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# taz.de -- Autor Joshua Cohen über die US-Wahl: „Donald Trump hat keine Cha…
> Die Republikaner sind gescheitert, sagt Joshua Cohen. Warum der
> Schriftsteller aus dem Niedergang der großen Parteien Optimismus zieht.
Bild: „Man sagt den Leuten, dass das Leben ein Glücksspiel ist“: Abbau des…
taz: Mr Cohen, „Solo für Schneidermann“ ist ein Roman über einen
amerikanisch-jüdischen Musiker und vielstimmig geschrieben wie eine
Partitur. Ist es für Sie ein Problem, den amerikanisch-jüdischen Musiker
Bob Dylan einen Dichter zu nennen?
Joshua Cohen: Diese Debatte ist das Schlachtfeld meiner Eltern, nicht
meins. Die Entscheidung des schwedischen Komitees ist eine selbstverliebte
Rechtfertigung der Babyboomer-Generation und ihrer Gegenkultur.
Dass die Entscheidung für Dylan eine politische war, um den Demokraten
Wahlkampfhilfe zu leisten, sehen Sie nicht?
Wäre die Entscheidung der Jury als Beleidigung intendiert, würde ich das
sehr begrüßen. Wenn das Komitee damit hätte sagen wollen, dass es einfach
keine große amerikanische Literatur gibt, sondern nur große amerikanische
Lieder, wäre das eine schöne Provokation gewesen. Die Entscheidung wurde
aus Nostalgie getroffen. Aber gut. Mein Rat dazu: Lass den Eltern ihre
Sentimentalität. Dann werden sie dir eines Tages vielleicht ihr Geld
überlassen.
Was passiert, wenn die Amerikaner Donald Trump das Steuer überlassen?
Er hat keine Chance. Und wenn doch, dann wird das mit riesigen Datenhacks
verhindert werden, und das wird vermutlich zu einem großen Krieg führen.
Manche behaupten, es könnte schlimmer kommen, wenn er nicht gewinnt.
Auch das ist Blödsinn. Die Republikaner sind einfach gescheitert. Es
sollten mehr Parteien scheitern. Aus den Republikanern wird sich vermutlich
eine neue rechte Partei entwickeln, aber es wird auch eine neue linke
Partei entstehen, die die Agenda der Anhänger von Bernie Sanders
repräsentiert. Aus der Selbstzerstörung der Parteien ziehe ich großen
Optimismus.
Ihr Romandebüt besteht aus einer 15-stündigen Abschiedsrede eines alten
Geigers, der den Untergang der amerikanisch-jüdischen säkularen Kultur
beklagt. Das scheint mit Donald Trumps Motto „Make America Great Again“ zu
korrespondieren. Hat der Aufstieg Trumps etwas mit der Diagnose vom
Untergang des alten Amerika zu tun?
Klingt lustig, ist aber nicht so. Es ist das Privileg eines
Schriftstellers, seine persönliche Krise als allgemeine Krise zu verkaufen
und sein eigenes Scheitern auf eine ganze Gesellschaft zu übertragen. Der
Roman hat vor allem mit mir zu tun. Ich habe Musik studiert, gemacht und
komponiert, aber mit 20 befand ich mich in einer Sackgasse und habe alles
beendet. Ich wurde dann von 2000 bis 2007 Korrespondent der jüdischen
Zeitung Forward in Berlin. In dieser Zeit traf ich Überlebende des
Holocaust in den ehemals sozialistischen Ländern und erfuhr, was es heißt,
in sehr hohem Alter zum ersten Mal das Gefühl von Freiheit zu erfahren.
Trumps Erfolg spielt aber doch mit dem Gefühl, die bisherige Regierung habe
das Land in eine Sackgasse manövriert.
Das stimmt. Ein großer Teil des weißen Amerika steckt in einer
Identitätskrise. Das, was das Weißsein einst definierte, Nachfahren
irischer Katholiken, katholischer Italiener oder polnischer Juden zu sein,
schwindet. Die meisten haben ihre eingewanderten Vorfahren niemals
kennengelernt und deren kulturelles Erbe spielt für das eigene Leben kaum
noch eine Rolle. Die Bindestrichidentität aufrechtzuerhalten wird immer
schwieriger. Man kann sich nicht mehr über Herkunft als etwas Besonderes
definieren. Die derzeit grassierende Wut und der Rassismus ist auch ein
Ergebnis dieser Identitätskrise.
Sie haben kürzlich den Essay „[1][The Last Last Summer]“ im Diskursmagazin
n+1 veröffentlicht. Ein Text über die Casinostadt Atlantic City, wo sie
aufgewachsen sind und in der auch Donald Trump groß werden wollte, aber mit
seinen megalomanen Projekten pleiteging und von der Stadt heute für deren
Insolvenz verantwortlich gemacht wird. Wie konnte aus dem Mann der
Casino-Ruinen von Atlantic City der politische Heilsbringer der Vereinigten
Staaten erwachsen?
