# taz.de -- Politologe über Trumps Populismus: „Er bestimmt, wer das Volk is… | |
> Donald Trump ist ein Paradepopulist, sagt Jan-Werner Müller. Ein Gespräch | |
> über rechte Elitenkritik, die AfD und Gefahren für Europa. | |
Bild: Die Marke Populismus umringt vom Volk | |
taz: Herr Müller, ist mit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten die | |
westliche Demokratie in Gefahr? | |
Jan-Werner Müller: Man sollte diese Wahl nicht als Beweis dafür ansehen, | |
dass Demokratie nicht funktioniert. Aber sie ist kein völlig überraschender | |
Betriebsunfall. Die Rechten in der amerikanischen Politik haben bereits | |
seit mehr als zwei Jahrzehnten keinen wirklichen Respekt vor den bestehen | |
Institutionen gezeigt, sondern gehen mit ihnen schon aus kurzsichtigen | |
parteipolitischen Interessen schon fast frivol rücksichtslos um – denken | |
Sie an die government shutdowns der Republikaner. Deshalb ist es auch keine | |
Überraschung, dass nach Umfragen 40 Prozent der Amerikaner kein Vertrauen | |
mehr in diese Institutionen haben. | |
Jetzt haben die US-Amerikaner einen frauenfeindlichen und rassistischen | |
Populisten, den anfangs niemand ernst nahm, zum Präsidenten gewählt. Wie | |
konnte es dazu kommen? | |
Das kann man nach zwei Tagen noch nicht genau sagen. Wir sollten Trump, dem | |
wir sonst nichts glauben, seine Erzählung nicht einfach so abnehmen. | |
Repräsentation ist ja keine mechanische Reproduktion von irgendwas, was | |
immer schon da war. Trump hat seine Gefolgschaft auch formiert und geformt | |
und zwar in Richtung einer identitären weißen Bewegung. Das darf man nicht | |
verharmlosen, aber wir sollten jetzt nicht gleich schlussfolgern, dass | |
alle, die ihn gewählt haben, Frauenfeinde, Rassisten und Looser der | |
Globalisierung sind. Interessant sind die Umfragen, die zeigen, dass | |
Sanders vielleicht gegen Trump gewonnen hätte. In beide Parteien gab es | |
einen Aufstand, beide haben ihn bekämpft. Die Republikaner sind dabei | |
gescheitert und ziehen jetzt ins Weiße Haus ein. | |
Ist für Sie Trump das Paradebeispiel eines Populisten? | |
Auf jeden Fall. Er macht etwas Typisches: Er sagt, er sei der alleinige | |
Vertreter des wahren Volkes, die anderen Bewerber seien nicht legitim. Das | |
ist nicht nur ein Konflikt über politische Inhalte, sondern wird moralisch | |
und persönlich, eine Charakterfrage. Trump hat Hillary Clinton als korrupt | |
und kriminell angegriffen. Und er hat ja immer wieder gesagt, dass die | |
Leute, die ihn nicht unterstützen, nicht Teil des Real America sind, also | |
nicht zum amerikanischen Volk gehören. Er hat gesagt: The important thing | |
is the unification of the people, all the other people don't matter. Das | |
heißt: Ich bestimme, wer das Volk ist. Wer einen amerikanischen Pass hat, | |
ist dabei nicht entscheidend. Das ist Populismus pur. Darüber hinaus ist er | |
noch rassistisch und sexistisch und so weiter, das ist nicht trivial, aber | |
nicht notwendiger Bestandteil des Populismus. | |
Bernie Sanders war auch ein Anti-Establishment-Kandidat, manche haben ihn | |
als Populisten bezeichnet. Zu Recht? | |
Nein, absolut nicht. Anti-Establishment und Kritik an den Eliten ist ja | |
nicht automatisch populistisch. Man muss Sanders Vorstellungen nicht | |
teilen, aber er hat nicht den Anspruch, er allein würde den Willen des | |
Volkes repräsentieren. Diese Gleichstellung – wenn es rechts Populisten | |
