| # taz.de -- Debatte Rechtspopulismus: Was die Trumps nach oben treibt | |
| > In den USA punktet Präsidentschaftskandidat Trump mit antidemokratischen | |
| > Fantasien. Dass das klappt, ist gefährlicher als er selbst. | |
| Bild: Den politischen Gegner einsperren zu wollen, ist neu in der Debattenkultu… | |
| Kein Zweifel: Was sich vier Wochen vor dem Wahltermin in den USA zwischen | |
| dem republikanischen Kandidaten Donald Trump und der Demokratin Hillary | |
| Clinton abspielt, ist ein neuer Tiefpunkt der politischen Kultur in den | |
| USA. Vor allem aber: Was da passiert, ist mehr als nur eine Stilfrage. | |
| Die [1][zweite Fernsehdebatte] zwischen Clinton und Trump am Sonntagabend | |
| hat das verdeutlicht. Trump kündigte an, als Präsident werde er einen | |
| Sonderermittler gegen Clinton einsetzen. Clinton entgegnete, es sei gut, | |
| dass jemand wie Trump nicht die Kontrolle über das Gesetz in den USA habe, | |
| worauf Trump einwarf: „Weil Sie dann im Gefängnis wären.“ | |
| Für Trump-Anhänger, die seit Monaten mit „Lock her up“-Rufen und „Hilla… | |
| for prison“-T-Shirts seine Veranstaltungen befördern, dürfte das der beste | |
| Satz des Abends gewesen sein. Sie brachen im Saal spontan in Jubel aus. | |
| Die öffentliche Ankündigung, nach einem Wahlsieg den politischen Gegner | |
| hinter Gitter bringen zu wollen, ist für die USA neu. Beunruhigend ist, | |
| dass sie nicht dazu führt, den Kandidaten zu disqualifizieren, im | |
| Gegenteil: Es sind genau diese Fantasien eines letztlich diktatorischen | |
| „Aufräumens mit der korrupten Elite“, die Trump überhaupt erst zum | |
| Kandidaten gemacht haben. | |
| ## Kumpanei mit der Finanzwelt | |
| Damit steht er freilich nicht allein. Die Figur Donald Trump mag etwas sehr | |
| US-Amerikanisches sein, der Aufstieg solcher Positionen ist es nicht. Das | |
| Verständnis von Demokratie als Wettstreit der politischen Positionen, als | |
| Kampf um Mehrheiten innerhalb eines institutionalisierten Rahmens, hat | |
| weltweit an Ansehen verloren. | |
| Es ist für keine Demokratie ein Problem, wenn rechtskonservative oder | |
| nationalistische Parteien ihren Platz im Parteiengefüge beanspruchen. Das | |
| gehört sich so. Bedrohlich wird es, wenn sie mit autoritären Fantasien bis | |
| hin zur Aufforderung zur Gewalt mobilisieren oder sich davon zumindest | |
| nicht mehr abgrenzen. Trump macht beides. | |
| Sicher, kleine, rechtsradikale Gruppierungen gehören zum politischen | |
| Spektrum in allen Demokratien westlichen Zuschnitts. Nie zuvor aber seit | |
| dem Ende des Nationalsozialismus scheinen so viele so vehement das | |
| demokratische Institutionensystem abzulehnen wie jetzt – ob nun in den USA | |
| oder in Europa. | |
| Die Grundlagen für diese Ablehnung wurden in den 90er Jahren gelegt, als | |
| sich die Ideologie des Staatsrückzugs zugunsten der „Marktkräfte“ selbst … | |
| den recht fortschrittlichen Sozialstaaten Westeuropas festsetzte. In den | |
| USA regierte der Demokrat Bill Clinton – und die von ihm verantwortete | |
| Deregulierung der Finanzmärkte ermöglichte überhaupt erst viele der | |
| späteren Verwerfungen. In Deutschland verabschiedete eine rot-grüne | |
| Regierung die Agenda 2010. | |
| ## Umgekehrter Mumpitz vom Haupt- und Nebenwiderspruch | |
| Linke beklagten damals den Machtverlust des Politischen gegenüber den | |
| vermeintlichen Sachzwängen der Ökonomie. Das war insofern Quatsch, als es | |
| niemals wirklich um Sachzwänge ging, sondern immer um Interessen. Richtig | |
| aber war, dass die Politik, die repräsentative Demokratie, damals | |
| freiwillig die Funktion abgab, jenen Ausgleich sicherzustellen, der die | |
