# taz.de -- Arabische Musik in Israel: Lange tabu, jetzt hip | |
> Immer mehr israelische Künstler, deren Großeltern aus einem arabischen | |
> Land einwanderten, begeben sich auf Spurensuche – und singen auf | |
> Arabisch. | |
Bild: Drei Schwestern, eine Band: A-WA stürmte im vergangenen Jahr die israeli… | |
So etwas hätte es früher nicht gegeben: Im Barood, einem kleinen, urigen | |
Restaurant in einem Hinterhof im Zentrum Jerusalems, steht die Israelin | |
Neta Elkayam am Mikrofon und singt – auf Arabisch. | |
Drei Männer Mitte 30 sitzen auf der Bank in der Ecke hinter ihr, der eine | |
trommelt auf der Darbuka, zwei spielen Mandoline und Banjo. Es sind | |
traditionelle arabische Lieder, und viele der rund 30 israelischen Gäste im | |
ausgebuchten Restaurant hält es an diesem Abend nicht mehr auf ihren | |
Stühlen. Sie stehen auf, klatschen im Takt, kreisen die Arme und schwingen | |
die Hüften zu den orientalischen Klängen, die Kellner tänzeln dazwischen | |
von Tisch zu Tisch. | |
Die 35-jährige Neta Elkayam, eine kleine Frau mit dunkelbraunen Haaren, | |
einem runden, freundlichen Gesicht und braunen, leuchtenden Augen, hat sich | |
auf die Suche nach ihren Wurzeln begeben und ein Tabu gebrochen. Sie singt | |
in der Sprache ihrer jüdischen Großeltern, die vor mehr als 50 Jahren aus | |
Marokko nach Israel einwanderten. | |
„Der Klang der Sprache, das ist wie die Erinnerung an ein Land, in dem ich | |
nie gelebt habe, das Land meiner Großeltern. Sie sind mittlerweile | |
verstorben, aber die Erinnerung, die Kultur und die Musik, die sie | |
mitgebracht haben, die sind geblieben. Ich nutze nun die Sprache, um diese | |
Erinnerungen aufrechtzuerhalten“, erzählt Neta nach dem Konzert. | |
Arabisch gilt plötzlich als hip: Wie Neta begeben sich immer mehr junge | |
israelische Künstler auf die Spuren ihrer Großeltern, die aus dem Jemen, | |
dem Irak, aus Marokko oder Tunesien einwanderten. Sie graben die alten | |
Lieder wieder aus, die Oma und Opa sonst nur zu Hause hinter verschlossener | |
Türe hörten. Denn auch wenn Arabisch eine der Amtssprachen Israels ist – | |
für jüdische Israelis galt sie lange Zeit als tabu. | |
## Die Sprache des Feindes | |
Im Schmelztiegel Israel sollte eine westlich geprägte Kultur entstehen und | |
Neuhebräisch gesprochen werden. Arabisch war besonders verpönt, wie die | |
israelische Soziologin Talia Sagiv erklärt: „Die Einwanderer aus den | |
westlichen Ländern, die damals in Israel das Sagen hatten, mussten eine | |
klare Trennung machen zwischen den einheimischen, Arabisch sprechenden | |
Palästinensern und den jüdischen Einwanderern aus islamischen Ländern, die | |
Teil des zionistischen Traums waren. Und obwohl die einzelnen Kulturen | |
aller Einwanderer im Schmelztiegel nicht erwünscht waren, waren die Kultur | |
und die Sprache der islamischen Länder stärker davon betroffen, eben weil | |
Arabisch als die Sprache des Feindes galt.“ | |
So haben zwar auch Neta Elkayams Eltern noch Arabisch gelernt, es aber | |
meist nur zu Hause gesprochen. Neta selbst verstand nur wenig, als sie | |
begann, auf Arabisch zu singen. „Ya Umi“ war das erste Lied, das sie vor | |
vier Jahren aufnahm. Eigentlich arbeitete sie als Kunstlehrerin und wollte | |
für ihre Mutter nur zum Geburtstag ein traditionelles Lied singen. | |
„Ich stieß auf eine Sängerin aus Algerien. Sie hatte drei verschiedene | |
Namen und so viele Identitäten, sie war jüdisch, französisch und arabisch, | |
all das, was ich auch bin. Ich wählte eines ihrer Lieder, nahm es auf und | |
lernte dafür die Wörter auszusprechen. Damals verstand ich nur hier und da | |
ein Wort, konnte die Sprache nicht wirklich.“ | |
