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# taz.de -- Rassismus in Israel: Israels Töchter dem Volk Israels
> Vom Fußballstadion bis zum Kreißsaal: Juden und Araber gehen immer weiter
> auf Abstand zueinander. Der Rassismus im Land nimmt zu.
Bild: Jüdische Siedler demonstrieren mit der Nationalflagge in der Altstadt vo…
Jerusalem taz | Überlegt es euch noch einmal“, ruft Fanni Danino einem
jungen Paar zu. Er, Mahmud Mansur, ist israelischer Araber, seine
Partnerin, Morel Malka, war Jüdin, bis sie ihm zuliebe zum Islam
konvertierte. Auf keinen Fall dürften die beiden heiraten, meint Danino,
eine an ihrem Kopftuch erkennbar fromme Jüdin mittleren Alters. Man wisse
doch, was aus „der armen Frau“ werden würde, die „bald nur noch Kinder
gebären und den Haushalt führen dürfe“.
Danino ist Aktivistin der rechtsreligiösen Organisation „Lahava“, die sich
den Kampf gegen Mischehen im Heiligen Land zum Ziel gesetzt hat. Sie trifft
das Paar vor Gericht. Mansur und Malka, die im Vorfeld ihrer Hochzeit
zahlreiche Drohungen per Telefon und E-Mail erhalten haben, fordern
Polizeischutz für den feierlichen Abend. Die Richterin entscheidet
schließlich: Es soll einen Sicherheitsabstand von 200 Metern zum Ballsaal
geben.
„Töchter Israels dem Volk Israels“ und „Tod den Linken“ steht auf den
Plakaten von ein paar hundert Extremisten, die trotzdem kommen. „Wir wollen
nichts anderes, als friedlich zusammenleben“, kommentierte der Bräutigam.
Die „Lahava“ ist nur eine von mehreren offen rassistischen Organisationen
in Israel, die den arabischen Staatsbürgern signalisieren, dass sie
unerwünscht sind. Die Fans des Jerusalemer Fußballclubs Beitar singen
fröhlich „Tod den Arabern“, wenn ihr Verein gegen das arabische Team aus
Sachnin antritt. „La Familia“, die radikalen Ultra-Fans des Clubs, werfen
gern auch mal Steine oder leere Bierflaschen auf die gegnerischen Fans. Zu
physischen Übergriffen kommt es auch jenseits des Fußballstadions häufig –
nach palästinensischen Terroranschlägen oder Raketenangriffen aus Gaza, die
die Radikalen an einem willkürlich ausgesuchten Opfer rächen – Hauptsache,
es ist ein Araber.
„Die Behörden unternehmen nicht genug gegen die Übergriffe“, schimpft Aida
Touma-Sliman, Abgeordnete der arabisch-antizionistischen Liste in der
Knesset, Israels Parlament. Es gäbe zwar immer wieder Verhaftungen, „aber
die Angreifer werden fast immer sofort wieder entlassen“. Gerichtsverfahren
seien die große Ausnahme.
„Uns wundert das nicht“, sagt die arabische Parlamentarierin, schließlich
„reicht das Gedankengut der Radikalen bis in höchste Regierungszirkel“.
Touma-Sliman spielt auf die Äußerung von Ministerpräsident Benjamin
Netanjahu an, der am Tag der Parlamentswahlen vor den „Horden von Arabern“
warnte, die zu den Wahlurnen kämen. Netanjahu entschuldigte sich
anschließend für diese Entgleisung.
## Immer rassistischer
Einer im März von der Nichtregierungsorganisation „Koalition gegen
Rassismus“ veröffentlichten Umfrage zufolge setzt sich mehrheitlich das
Gefühl durch, dass Israel heute rassistischer ist als noch vor zwei Jahren.
79 Prozent der Befragten glauben, dass arabische Staatsbürger Opfer der
Ressentiments sind, aber dass auch afrikanische Flüchtlinge und Juden mit
äthiopischer Herkunft unter Fremdenfeindlichkeit leiden. Gut zwei Drittel
sähen die sozialen Netzwerke als Hauptgrund für die Radikalisierung.
Eine via Twitter verbreitete Nachricht spitzte jüngst die inner-israelische
Debatte über wachsenden Rassismus zu: Der Abgeordnete Bezalel Smotrich von
der Siedlerpartei HaBayit Hajehudi rief zur Trennung von arabischen und
jüdischen Müttern in Kreißsaal und Krankenzimmern auf. „Meine Frau ist
bestimmt keine Rassistin“, betonte Smotrich, „aber nach einer Entbindung
will sie lieber ihre Ruhe als eine ‚Chafla‘ (arabisch für: Fest), wie die
Araber sie nach ihren Geburten feiern.“
Seine Ehefrau Revital Smotrich äußerte sich in einem Fernsehinterview noch
ungenierter und gab zu, dass sie einst einem arabischen Geburtshelfer die
Tür wies. „Ich will, dass nur jüdische Hände mein Baby anfassen.“
Obschon das Gesundheitsministerium offiziell Rassentrennung in staatlichen
Krankenhäusern verbietet, gehen viele Kliniken auf Sonderwünsche junger
Mütter ein. „Die Trennung in den Entbindungsabteilungen ist Alltag“, sagt
Touma-Sliman, die Mediziner zu einer Debatte in die Knesset lud. Einige
Krankenhausdirektoren bestätigten, dass sie Jüdinnen und Araberinnen auf
Wunsch nach der Entbindung in getrennten Zimmern unterbringen, wobei auch
Araberinnen bisweilen darum bitten würden, nur mit muslimischen Frauen das
Zimmer zu teilen.
