin kein großer Verlust gewesen sein kann. Soll ja häufiger
der Fall sein. Nur bleiben Trauer, Depression und die an und für sich
sympathische Weirdness in „Inertia“ so unbestimmt, dass man sich schon
fragt, ob dafür tatsächlich 90 Minuten Spielfilm notwendig sind.
Ein richtiges Highlight dagegen ist „Sufat Chol“ („Sandsturm“). Der
Spielfilm von Elite Zexer wird im Panorama aufgeführt. Regisseurin Zexer
verbindet eine sensible gesellschaftliche Betrachtung mit einer ruhigen, in
sich sehr schlüssigen Spielfilmästhetik. So erlaubt ihr Film Widersprüche,
wie sie nun einmal in fortschrittlichen wie rückständigen Konstellationen
auftauchen, sofern man sie wahrnehmen will. Aber ohne diese zu markieren,
macht Filmen und Reden darüber keinen Sinn.
Zexer erzählt die Geschichte einer fast schon modernen Israelin, die sich
versucht, von der beduinischen Clanstruktur zu emanzipieren. Halb ist
dieses Mädchen namens Layla der paternalistischen Herkunft bereits
entwachsen. Schlau und zornig, bleibt sie materiell und emotional an
Familie und Dorf gekettet.
## Verrat am Medium
Der Wille zum Bruch ist wie schon bei der Mutter da. Layla geht
Verbindungen ein, die sie nicht eingehen darf. Sie pflegt über das
Bildungssystem verlockende Beziehungen zur Außenwelt. Doch die klapprige
Beduinensiedlung am Rande der israelischen Gesellschaft erweist sich als
eine zäh zu überwindende Festung. Ihr Vater Sulimann und ihre Mutter Jalila
reflektieren bereits die alten patriarchalen Überlieferungen, ohne
Konsequenz. Im Zweifelsfall zieht sich die Schnecke zurück in ihr Haus. Die
Clanstruktur ist unerbittlich. Und eigentlich müsste man jetzt hier auch
sagen: die arabische, wenn dies nicht immer so viele Missverständnisse
hervorrufen würde.
In einer so kleinen und ruhigen Produktion wie „Sufat Chol“ steckt viel von
dem Anspruch, den der Eingangs zitierte Festivaldirektor Dieter Kosslick
formuliert hat: Menschen und Geschichten durch ein Filmfestival zu
entdecken, über die man aus der Entfernung sonst oft nur in Stereotypen
denkt und erfährt. „Sufat Chol“ stemmt sich auch mutig gegen jene Beiträg…
die Film vor allem als Mittel von Propaganda verstehen und damit im Grunde
Verrat am Medium begehen.
Über die depressive Haltung von „Inertia“ kann man streiten. Auch ob es
Sinn ergibt, im Geiste der Solidarität „Houses without doors“ für
festivalwürdig zu erachten. Eine ideologische Engstirnigkeit wie bei „P.S.
Jerusalem“ muss aber nicht sein. Sie zieht sich aber doch durch einige der
für die Berlinale ausgewählten Produktionen. Als ob eine professionell und
selbstgerechte Israelkritik unsichtbar Regie führte und den offenen Blick
verstellt. So können filmisch keine Mauern eingerissen werden, worüber bei
anderer Gelegenheit noch zu reden sein wird.
12 Feb 2016
## AUTOREN
Andreas Fanizadeh
## TAGS
Schwerpunkt Berlinale
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Tunesien
Filmfestival
Israel
Schwerpunkt Berlinale
Schwerpunkt Berlinale
Schwerpunkt Berlinale
Schwerpunkt Berlinale
Schwerpunkt Berlinale
Schwerpunkt Berlinale
Trash
Joel und Ethan Coen
## ARTIKEL ZUM THEMA
„Hedis Hochzeit“ im Kino: Der Fluch der Familie
Mohamed Ben Attia ist ein ausgezeichneter Film über eine in Konventionen
verfangene tunesische Gesellschaft nach der Jasmin-Revolution gelungen.
Jüdisches Filmfestival in Berlin: Die Leinwand wird zum Politikum
Das Jüdische Filmfestival setzt gleich zum Start am Samstag auf Chuzpe –
und liefert zum Beispiel sportliche Lösungsvorschläge für den
Nahostkonflikt.
Nahostkonflikt im Film auf der Berlinale: The Kids are not alright
Udi Aloni hübscht in „Junction 48“ arabischen Befreiungsnationalismus mit
HipHop auf. Das hat was Folkloristisches.
Berlinale-Rezension „Midnight Special“: Mit biblischem Unterton
Der US-amerikanische Regisseur Jeff Nichols, Held des Independent-Kinos,
dreht mit „Midnight Special“ erstmals einen Science-Fiction-Film.
Regisseur Burman über „El rey del Once“: „Kein Tango in Buenos Aires“
Im jüdisch geprägten Textilviertel von Buenos Aires inszeniert Daniel
Burman humorvoll die Annäherung von Vater und Sohn.
Merkel empfängt zwei Clooneys: Macht trifft Kaffeekapsel
Angela Merkel bekommt Besuch von Amal Clooney – die Menschenrechtlerin hat
ihren schauspielernden Ehemann auch mitgebracht.
Staralbum: Ethan und Joel Coen: Die Stoischen
Joel reibt sich müde die Augen, Ethan starrt ins Leere: Die Coen-Brüder,
neben George Clooney auf dem Podium, sind coole Säue.
„Hail, Caesar!“ auf der Berlinale: Im Zweifel hilft beichten
Die Coen-Brüder verneigen sich in „Hail, Caesar!“ vor der Dream Factory
Hollywood – mit einem großen Genre-Potpourri.
Berlinale, Tag 1: Was bisher geschah: Alles unter Kontrolle
Bei der Vorstellungs-Pressekonferenz der Jury wirkt Meryl Streep
überzeugend. Leider waren einige Fragen ziemlich doof.
Berlinale – Forum: Wetten auf die Rausgehquote
Im Programm „Hachimiri Madness – Japanese Indies from the Punk Years“ gibt
es alte japanische 8-mm-Filme zu sehen.
Berlinale, Tag 1: Was uns erwartet: Flucht, Glück, Langformat
Am Donnerstag eröffnet die Berlinale mit „Hail, Caesar!“ von den
Coen-Brüdern. Die 66. Filmfestspiele stehen im Zeichen des „Rechts auf
Glück“.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.