gibt, sind die auf der Linken auch welche – ist eine denkfaule Symmetrie. | |
Weder Sanders in den USA noch Pablo Iglesias von der spanischen Podemos, | |
der auch gerne genannt wird, sind Populisten. Sanders hat doch eher | |
klassisch sozialdemokratische Vorstellungen und ist bestimmt keine Gefahr | |
für die Demokratie. | |
Was bedeutet Trumps Sieg für die Rechtspopulisten in Europa? | |
Natürlich freuen sie sich. Eine Lehre ist sicher, dass man mit einer | |
knallharten weißen Identitätspolitik sehr viele Leute mobilisieren kann. | |
Aber man darf die Situation in den USA und Europa nicht gleichsetzen, hier | |
gibt es nicht den Hintergrund eines afro-amerikanischen Präsidenten, der | |
manche Amerikaner sagen lässt: Jetzt ist unsere Seite wieder dran! Wichtig | |
ist auch, dass es so genannte Mainstream-Parteien gibt, die in Versuchung | |
stehen, sich als populistische Parteien neu zu erfinden. Wir sehen das | |
schon lange in Ungarn bei der Fidesz-Partei unter Viktor Orban, und wir | |
beobachten derzeit, wie sich die Torys unter Theresa May als eine Variante | |
von Ukip neu erfinden. | |
Müssen wir uns in Europa auch auf rechtspopulistische Siege und so brutale | |
gesellschaftliche Spaltungen wie in den USA einstellen? Bald wird in | |
Österreich, Frankreich und den Niederlanden gewählt… | |
Ich spekuliere nicht gern über Wahlausgänge. Aber zum Beispiel mit | |
Österreich gibt es eine interessante Parallele. Wir haben in den USA ja | |
gesehen, dass man auch ohne Unterstützung der etablierten Medienwelt | |
gewinnen kann. Das ist interessant, weil die FPÖ seit langem dabei ist, bei | |
Facebook, aber auch mit FPÖ-TV und solchen Sachen ein Paralleluniversum | |
aufzubauen – mit gewisser Wechselwirkung mit der Kronen-Zeitung. Das führt | |
dazu, dass die Leute in einer völlig anderen Medien- und Informationsumwelt | |
sind. Die AfD arbeitet ja auch in diese Richtung. | |
Wie ordnen Sie mit Ihrem Populismus-Begriff die AfD ein? | |
Anfangs war die AfD größtenteils keine populistische Partei und es war ein | |
Fehler, dass man sie mit zum Teil hochmoralischen Argumenten als solche | |
bezeichnet hat. Heute ist die AfD eindeutig populistisch, weil sie sagt, | |
die anderen Parteien seien alle illegitim und eigentlich „Einheitspartei“; | |
sie nimmt für sich in Anspruch, die einzige Vertreterin des wahren | |
deutschen Volkes zu sein. | |
Nun ist durch die Bewegung der CDU in die Mitte rechts von ihr ein Platz im | |
demokratischen Parteienspektrum frei geworden. Sehen Sie noch die | |
Möglichkeit, dass die AfD diesen Platz füllt, wie Sie es unter Bernd Lucke | |
vielleicht mal vor hatte? | |
Theoretisch ist das möglich, praktisch aber unwahrscheinlich. Wenn man | |
sagt, Populismus ist Antipluralismus, dann müssen wir als Pluralisten die | |
Kröte schlucken, dass auch Positionen über Einwanderung oder | |
Familienpolitik, die in einem demokratischen Spektrum vertretbar sind, | |
diskutiert werden, die wir ablehnen. Bürger, die diese Meinung haben, | |
sollten auch die Möglichkeit haben, eine Partei zu wählen, die diese | |
Positionen vertritt. Aber es gibt eigentliche keine Fälle, wo sich | |
populistische Parteien in normale demokratische Parteien verwandeln. Warum | |
sollten sie auch? Für Orban und Le Pen läuft es doch gut. | |
Wie Horst Seehofer und auch Sigmar Gabriel mitunter versuchen, AfD-Wähler | |
zurückzugewinnen, wird oft als populistisch kritisiert. | |
Ich sehe nicht, dass Seehofer oder Gabriel einen moralischen | |
