# taz.de -- Berlinale – Forum: Wetten auf die Rausgehquote | |
> Im Programm „Hachimiri Madness – Japanese Indies from the Punk Years“ | |
> gibt es alte japanische 8-mm-Filme zu sehen. | |
Bild: Still aus „High-School-Terror“ (Japan 1979) | |
Allein schon wegen ihres Titels – „Hachimiri Madness – Japanese Indies fr… | |
the Punk Years“ – wird die Reihe mit frühen japanischen Filmen sicherlich | |
gut besucht werden. Das Label Punk wurde in den vergangenen Jahren gern | |
verwendet, wenn es darum ging, in die 1980er Jahre zurückzublicken. Was | |
damit gemeint sein könnte, ist schon im Rückblick auf das Westberlin der | |
achtziger Jahre eher schwammig. Und immer denkt man ja auch daran, dass | |
„The Great Rock ‚n‚ Roll Swindle“, mit dem das alles begann, von der | |
Etablierung einer Marke erzählte. | |
Keiko Araki, Leiterin des PiaFilmfestivals Tokio, Jacob Wong, Kurator des | |
Hong Kong Film Festivals, und der Leiter des Berlinale Forums, Christoph | |
Terhechte, kuratieren die Filmreihe, die aus sieben neu digitalisierten und | |
untertitelten japanischen 8-mm-Filmen besteht. Die Filme entstanden | |
allesamt zwischen 1977 und 1990. | |
Vertreten sind unter anderem Nobuhiro Suwa, Shinobu Yaguchi und Sion Sono | |
mit ihren Langfilmdebüts sowie Sogo Ishii mit einer frühen Arbeit von 1977. | |
Sogo Ishii, der sich mittlerweile Gakuryu Ishii nennt, schreibt sich die | |
von Kritikern oft verwendete Bezeichnung als Punkregisseur nach | |
Eigenaussage auf einer Filmdatenbank selbst zu, da er seine ersten Filme, | |
die er zwischen 1980 und 1983 produzierte, ursprünglich selbst als seine | |
„Punkfilme“ bezeichnet. Bekannt wurde er in Berlin unter anderem mit der | |
aufgeregt lustigen Familiengroteske „Die Familie mit dem umgekehrten | |
Düsenantrieb“ (1984) und seinem Film über die Einstürzenden Neubauten „½ | |
Mensch“ (1986), die beide im Forumsprogramm der Berlinale gezeigt worden | |
waren. | |
Sein 43-minütiger Film „Isolation of 1/8800000“ (1977) berichtet davon, wie | |
sich der gehbehinderte, sexsüchtige Teramitsu für die Aufnahmeprüfung zur | |
Tokioter Waseda-Universität vorbereitet. Über dem Schreibtisch des jungen | |
Helden hängt der Satz „Yes, I can“. Nicht ganz einfach, wenn die Nachbarn | |
noch fröhlich um 12 Uhr nachts Musik machen. Die Pornohefte stören eher bei | |
der Arbeit, als ihn dafür belohnen zu können. Wird Teramitsu durchdrehen, | |
wird er seine Prüfung bestehen? Oder beides? | |
Besonders gespannt war man auch auf die beiden Frühwerke von Sion Sono. | |
1993 war der japanische Regisseur mit dem großartigen Film „Heya – the | |
Room“ im Forum vertreten, der von einem Killer erzählt, der ein Zimmer | |
sucht, um sich darin umzubringen. 2009 gewann er mit seinem ausufernden, | |
komisch-existenzialistischen, Georges-Bataille-mäßigen Werk „Love Exposure�… | |
den Caligari-Preis. Seine beiden frühen, quasi autobiografischen Filme „I | |
am Sion Sono!!“ (1984) und „A Man’s Flower Road“ (1986) sind sicher | |
sympathisch, jedoch noch ein paar Lichtjährchen von diesen Filmen entfernt. | |
Der 43-minütige „I am Sion Sono!!“ ist das exaltierte Filmtagebuch eines | |
begabten jungen Künstlers. Der damals 22-Jährige sieht aus, als wäre er 16, | |
trinkt Beuteltee aus Pappbechern und redet mit Mickymaus-Stimme auf eine | |
Freundin ein. Die altmodisch billige Aufnahmetechnik macht Spaß, das Mikro | |
sieht aus wie ein Spielzeug. | |
Auch in „A Man’s Flower Road“ (1986) spielt Sion Sono, der „Punkpoet“… | |
selbst. Auf das wilde Intro mit Baden in einem dreckigen Fluss folgen | |
Familienszenen. Die Eltern wirken liberal und machen verständnisvoll gern | |
mit. | |
Da und dort gibt es auch schöne, stille Aufnahmen. Irgendwann summt jemand | |
„She’s leaving home“ von den Beatles. Die rezensierenden Kollegen im | |
Kinosaal stöhnen auf, „harte Arbeit“, klagt der eine; ein anderer würde | |
darauf wetten, dass das Programm die höchste Rausgehquote bei der Berlinale | |
haben wird. | |
Die richtigen Fans bleiben umso entschlossener sitzen; es gibt ja auch noch | |
anderes zu sehen. Zum Beispiel den wunderbaren Erstlingsfilm „Hanasareru | |