Die räuberische Form der Casino-Herrschaft besteht darin, grundlegendste
Instinkte und lächerlichste Hoffnungen zu missbrauchen, die tief in der
Philosophie des amerikanischen Exzeptionalismus verankert sind. Diese
Theorie ist davon überzeugt, dass sich die USA von allen anderen
Industrienationen aufgrund der Einwanderungsgeschichte unterscheidet. Statt
Gesundheitsfürsorge und soziale Leistungen bereitzustellen, erzählt man den
Leuten hier, dass sie ganz allein verantwortlich dafür sind, was aus ihnen
wird und dass das Leben ein Glücksspiel ist. Und dass jeder nur ein
richtiges Los vom großen Plüschtiger entfernt ist und nur einen richtigen
Knopfdruck am Spielautomaten vom Millionen-Jackpot. Trumps komplette
Geschäftsphilosophie entspricht der schwarzen Dialektik des amerikanischen
Aberglaubens: Jeder kann ein Gewinner sein. Und wer keiner ist, ist ein
Verlierer.
In Ihrem Essay behaupten Sie, in Herman Melvilles „The Confidence-Man“ oder
in Edgar Allan Poes Figur des „diddlers“ (Betrügers) gelesen zu haben, was
sie schon als Kind in Atlantic City als Lektion für 2 Dollar gelernt
hätten: dass sie nie den Plüschtiger gewinnen werden.
Die Figur des Hochstaplers, der Confidence-Man, ist in der amerikanischen
Literatur sehr populär. In Europa, wo ihn Thomas Mann mit seinem Felix
Krull am besten beschrieben hat, gilt er als hübscher, junger Gigolo, der
an der italienischen und französischen Riviera alten, reichen Damen das
Geld aus der Tasche zieht. In den USA steht diese Figur im politischen
Kontext. In den leeren Weiten des Wilden Westens konnte sich jeder, ganz
auf sich selbst gestellt und ohne jede Obrigkeit, neu erfinden, der vor
seinem alten Leben davonrennen wollte. Die berühmten Frontiers, die
Landesgrenzen im Binnenamerika, sind also psychologische Grenzen, die
überwunden wurden. Diese Symbiose von geografischer und psychologischer
Grenze hat den Charakter des Betrügers hervorgebracht. Ein Charakter, der
von Siedlung zu Siedlung an den Rändern der Grenze entlangzieht und Leuten
Land verkauft, von dem er behauptet, dass sich Gold oder Öl darauf
befindet, wo es aber gar keins gibt.
Wie konnte dieser Charakter so aufblühen?
Dieser Charakter schlägt aus der Neuheit Amerikas seinen Vorteil und aus
dem Mangel an Verbindlichkeit und Regeln in der Grenzkultur mit ihren
Siedlungen und Einwanderern. Das Einzige, was die Menschen mit ihrer
unterschiedlicher Herkunft in diesem riesigen Land zusammenbrachte, war der
Handel. Und der Confidence-Man war die Figur, die mit allen ethnischen
Gruppen interagierte, mit jeder Gesellschaftsschicht, um Geschäfte mit
ihnen zu machen, sprich: sie zu bestehlen. Donald Trump steht eindeutig in
dieser Tradition.
Ist Sanders deswegen chancenlos, weil er diese räuberische Ökonomie
thematisierte?
Nein. Er hatte ja unter jungen Wählern Erfolg. Er hat es nicht geschafft,
weil er ein Ein-Punkt-Kandidat blieb, der nur über ökonomische Dinge
sprach. Junge Menschen unterstützten Sanders, weil es einen
Generationenkrieg gibt. Hier konspirieren die Kinder mit den Großeltern, um
die Eltern zu töten.
Apropos Generationenkrieg: Kann man das auch daran ablesen, wer HBO guckt
und wer FOX TV?
Nein. Linke gucken die Sender der Rechten und andersherum, nur um sich zu
empören. Die Briten haben dafür diesen schönen Begriff erfunden:
Hatewatching.
Das Fernsehen, die Medien haben also keinen Einfluss auf politische
Konjunkturen?
Ich glaube nicht. In erster Linie muss man die Parteien dafür
verantwortlich machen, dass sie keine anständigen Kandidaten hervorbringen.
Wie in Europa.
Klar. Wer will noch Politiker sein in einer Zeit, in der alles öffentlich
wird, wo alles aufgezeichnet und geleakt wird?
Das Internet schafft den Politiker ab?
Vielleicht. Auf jeden Fall schafft das Internet ein enormes schwarzes Loch,
in das täglich Millionen Wörter fließen, und es ist damit ein
selbstzerstörerisches Prinzip. Immer mehr Raum schafft immer mehr Hunger.
Also entsteht im Kampf um Aufmerksamkeit immer mehr. Immer mehr Blödsinn.
Um wirklich richtig große Ideen entstehen zu lassen, muss man aber den
Kanal enger machen.
Stimmt es, dass sie an einer Serie für HBO arbeiten, die auf Musils „Mann
ohne Eigenschaften“ basiert?
Klar, ich schreibe auch eine autorisierte Biografie über Karl Ove
Knausgård. Ernsthaft: Wenn HBO so etwas jemals sendet, dann wird dieses
Land ein komplett anderes sein.
17 Oct 2016
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## AUTOREN
Doris Akrap
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