| Gesellschaften vor dem Auseinanderfallen bewahrt. | |
| Der hart gegen konservative Traditionen und religiöse Institutionen | |
| erkämpfte gesellschaftliche Fortschritt im Bereich bürgerlicher Freiheits- | |
| und Minderheitenrechte geht zeitlich einher mit einem brutalen Rückschritt | |
| bei der Wohlstandsverteilung. Das ist, als habe sich der alte | |
| linkspatriarchale Mumpitz vom Haupt- und Nebenwiderspruch, mit dem die | |
| Frauenbewegung in ihre Schranken gewiesen wurde, in sein Gegenteil | |
| verkehrt. | |
| Kein Wunder also, dass etwa das Wort vom angeblichen „Genderwahn“ weltweit | |
| fester Bestandteil rechtspopulistischer Diskurse ist und gerade bei sozial | |
| Abgehängten auf Resonanz stößt. Hillary Clinton vereint in ihrer Person | |
| genau das: Potenziell die erste Frau im Weißen Haus, stellt sie weibliche | |
| Selbstbestimmungsrechte, Gleichbehandlung und -bezahlung von Frauen in den | |
| Mittelpunkt ihres Wahlkampfes. | |
| Und gleichzeitig steht sie, wie die am Freitag [2][von Wikileaks | |
| veröffentlichten Auszüge] aus ihren gutbezahlten Reden bei Goldmann Sachs | |
| dokumentieren, für eine Politik der Kumpanei mit der reichen Finanzelite. | |
| ## Dumme Weiße kann man diskriminieren | |
| Dass bei solchen Konstellationen plötzlich Rechtspopulisten erfolgreich | |
| „political correctness“ als Grund allen Übels anprangern können, muss nic… | |
| weiter überraschen. Wenn es die Linke weltweit nicht schafft, den Kampf für | |
| offene, tolerante Gesellschaften endlich mit dem für wirtschaftliche | |
| Umverteilung zu verbinden, überlässt sie das Feld dem rechten Populismus. | |
| Der US-amerikanische Autor J. D. Vance hat mit seinem autobiografischen | |
| Buch „Hillbilly Elegy“ vor einigen Monaten eine anschauliche Beschreibung | |
| vorgelegt, wie wenig die gelebte Realität relevanter Gesellschaftsteile | |
| noch Eingang in den Diskurs der politischen Elite findet. | |
| Schlimmer noch: Verarmte, bildungsferne Weiße sind inzwischen so ziemlich | |
| die Einzigen, die man diskriminieren darf, ohne medial geschlachtet zu | |
| werden. Keine Comedysendung kommt ohne herablassendes Sich-lustig-Machen | |
| über ungebildete Weiße aus, ob sie nun zu Trump-Veranstaltungen in den USA | |
| pilgern oder zur Pegida-Demo nach Dresden. Wundert sich jemand, dass sie | |
| gut finden, wenn einer sie mal ernst nimmt? | |
| Angesichts des Erstarkens antidemokratischer Positionen schließen andere | |
| Parteien die Reihen. Das ist schön, darf aber nicht bedeuten, notwendige | |
| Systemkritik dem rassistischen und von „Harte Hand“-Fantasien durchsetzten | |
| Framing der Rechten zu überlassen. | |
| Denn im Ergebnis stehen gerade jene, die auf eine zivilisierte | |
| demokratische Auseinandersetzung bestehen, als abgehobener Mainstream da, | |
| der unabhängig vom parteipolitischen Etikett unter einer Decke stecke – und | |
| Scharlatane wie Trump oder Rechtsradikale wie Orbán, Petry, Le Pen als die | |
| Einzigen, die die Sorgen des Volkes verstehen. | |
| In Europa fällt Linken dazu meist Linkspopulismus als Antwort ein – was in | |
| der Regel nach hinten losgeht. Wie es anders gehen könnte, hat in den USA | |
| der linke Senator Bernie Sanders gezeigt. Er wäre vielleicht kein guter | |
| Präsident geworden, aber ein für die Entwicklung des politischen Denkens | |
| sehr viel besserer Kandidat. | |
| 11 Oct 2016 | |
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| [1] /Kommentar-TV-Duell-Trump-gegen-Clinton/!5346866 | |
| [2] https://www.washingtonpost.com/politics/hacked-emails-appear-to-reveal-exce… | |
| ## AUTOREN | |
| Bernd Pickert | |
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