Alleinvertretungsanspruch stellen. Aber das rechtfertigt nicht, was sie | |
machen. Es ist eine fatale Entwicklung, dass sie das Narrativ der AfD über | |
das, was gerade passiert, legitimieren oder sogar verstärken. Horst | |
Seehofer ist auf gutem Wege, der Boris Johnson Deutschlands zu werden. | |
Das heißt? | |
Er verspricht sich einen Vorteil davon, dass er das AfD-Narrativ | |
perpetuiert: Wir haben die Kontrolle verloren, wir haben riesige Probleme, | |
die völlig ungelöst sind. Dabei könnte er auch sagen: Es gibt große | |
Herausforderungen, die wir angehen müssen. Die Vorstellung, wir hätten die | |
Kontrolle verloren, ist ja schon seit geraumer Zeit nicht mehr haltbar. Aus | |
der Brexit-Debatte konnte man lernen, dass Nachahmung nicht funktioniert. | |
Dort ließ man zu, dass Nigel Farage von UKIP das Narrativ, den Kern der | |
Debatte definierte. | |
Was sollte man tun? | |
Natürlich gibt es keine Patentrezepte. Der totale Ausschluss, wie man das | |
zum Teil bei der AfD bei Fernsehdebatten versucht hat, ist aber auf jeden | |
Fall falsch. Damit legitimiert man deren Narrativ: Die Eliten hören nicht | |
zu, es gibt Tabus usw. Nur: Mit Populisten reden heißt nicht wie Populisten | |
reden. Man kann über vieles diskutieren, aber demokratische Politiker | |
müssen auch sehr hart und konfrontativ sein, wenn zum Beispiel ein | |
AfD-Politker sagt, es gäbe den Plan, das deutsche Volk durch Flüchtlinge zu | |
ersetzten. Dann muss man den Zuhören signalisieren: Das ist keine normale | |
demokratische Debatte. Die Hoffnung ist, dass manche Bürger dann sagen, ich | |
will auch weniger Einwanderung, aber mit diesen Leuten, die | |
Verschwörungstheorien verbreiten und unser System als Diktatur bezeichnen, | |
möchte ich doch nichts zu tun haben. Und manchmal die Populisten auch | |
schlicht mal ignorieren. Es ist gefährlich, wenn sie ständig alle Diskurse | |
bestimmen, wie das in der Brexit-Debatte der Fall war, oder wie derzeit | |
Frankreich: Da dreht sich alles um Le Pen. Sie muss selbst gar nichts mehr | |
sagen. | |
Sie haben vorhin von parallelen Informationsumwelten gesprochen. Damit sind | |
wir beim Postfaktischen, wovon derzeit so viel die Rede ist. | |
Darüber reden wir zu schnell, erst brauchen wir mehr Wissen. Die Beispiele, | |
die es gibt, sind nicht eindeutig: Die 350 Millionen Pfund zum Beispiel, | |
die durch den Brexit pro Woche angeblich eingespart werden sollten. Das war | |
sicher nicht völlig unwichtig, aber ich glaube, dass der eigentlich sehr | |
demokratische Slogan „Take back control“ viel entscheidender war. | |
Das heißt, Sie glauben weiter an die Kraft des Sacharguments? | |
Ja, aber Fakten sprechen nicht automatisch für sich selbst. Man muss sie im | |
Kontext von Wertvorstellungen und Erfahrungen verstehen. Da noch einmal das | |
Farage-Beispiel: Nachdem man ihm die Definitionshoheit überlassen hatte, | |
worum es beim Brexit geht, also darum, die englische Freiheit gegen die | |
Brüsseler Diktatur zu verteidigen, konnte man natürlich noch mit dem Fakt | |
kommen, dass die Briten 4.000 Pfund ärmer sein werden. Aber wenn man das | |
Narrativ akzeptiert, denkt man doch: Meine Freiheit ist mir schon 4.000 | |
Pfund wert. Man sollte also nicht die naive Hoffnung haben, dass man die | |
Gegenseite ganz einfach mit Fakten entzaubern kann. | |
13 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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