Erst später begann sie, Vokabeln zu pauken und Grammatik zu lernen. Sie ist | |
nicht die Einzige. Auf Facebook haben sich Sprachgruppen gebildet, die | |
Arabischkurse im Land boomen. Und Neta Elkayam ist sogar nach Marokko | |
gereist, um sich den dortigen Dialekt anzueignen. „Es ist ein Verbrechen, | |
die Sprache einer bestimmten Gruppe zu löschen, die aus einem anderen Land | |
gekommen ist“, sagt Neta. „Meine Generation will das nun ändern.“ | |
Der Wandel hat längst begonnen, wie [1][dieses YouTube-Video] beweist: | |
Wüste, Sonne und drei junge Frauen mit langen dunklen Haaren in auffallend | |
pinkfarbenen Gewändern, sie tragen goldenen Schmuck, eine von ihnen eine | |
Kette um die Taille, wie man sie von Bauchtänzerinnen kennt. Sie steigen in | |
einen offenen Jeep, brausen über den Sand und sie singen „Habib Galbi“ – | |
„Liebe meines Herzens“. Eine ältere Frau in der Djellaba, einem | |
traditionellen arabischen Gewand, sitzt in einem Schaukelstuhl und zieht an | |
einer Wasserpfeife, drei junge Männer in blauen Adidas-Trainingsanzügen | |
hüpfen zum Beat – was aussieht wie der Beginn einer Breakdance-Einlage, ist | |
der „jemenitische Schritt“, ein traditioneller Tanz. | |
Hier verschmelzen Welten miteinander: Tel Aviver Mode trifft auf | |
traditionelle Kleidung der Großmutter aus dem Jemen, orientalische Klänge | |
auf moderne Hip-Hop- und Elektrobeats. Das Video ist der Clip zum | |
Erfolgssong „Habib Galbi“, mit dem die Schwesternband A-WA im vergangenen | |
Jahr die israelischen Charts stürmte – ausgerechnet mit einem arabischen | |
Lied. | |
Es ist ein Lied, das die Großmutter, die aus dem Jemen einwanderte, ihnen | |
beibrachte. Seit der Veröffentlichung läuft es nicht nur im Radio, sondern | |
auch auf Hochzeiten, Partys, in Clubs und Bars im Land. Arabische Musik ist | |
längst nicht mehr nur etwas für die besonders Linken und Hippen in Tel | |
Aviv. Die drei Schwestern Tair, Liron und Tagel Chaim haben sie | |
massentauglich gemacht. Nicht nur für Israel: A-WA (ausgesprochen: ey-wah), | |
ist seither fast ununterbrochen auf Tour und gibt weltweit Konzerte, ob in | |
Europa oder den USA. | |
## Kulturelle Brücken bauen | |
Mit ihrer Musik schaffen es die Künstler auch, Brücken zu bauen – zwischen | |
den Kulturen und zwischen den Generationen. Beim Konzert von Neta Elkayam | |
im Barood sitzt an diesem Abend neben zwei jungen Jerusalemern Ende 20 der | |
Mittsiebziger Moshe. Er ist extra aus Aschkelon angereist für diesen Abend, | |
die Musik weckt Erinnerung an seine Kindheit in Marokko, wo er aufgewachsen | |
ist. Er ist ein Israeli geworden, hat hier studiert und eine Familie | |
gegründet. Aber kann noch Arabisch und hat seine Wurzeln nicht vergessen. | |
„Oh, das ist ein ganz bekanntes Lied“, sagt er plötzlich, lehnt seine Gabel | |
an den Tellerrand, rutscht von seinem Barhocker und läuft mit schwingenden | |
Hüften und nach oben gereckten Armen zu den anderen Tanzenden. | |
Die Generation von Moshe hatte es noch schwer, als gleichwertig anerkannt | |
zu werden. Viele versuchten, einfach nur Israelis zu sein, sich | |
einzugliedern, anzupassen – egal woher sie kamen. Künstler wie Neta Elkayam | |
aber wollen das nicht mehr. Für sie geht es auch um den Kampf gegen die | |
Benachteiligung der Mizrahim, also der orientalischen Juden. | |
„Die Diskriminierung, die meine Eltern erlebt haben, gab es zu meiner Zeit | |
so nicht mehr. Niemand hat gesagt: Deine Haut ist dunkel, wie eklig. Bei | |
mir zeigte sich das anders, in der Schule zum Beispiel, wo in den | |
Geschichtsbüchern meine Geschichte nicht auftauchte.“ Unterrichtsinhalte | |