Gang“ (1984) von Nobuhiro Suwa. 2001 drehte der aus Hiroschima stammende | |
Regisseur ein Remake von Alain Resnais‚ „Hiroshima mon amour“. Auch sein | |
erster Langfilm ist durchdrungen von der Liebe zur Nouvelle Vague und hat | |
zumindest zwei Ebenen. | |
Die Spielfilmhandlung, die mit viel 60er-Jahre-Jazz unterlegt ist, erzählt | |
von einer jungen Frau, die sich einem Kleinkriminellenduo anschließt. Einer | |
der beiden Gangster ist gehörlos. Eine Pistole ist auch dabei. Sie lesen | |
und zitieren Tom Sawyer. In dem Auto, das sie stehlen, finden sie einen | |
Koffer voll Geld. Aus dem Off kommentieren sie die Handlung, deren | |
Erzählweise zwischen Tragödie und Slapstick changiert. | |
Neben zwei kurzen Filmen von Macoto Tezka gibt es noch Shinobu Yaguchis | |
sehenswerten „Rain Women“ (1990), der von zwei Frauen handelt, die sich | |
eine Wohnung teilen, als J-Pop-Duo auftreten, unter Verschleiß zahlreicher | |
Regenschirme durch feuchte Landschaften stolpern und sich schließlich | |
trennen. | |
Das Punkprogramm ist ein bisschen enttäuschend. Vor allem von Sion Sono und | |
Gakuryu Ishii gibt es einige sehr viel bessere Filme, die noch nicht in | |
Deutschland zu sehen waren. | |
Forum, Reihe Hachimiri Madness, 12. bis 18. 2., Arsenal 1 | |
11 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Detlef Kuhlbrodt | |
## TAGS | |
Trash | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Spielfilm | |
italienisches Kino | |
Science-Fiction | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Queer | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Joel und Ethan Coen | |
Schwerpunkt Berlinale | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Performancefilm „A Thought of Ecstasy“: Ein Mann sucht und findet den Exzess | |
Der Regisseur RP Kahl nutzt das Kino als Utopie und Schutzraum. In seinem | |
Film „A Thought of Ecstasy“ inszeniert er gegen das Rationale an. | |
Spielfilm über Junkie-Freundschaft: Attraktive Loser mit zu viel Zeit | |
Was machen wir heute? Pillen schmeißen. Claudio Caligaris „Tu nichts Böses�… | |
lebt von Anarchie und schlägt sich auf die Seite der Geschundenen. | |
Als Paketbotin durchs Welltall: Jeder Tag ist wispernder All-Tag | |
In seinem Film „The Whispering Star“ folgt Regisseur Sion Sono einer | |
Paketbotin von Planet zu Planet durch eine postkatastrophische Welt. | |
Kolumne Draußen im Kino: Der Mann, der seine Frau filmt | |
Ständig sieht man tolle Filme und genießt jede Nacht bei Berlinale-Partys? | |
Schön wär‘s. Man ist schon hinüber vom vielen Rauchen beim Schreiben. | |
Nahostfilme auf der Berlinale: Ein Mädchen namens Layla | |
Der Nahe Osten steht in Flammen, Krieg und Kultur aber vertragen sich | |
nicht. Besondere Filme aus der Region sind aus Israel zu erwarten. | |
Berlinale – Perspektive Deutsches Kino: Zeigen, wer sie sind | |
Junge Männer und ihre Sorgen, Öko-Psycho-Thrillerchen und ein kleines | |
Romamädchen als Star: der Blick aufs Nachwuchskino. | |
„Hail, Caesar!“ auf der Berlinale: Im Zweifel hilft beichten | |
Die Coen-Brüder verneigen sich in „Hail, Caesar!“ vor der Dream Factory | |
Hollywood – mit einem großen Genre-Potpourri. | |
Die laszivste Szene der Berlinale: Ein aufgeklärter Psycho | |
„Já, Olga Hepnarová“ läuft im Panorama der Berlinale. Er erzählt vom | |
Ausgestoßensein einer lesbischen Frau, die zur Mörderin wird. | |
Retrospektive auf der Berlinale: Uns trennt kein Abgrund | |
Spannender Systemvergleich: das Sonderprogramm „Deutschland 1966 – | |
Filmische Perspektiven in Ost und West“ bei der diesjährigen Berlinale. | |
Berlinale, Tag 1: Was bisher geschah: Alles unter Kontrolle | |
Bei der Vorstellungs-Pressekonferenz der Jury wirkt Meryl Streep | |
überzeugend. Leider waren einige Fragen ziemlich doof. | |
Berlinale, Tag 1: Was uns erwartet: Flucht, Glück, Langformat | |
Am Donnerstag eröffnet die Berlinale mit „Hail, Caesar!“ von den | |
Coen-Brüdern. Die 66. Filmfestspiele stehen im Zeichen des „Rechts auf | |
Glück“. | |
Meryl Streep im Porträt: Die Wandlungsfähige | |
Niemand ist so vielseitig wie Meryl Streep. Das erste Mal ist sie nun | |
Präsidentin einer Filmfest-Jury. Sorgt sie für eine Überraschung bei der | |
Berlinale? |