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# taz.de -- Berlinale – Forum: Barock ist besser
> „Le fils de Joseph“ strahlt im Berlinale-Forum. Regisseur Eugène Green
> transformiert Kulturkritik gewohnt gut ins Komische und Absurde.
Bild: Victor Ezenfis in „Le Fils de Joseph“.
Vom Boden der Tatsachen zur Stimme Gottes reichen die Bilder, Dialoge,
Gedanken in Eugène Greens „Le fils de Joseph“: ein ganz weites Feld. Der
Boden der Tatsachen: Füße in Schuhen, stehend und gehend, insistent und
immer wieder gefilmt, als gäbe es kein Oben; dabei ist das Oben mehr als
präsent, ohne Gott geht es bei Green, der das Barock entschieden der
Gegenwart vorzieht, ganz sicher nicht.
Bunt durcheinander gewürfelt sind freilich das Alte Testament und das Neue.
Der Teenager Vincent hat eine originalgroße Kopie von Caravaggios
dramatischer „Opferung Isaaks“ an der Wand, wie man das als spätbarocker
Teenager eben so hat. Mit seinem schicksalhaft gefundenen Freund (und dann
Vater) Joseph diskutiert er, ob Abraham Gottes Stimme gehorchte oder nur
dem eigenen Stolz. Es war der Stolz, so Joseph, dem dann die wahre Stimme
Gottes erst Einhalt gebot.
Es geht aber auch um Spermahandel im Internet. Ebensowenig fehlt krude
Pariser Literaturbetriebssatire, in deren Rahmen Mathieu Amalric zwischen
Prix Conlong und Chaiselonge die Sau rauslassen darf. Ebenfalls im
Programm: ein Kirchenbesuch mit Poesie und Musik, dass einem vor Glück das
Hören und Sehen vergeht.
Gefilmt ist das wie stets bei Eugène Green: Die Darsteller suchen den
direkten Weg auf die Kamera zu, gehen in tanzartigen Mustern, stehen und
blicken frontal, sprechen wie unmittelbar zu Zuschauer und Gegenüber. Du
und ich, wir sind seltsam direkt adressiert, da bringt uns auch die weit
ins Manierierte hinein überdeutliche Artikulation aller Sprecher nicht
wieder auf Distanz. Sie sprechen, als würden sie rezitieren, hochgestochen
und ernsthaft; alle tun das, auch Eugène Green, der in einer wunderbaren
kleinen Rolle als Hotelportier – also Mittelsmann, also eine Art Engel –
wie üblich selbst mitspielt.
Aber Rezitation und Herzensaussprache stehen bei Green einander niemals im
Weg. Wer rezitativ artikuliert, dem geht vielmehr das Herz auf. Und niemand
spricht, spielt, blickt inniger, seelenvoller als Natacha Regnier, die
Mutter Vincents, eine Krankenschwester mit Namen Marie.
Zum Heulen schön ist, wie sie spricht. Aber auch der junge Victor Ezenfis
ist auf Anhieb ein Großer in Green’scher Manier. Und alle kreisen sie um
die Frage des Vaters, die Frage der Abstammung. Die These ist klar und
antibiologistisch: Zum Sohn ist keiner geboren, Väter kann man finden und
adoptieren – wie eben Joseph, der zu Jesu Vater nicht durch Zeugung,
sondern durch das Treten an Vaters statt, aber dann vollgültig wurde.
## Mit der Gegenwart kann Green wenig anfangen
Eugène Green meint das alles übrigens ganz und gar ernst. Er ist ein sehr
gebildeter und auf weiten Feldern bewanderter Mann. In seinen Traktaten zu
barockem Theater, französischer Artikulation und in seinen Romanen tritt
einem ein Autor und Gelehrter entgegen, der mit der Lage der Dinge in der
Gegenwart wenig anfangen kann. In seinen Filmen jedoch gelingt ihm
verlässlich eine wundersame Transformation der Kulturkritik ins Komische
und Absurde. Das Grobe und das Feine sind da eigentümlich ineinandergewebt.
Vom verlorenen Posten, auf dem er sich weiß, stellt er sich frontal allen
Frivolitäten gegenüber und flirtet, auf seine Art, eben auch mit dem
Frivolen.
Green erlaubt sich alles und kennt einfach nichts. Wenn zum Ende dann noch
ein Esel, halb von Robert Bresson, halb aus der Bibel, mit der heiligen
Familie in Richtung Meer ziehen muss – dann geht aus heiterem Himmel auch
das. Vor allem hat der komische Heilige Eugène Green aber eine filmische
Form gefunden, die im weiten Rund der Weltkinodinge recht einzigartig
dasteht. Er stellt damit das Kino Füße voran auf den Kopf.
20 Feb 2016
## AUTOREN
Ekkehard Knörer
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Spike Lee
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