seien sehr westlich geprägt, es ginge mehr um die Geschichte und die | |
Einwanderung der Juden aus Europa, nicht der aus Casablanca, Bagdad oder | |
Tripoli. | |
Die Staatsgründer aus dem Westen wollten Israel eben als westlichen Staat | |
etablieren, für die Kultur und Geschichte der Mizrahim blieb da kein Platz, | |
sagt die Soziologin Talia Sagiv. „Es ist schon verrückt, wenn man bedenkt, | |
dass die Einwanderer nach Israel kamen und europäisch werden wollten. Denn | |
das waren sie einfach nicht. Auch das Essen war es nicht – nicht das Wetter | |
und auch nicht die einheimischen Palästinenser.“ | |
Künstler wie Neta Elkayam setzen nun alles daran, die Kultur nicht nur | |
folkloristisch zu bewahren, sondern sie auch in die heutige Zeit zu | |
integrieren und die Kultur weiterzuleben. So arbeitet Neta an ihrem ersten | |
Album mit selbst getexteten arabischen Liedern. Ihren Job als Kunstlehrerin | |
hat sie an den Nagel gehängt. | |
Sie konzentriert sich auf die arabische Musik und weiß, dass sie damit voll | |
im Trend liegt: „Nicht nur ich erlebte den Tod meiner Großmutter und frage | |
mich: Wie kann ich meinen Kindern erklären, wer meine marokkanische | |
Großmutter war? Dafür gibt es nicht genügend Worte. Diese Generation stirbt | |
aus und die Sprache und die Kultur sind in großer Gefahr. Und deshalb | |
müssen wir etwas dagegen tun.“ | |
5 Aug 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=g3bjZlmsb4A | |
## AUTOREN | |
Lissy Kaufmann | |
## TAGS | |
arabisch | |
Israel | |
Herkunft | |
Generationen | |
Musik | |
Israelische Araber | |
Israel | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Klassik | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Antisemitismus | |
Israel | |
Israel | |
Israel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kommentar Muezzinruf-Verbot in Israel: Rassistischer Maulkorb | |
Eine rechte Partei will in Israel den Muezzinruf verbieten. Damit begibt | |
sie sich auf das Niveau europäischer Rechtspopulisten. | |
Israelisches InDNegev Musikfestival: Der promiske Sound der Wüste | |
Beim InDNegev-Festival entdecken Punks und Hipster die Musik des Nahen | |
Ostens neu. Elektropop trifft auf traditionelle arabische Musik. | |
Experimentelle Musik: Sound der friedlichen Koexistenz | |
Moscoman veröffentlicht sein Debütalbum „Shot in the Light“ und mischt | |
orientalische Sounds zu einem tanzbaren Eklektizismus. | |
Gemeinnütziges Musikprojekt „Musethica“: Der Körper ist eine Antenne | |
Avri Levitans ungewöhnliches „Musethica“-Projekt spielt Konzerte mit | |
veränderter Hierarchie – die Zuhörer geben den Musikern etwas, nicht | |
umgekehrt. | |
Rassismus in Israel: Israels Töchter dem Volk Israels | |
Vom Fußballstadion bis zum Kreißsaal: Juden und Araber gehen immer weiter | |
auf Abstand zueinander. Der Rassismus im Land nimmt zu. | |
Arabischer Antisemitismus: Die Missgunst der Abgehängten | |
Antisemitismus bei Muslimen ist nicht ethnisch bedingt. Er speist sich aus | |
dem verlorenen Krieg von 1948 und aus Neid auf die Stärke Israels. | |
Debatte Israel: Mehr Geld für „gute Araber“ | |
Israel will die arabische Minderheit mit Finanzhilfen ruhigstellen. Denn | |
nichts fürchtet die Regierung mehr als einen Aufstand im Kernland. | |
Nahostkonflikt im Film auf der Berlinale: The Kids are not alright | |
Udi Aloni hübscht in „Junction 48“ arabischen Befreiungsnationalismus mit | |
HipHop auf. Das hat was Folkloristisches. | |
Israel verbannt Roman aus Unterricht: Nicht koschere Liebe | |
Die Regierung hat einen Roman über ein israelisch-palästinensisches Paar im | |
Schulunterricht verboten. Nun wollen Lehrer ihn erst recht lesen. |