| # taz.de -- Lesbisch-schwules Stadtfest in Berlin: Zwischen Party und Politik | |
| > LGBTI-Massenparty mit Volksfest-Charakter? Politische Veranstaltung? | |
| > Mitunter fehlt dem Lesbisch-schwulen Stadtfest das politische | |
| > Fingerspitzengefühl. | |
| Bild: Auf dem Lesbisch-schwulen Stadtfest | |
| Diesmal also Ärsche. „Von hinten sind wir alle gleich!“, bewirbt das | |
| [1][Werbeplakat mit flächendeckenden Illustrationen] knackiger nackter | |
| Pobacken, in allen Nuancen menschlicher Hautfarben gehalten, das | |
| Lesbisch-Schwule Stadtfest in Schöneberg, das diesen Samstag und Sonntag | |
| zum 24. Mal im Motzstraßenkiez rund um den Nollendorfplatz stattfindet. | |
| Unter dem traditionellen Motto „Gleiche Rechte für Ungleiche“ fordert das | |
| Stadtfest alljährlich zur Pride-Saison die vollständige Gleichstellung von | |
| homo-, bisexuellen und queeren Lebensentwürfen und Geschlechtsidentitäten. | |
| In der diesjährigen Gestaltung der Stadtfest-Promotion soll, so die | |
| Intention, menschliche Vielfalt zum Ausdruck kommen und gefeiert werden. | |
| Und wer genau hinsieht, entdeckt auch weibliche wie männliche | |
| Körperkonturen beziehungsweise Rundungen paritätisch vertreten. | |
| Auch wenn es den Anschein erwecken kann: Als ironisch-deftige Replik auf | |
| den Streit der LGBTI-Community zum Vorjahresplakat sei die diesjährige | |
| Bewerbung des Fests nicht zu lesen, betont Gerhard Hoffmann, Mitbegründer | |
| des Stadtfests und Vorstandsmitglied des ausrichtenden Regenbogenfonds der | |
| schwulen Wirte e.V., auf Nachfrage der taz. | |
| ## Letztes Jahr gab’s viel Ärger | |
| Der Verein war 2015 wegen seines umstrittenen Plakats heftiger Kritik und | |
| teilweisem Boykott ausgesetzt. In der Darstellung küssender Frauen, von | |
| denen eine ein Kopftuch trug – unter jenem Motto von den „Ungleichen“ –, | |
| sahen Teile der queerpolitischen Szene einen oberflächlich bemühten bis | |
| rassistisch missglückten Versuch, die eingeforderte interkulturelle | |
| Vielfalt und sichtbarere Präsenz von Lesben und Queers umzusetzen. | |
| Die ganze „Aufregung“ kann das Vorstandsmitglied noch immer nicht | |
| nachvollziehen. Wenig Verständnis zeigt Hoffmann auch für die altbekannten | |
| Vorwürfe, wie etwa der, das Stadtfest sei zur politisch bedeutungslosen | |
| Party- und Fressmeile verkommen. | |
| Einerseits ist der Zenit des „Politischen“ tatsächlich lange überschritte… | |
| Seit Jahren strömen an die Hunderttausende aus Berlin und der ganzen Welt | |
| zum großen, bunten Treiben an den Nollendorfplatz, bis zu 400.000 | |
| BesucherInnen erwarten die Veranstalter in diesem Jahr. Aus dem | |
| ursprünglich selbstbewusst öffentlich zelebrierten Pride-Statement ist ein | |
| riesiges schwul-lesbisches Volksfest geworden. | |
| Neben Infostände dominieren vor allem Gastro-Angebote aus der | |
| LGBTI-Szene-Infrastruktur das Straßenbild, die diversen Themenbühnen | |
| beschränken sich mit Kleinkunst und Musik weitgehend auf Unterhaltung der | |
| Massen. | |
| Und doch bleibt das Stadtfest nicht unpolitisch. So unterstützt der | |
| Regenbogenfonds als einer der Erstunterzeichner die Community-Kampagne | |
| „Berlin braucht uns! Keine Stimme den BLAUEN + BRAUNEN“, die von der | |
