# taz.de -- Busan Film Festival in Korea: Cineastischer Mittelfinger | |
> Das Filmfestival im südkoreanischen Busan ist das relevanteste in | |
> Ostasien. Der 20. Jahrgang schwächelte, aber es gab dennoch Highlights. | |
Bild: Empfindliche Ohren als Folge der Radioaktivität von Fukushima: Szene aus… | |
Da schreitet Kim Ki-duk ganz unangekündigt auf die Bühne des Kinosaals. Die | |
Arme wie immer verschränkt, die grauen Haarsträhnen zum Zopf gebunden. Und | |
ausgerechnet die erste Frage aus dem Publikum wirkt wie Salz auf die noch | |
frischen Wunden des 54-jährigen Autorenfilmers: Warum er denn immer | |
provozieren müsse, fragt ein Zuschauer zaghaft – und möchte wohl vor allem | |
wissen, warum Kim Ki-duk sein Heimatland seit zwei Jahrzehnten filmisch | |
durch den Dreck zieht. Treffender lässt sich das Verhältnis zwischen | |
Südkorea und seinem wohl umstrittensten Regisseur nicht beschreiben. | |
Allein die Eingangsszenen seines 2012 erschienen Films „Pieta“ enthielten | |
solch exzessive Brutalität, wie sie die komplette Filmografie eines | |
durchschnittlichen Hollywoodregisseurs nicht hergibt. Auch die | |
Kapitalismuskritik hat selten jemand so wuchtig formuliert wie Kim. Dafür | |
liebt ihn das europäische Festivalpublikum. Dafür verschmähen ihn seine | |
Landesgenossen. | |
Es brauchte nur einen spektakulären Flop, den Rache-Thriller „One on One“ | |
im letzten Jahr, und schon ließen ihn seine koreanischen Geldgeber fallen. | |
Die Konsequenz, die Kim Ki-duk daraus zog, ist für den Zuschauer eine | |
Zumutung im besten Sinne. | |
## Mit wackliger Handkamera auf den Straßen von Tokio | |
„Stop“ drehte der Südkoreaner erstmals im japanischen Ausland, in gerade | |
mal zehn Tagen und für nur ein paar Tausend Euro. Die Aufnahmen sind mit | |
wackliger Handkamera auf den Straßen von Tokio gedreht – und, wie man an | |
den Blicken der unfreiwilligen Statisten sieht, wohl meist ohne | |
Drehgenehmigung. Vom Schnitt bis zur Beleuchtung hat Kim Ki-duk den Film | |
als Ein-Mann-Crew gestemmt. Damit zeigt er natürlich auch den drei großen | |
Unterhaltungsfirmen, die den südkoreanischen Kinomarkt wie Oligarchen | |
beherrschen, einen cineastischer Mittelfinger. | |
Ein junges Pärchen zieht in dem Ökothriller während der Nachwehen von | |
Fukushima einen Jungen auf, der aufgrund erhöhter Radioaktivität an einer | |
unnatürlichen Hörempfindlichkeit leidet. Nach 80 langen Minuten | |
schlussfolgert der Film ein simples „Atomkraft: Nein danke“, und auch sonst | |
schreckt „Stop“ nicht vor direkten politischen Botschaften zurück. Nach der | |
Vorführung sagt Kim Ki-duk: „Natürlich bin ich mit dem Resultat nicht | |
zufrieden, doch der künstlerische Prozess an sich hat mir große Freude | |
bereitet“. | |
Tatsächlich blieb der 20. Jahrgang des Filmfestivals in Busan, des | |
mittlerweile relevantesten in ganz Ostasien, ein eher schwacher. Die | |
meisten Plots waren auf den Schlachtfeldern der südkoreanischen | |
Gesellschaft angesiedelt: in den Bürotürmen der neoliberalen Arbeitswelt, | |
an den Wohnzimmertischen der verstummenden Familien, und auch die | |
grassierende Selbstmordepidemie schlich sich in fast jede Handlung hinein. | |
## Delfin zwischen zwei Walen | |
Allzu oft verlor sich jedoch die Vergangenheitsbewältigung dieser | |
jahrzehntelang gebeutelten Nation in bloßer Sentimentalität. Dabei war es | |
doch eine absolute Dringlichkeit, die die Cineasten rund um den Globus noch | |
Ende der Neunziger von diesem unbekannten Land, eingeengt als Delfin | |
zwischen den zwei Walen China und Japan, so fasziniert hatte. | |
Das kennt Wieland Speck, der in Busan nun für seine jahrelange Förderung | |
koreanischer Filme einen Sonderpreis erhielt. „Gerade um die | |
Jahrtausendwende waren die Filme ja extrem gewalttätig“, sagt der Kurator | |
der Panorama-Reihe der Berlinale, und dabei zieht er das Wort „extrem“ | |
derart in die Länge, dass man vorm inneren Auge förmlich sehen kann, wie | |
sich der Protagonist aus Park Chan-wooks Rache-Epos „Old Boy“ mit einem | |
Schlaghammer durch die Schädel seiner Peiniger wütet: „Die Ästhetiken waren | |
brüllend. Da musste was raus aus dem Gefängnis.“ | |
Und was hatte sich in Südkorea nicht alles angestaut: Aus bitterer Armut | |
explodierte das Land am Han-Fluss innerhalb weniger Jahrzehnte zur | |
zwölftgrößten Volkswirtschaft der Welt – und ließ alles, was diesem Ziel | |
hinderlich war, achtlos auf der Strecke: die Schwachen in der Gesellschaft, | |
das kulturelle Erbe. Ja selbst das Konzept von Freizeit musste sich erst | |
wieder in den Köpfen der Leute etablieren. | |
## Konsumwahn anprangern | |
Auch in Busan blieb diese gesellschaftliche Spannung mit allen Sinnen | |
spürbar: Während die Festivalbesucher durch menschenleere | |
Hochhäuserschluchten von einem Kaufhaus zum nächsten zu den Multiplexkinos | |
hetzten, sahen sie dort Filme, die den in den unteren Etagen tobenden | |
Konsumwahn anprangern – oder die Obdachlosen porträtieren, die sich von den | |
Bänken der klinisch sauberen Parks bereits verzogen haben. | |
Darum bleibt es weiter spannend, dabei zuzusehen, wie Südkorea den | |
gesellschaftlich Teppich im Kino lüftet. In diesem Jahr war dies vor allem | |
bei „The Battle of Gwangju“ der Fall, der das Massaker an den Anhängern der | |
Demokratiebewegung mit Brecht‘schem Verfremdungseffekt aufgreift. Im | |
letzten Jahr sorgte hingegen eine Dokumentation über das Sinken der „Sewol“ | |
für einen handfesten Skandal. | |
Der Film prangerte die politischen Verstrickungen in das Fährunglück an. | |
Dieses Jahr hat der Staat seine Filmförderung für Busan nun um die Hälfte | |
gekürzt. Und Kim Ki-duk? Der dreht seinen nächsten Film in China, für 30 | |
Millionen Dollar. Das ist mehr, als seine 21 Filme zuvor gekostet haben. | |
12 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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