# taz.de -- Die laszivste Szene der Berlinale: Ein aufgeklärter Psycho | |
> „Já, Olga Hepnarová“ läuft im Panorama der Berlinale. Er erzählt vom | |
> Ausgestoßensein einer lesbischen Frau, die zur Mörderin wird. | |
Bild: Szene aus dem Debutfilm „Já, Olga Hepnarová“ der Regisseure Tomas W… | |
Tschechoslowakei, frühe Siebziger. Eine Welt – grau in grau. In einer | |
Kneipe läuft psychedelische Musik, Menschen tanzen. Eine junge Frau mit | |
markanter Frisur und noch markanterem Körperbau (extrem dürr) kommt an | |
einen Tisch, die Jacke leicht geöffnet, darunter nur der Körper, die Brust | |
entblößt. Sehr natürlich ist das (richtig gut: Michalina Olszańska). | |
Auffordernd sieht sie eine andere Frau an, sie tanzen und küssen sich. Ob | |
hetero, homo oder bi ist an diesem Ort egal. So mancher wird überrascht | |
sein über so viel Freizügigkeit hinter dem Eisernen Vorhang. Olga scheint | |
glücklich. Es ist einer der wenigen Momente im Film (und in ihrem Leben), | |
wo das so ist. | |
Die Szene wird in Erinnerung bleiben – als vielleicht laszivste dieser | |
Berlinale. Zu sehen ist sie schon im Eröffnungsfilm des Panorama, dem | |
Langfilm-Debüt von Tomáš Weinreb und Petr Kazda. „Já, Olga Hepnarová“ | |
basiert auf der wahren Geschichte einer lesbischen Frau, die die | |
Gesellschaft als feindlich empfindet – als Folteropfer ihrer eigenen | |
Familie, als Mensch in einer inhumanen Welt. | |
Der Film ist ein Glücksfall für die Queerfilm-Festivalsektion. Er bringt | |
politisch engagiertes (Trans-)Gender-Mainstreaming mit den Spielarten des | |
Kinos in Deckung. Was sonst oft getrennt bleibt, findet hier zusammen: Jene | |
„Kampfkraft“, die für Sektionsleiter Wieland Speck vom Thema | |
„Sichtbarmachung von Nicht-Heterosexualität“ ausgeht, und eine stringente | |
filmische Form. | |
Die Biographie der 1951 geborenen Hepnarová macht deutlich, wie | |
(selbst‑)zerstörerisch sich die psychische Welt derer ausnehmen kann, die | |
von ihrer Umwelt ausgeschlossen und abgestoßen, drangsaliert und zermalmt | |
werden. Olga flüchtet aus einer funktionierenden Familie (“Alle Eltern | |
sollten exekutiert werden und die Kinder ins Heim kommen!“), zieht in eine | |
heruntergekommene Hütte und scheint ein für sie passendes proletarisches | |
Bohème-Dasein als Lastwagenfahrerin zu etablieren. | |
Immer wieder wendet sie sich an ihre Mutter, die doch nur Psychopharmaka zu | |
bieten hat. Die psychiatrische Klinik fühlt sich nicht zuständig. So | |
bleiben Zigaretten und Pillen, das Verfassen von Tagebüchern und Briefen | |
und schließlich der Entschluss zur Tat. | |
„Ich weiß ich bin ein Psycho, aber aufgeklärt. Ihr werdet euer Lachen | |
bereuen.“ Ein Racheakt mit frontaler Ansage und bewussten Folgen. Im Juli | |
1973 fährt sie mit einem LKW in eine Menge und tötet acht Menschen. 1975 | |
dann: Todesstrafe am kurzen Strang, die letzte an einer Frau vollzogene in | |
der ČSSR. | |
Weinreb/Kazda halten sich eng an die Überlieferung und rekonstruieren | |
dieses schwierige Leben, inklusive Abwendung von der Realität und | |
Hinwendung zur unbeseelten Materie. Genau deshalb gelingt dem Film die | |
spielerische Auflösung eines radikalen inneren Determinismus. Ein | |
Aufflackern ambivalenter Emotionen inmitten der Dauer-Gefühlslosigkeit ist | |
möglich. Liebe auch. Kein ödes Biopic ist das, sondern Psycho- und | |
Sozialanalyse als Queer-Film. | |
11 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Barbara Wurm | |
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