## Trennungstrend beidseitig
Der Soziologe Sammy Smooha von der Universität Haifa glaubt, dass der Trend
zur Trennung beidseitig ist. Auch in der arabischen Bevölkerung nehme
religiöse Radikalisierung und Nationalismus zu. Seine Untersuchungen
zeigten, dass sich beide Seiten von der anderen bedroht fühlten. Mohammad
Amara von der Beit-Berl-Hochschule bestätigt, dass Juden wie Araber
zunehmend gemeinsame öffentliche Orte mieden, wobei Araber verstärkt das
Gefühl hätten, nicht mehr nur als Zweite-Klasse-Bürger betrachtet zu
werden, sondern als Feinde.
Die arabisch-israelische Gynäkologin Dr. Kijaya Masri-Rabi vom
Meir-Krankenhaus in Kfar Saba berichtete im Parlament über einen leitenden
Arzt, der den Dienstplan mit den Worten kommentierte: „Was für ein blöder
Tagesablauf heute – acht Geburten von arabischen Frauen.“ Ein andermal
hätten ihre Kollegen sie mit dem Hinweis zur Aufnahme geschickt, dass
„deine Freunde eingetroffen sind“. Gemeint war eine arabische Frau, die zur
Entbindung kam. Diese rassistischen Äußerungen kämen von „Ärzten, vom
Verwaltungspersonal und von der Krankenhausführung“, so die Gynäkologin.
„Wohin geht Fatma?“ heißt ein satirisches Videospiel, mit dem der
Webdesigner Dori Adar die Rassisten im Land konfrontiert. Per Pfeiltaste
muss der Spieler Hochschwangere bei der Aufnahme im Krankenhaus anhand
ihres Personalausweises und ethnischer Zugehörigkeit verteilen. „Israela
Israeli“ geht nach rechts in ein modernes Krankenzimmer, die Araberin
„Fatma Fatamchi“ nach links in einen deutlich heruntergekommenen
Untersuchungsraum. Untermalt von fröhlichem Hava-Nagila-Gedudel gilt es in
zweiter Stufe, jüdische Äthiopierinnen noch oben zu schicken und am Ende
sudanische Frauen in den Keller, „zu den Mülltonnen“, wie ein Text im Spiel
erklärt.
„Ich frage mich, was einer, der aus dem rechten politischen Lager kommt,
dabei denkt und fühlt“, sagt Adar, der sein Spiel über Facebook
veröffentlichte und damit Schlagzeilen machte. „Manche Leute sagen, das
Spiel sei schrecklich, und kapieren nicht, dass das reine Ironie ist.“
Seine Absicht sei, den Spieler „dorthin zu führen, wo er sich nicht mehr
wohl fühlt“. In jedem Menschen stecke ein „kleiner Rassist“, meint Adar,
der sich als „besorgten Linken“ bezeichnet, aber keiner Gruppe angehört.
„Entscheidend ist, dass man es erkennt und dagegen angeht.“
## „Kritik unterdrückt“
Aus Protest gegen die Trennung von Jüdinnen und Araberinnen hängten
Aktivisten der NGO Zazim (Hebräisch: „Man bewegt sich“) Schilder in Kfar
Saba auf. „Dr. Eitan Wertheim – Stopp die Rassentrennung in den
Entbindungsstationen“, so der Appell, der sich direkt an den
Krankenhausdirektor wandte. Binnen 24 Stunden ließ die Stadtverwaltung die
Schilder entfernen. „Statt dem Appell nachzugehen, versucht die
Stadtverwaltung von Kfar Saba die Kritik zu unterdrücken“, hieß es in einer
Stellungnahme der Ärzte für Menschenrechte.
Die Abgeordnete Touma-Sliman begrüßt den Protest von „kleinen jüdischen
Gruppen, die aufwachen und merken, dass das, was mit den Arabern anfängt,
weitergeht und auch die Juden mit orientalischen Wurzeln trifft, die
äthiopischen und russischen Israelis, weltliche Juden und jeden, der von
der rechten politischen Haltung abweicht“.
24 Jul 2016
## AUTOREN
Susanne Knaul
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
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