| Berliner Aidshilfe initiiert wurde und die an zahlreichen Orten auf dem | |
| Stadtfest für ihr Anliegen werben wird: im Vorfeld der anstehenden | |
| Abgeordnetenhaus- und Bezirksverordnetenwahlen LGBTIs dazu aufzurufen, den | |
| reaktionären und homophoben Parteien von der rechtspopulistischen AfD bis | |
| zur rechtsextremen NPD die Gefolgschaft zu verweigern. | |
| Das hehre Anliegen, auch in den eigenen Reihen gegen den zunehmenden | |
| rechten Einfluss zu mobilisieren, kann als Ausdruck eines Lernprozesses | |
| verstanden werden. In den vergangenen Jahren sah sich das Stadtfest immer | |
| wieder gefordert – meist auf Druck aus der Community –, sich politisch zu | |
| positionieren. | |
| Auf Beschwerden über rassistisches und rechtes Auftreten einzelner Besucher | |
| etwa hatten die Organisatoren in der Vergangenheit mit der Einrichtung | |
| einer Notfall-Hotline und expliziten Verboten, rechte und | |
| verfassungsfeindliche Symbole zu zeigen, reagiert. | |
| Als halbherziger Abgrenzungsversuch wurde vielfach kritisiert, der AfD 2014 | |
| ihren umstrittenen Infostand in einer „toten Ecke“ am Rande des Stadtfests | |
| zuzuerkennen. „Wir begründen das nicht“, erklärt der Vorstand seltsam | |
| bedeckt zur angeblich neu gefundenen rechtlichen Handhabe, der Partei | |
| dieses Jahr einen Stand verwehren zu können. | |
| Mit Blick auf das „politische Highlight“ – die traditionelle | |
| „Promi-Talkshow“ auf der Hauptbühne – zeigt sich, dass es gerade dort, wo | |
| es explizit politisch wird, nicht immer ganz koscher zugeht. Unter dem | |
| Aufmacher „Das Ende der Zukunft?“ soll es, wie auf Nachfrage zu erfahren | |
| ist, auch um Flucht und gesellschaftliche Spaltung gehen. „Wegen dem | |
| rechtspopulistischen bis rechtsextremen Wind, der durch ganz Europa weht | |
| und unsere demokratischen Errungenschaften gefährdet“, erklärt Hoffmann, | |
| der das Ganze moderieren wird. | |
| ## Bund der Vertriebenen | |
| Was eine interessante Diskussion verspricht, sorgt mit Blick auf die | |
| TeilnehmerInnen jedoch für Befremden. Neben dem Regierenden Bürgermeister | |
| Michael Müller und einer Kabarettistin ist hierzu Bernd Fabritius als | |
| Präsident des Bundes der Vertriebenen geladen. Ob ausgerechnet ein für | |
| seine geschichtsrevisionistische Haltung bekannter, deutschtümelnder Verein | |
| die richtige Wahl ist? | |
| Die Kritik lässt der Vorstand, der sich über Fabritius’ Zusage sehr freue, | |
| nicht gelten. Letzterer sei „von vielen Leuten aus der Szene empfohlen“ | |
| worden, setze sich „überraschend engagiert“ für lesbisch-schwule Belange | |
| ein und verspreche letztlich „aufgrund seiner eigenen Herkunft einen ganz | |
| anderen, interessanten Blick auf Flucht“. Letzteres dürfte in der Tat der | |
| Fall sein. | |
| Vielleicht wäre vor diesem Hintergrund noch weniger Politprogramm sogar | |
| mehr wert. Immerhin bleibt das Cruisen, Flirten und Feiern auf dem Fest mit | |
| seinem bunt gemischten, internationalen Publikum trotz der Größenordnung | |
| sicherlich auch diesmal eine weitgehend friedvolle, nette Angelegenheit. | |
| 15 Jul 2016 | |
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| [1] http://www.stadtfest.berlin/de/index.html | |
| ## AUTOREN | |
| Melanie Götz | |
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