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# taz.de -- Kommentar Referendum in Kolumbien: Die Opfer brauchen den Frieden
> Kolumbiens Präsident Santos hat sich im Friedensprozess verzockt. Das
> Ergebnis ist eine Katastrophe – und eine kleine Chance.
Bild: Auf ein „Ja“ gehofft: eine Frau in Bogotá nach Bekanntgabe der Ergeb…
Das Abstimmungsergebnis in Kolumbien ist eine Katastrophe. Denkbar knapp
hat die Mehrheit jener, die sich am Sonntag am Referendum beteiligten, das
Friedensabkommen zwischen Regierung und Farc-Guerilla abgelehnt. Präsident
Juan Manuel Santos, der stets betont hatte, es gebe keinen Plan B für
diesen Fall und Nachverhandlungen seien nicht denkbar, steht vor einem
Trümmerhaufen.
Santos hat sich im Laufe des Prozesses offenbar gleich mehrfach verzockt.
Es gibt in Kolumbien keinen Automatismus, wichtige politische
Entscheidungen durch eine Volksabstimmung legitimieren zu lassen – Santos
setzte darauf, um einerseits seine Verhandlungsposition gegen die Guerilla
zu stärken und andererseits den Gegnern jeglicher Verhandlungen zunächst
einmal den Wind aus den Segeln zu nehmen. Das war zu kurz gesprungen.
Die vom ehemaligen Präsidenten Alvaro Uribe angeführte rechte Opposition
kann das Nein vom Sonntag als fulminanten Sieg verbuchen. Ja, viele der
Argumente, die sie gegen das Abkommen ins Felde führte, basierten auf
falschen Behauptungen. Und Uribe selbst, der jetzt Nachverhandlungen
fordert, war schon gegen den Friedensprozess, bevor die Verhandlungen
überhaupt nur begonnen hatten. Er setzte immer auf einen miitärischen Sieg
über die Farc, wollte nie einen verhandelten Frieden.
Aber es nutzt nichts, sich über die Verlogenheit zu beklagen. Auch
Präsident Santos wusste, dass das Land in der Frage nahezu in zwei Hälften
gespalten ist. Schon seine Wiederwahl 2014, als Zustimmung zum
Friedensprozess interpretiert, war knapp ausgegangen. Hätte es wirklich
eine solide Grundlage zum Frieden sein können, wenn jetzt nicht 53.000
Stimmen den Unterschied gegen, sondern für das Abkommen ausgemacht hätten?
Die Guerilla selbst hat ihren Teil dazu beigetragen, dass die Argumente für
Nein immer stärker wurden. Viel zu spät hat sie die Opfer der von ihr
begangenen Schwerstverbrechen um Entschuldigung gegeben. Erst am Tag vor
dem Referendum hat sie erstmals öffentlich angekündigt, ihre
Finanzverhältnisse offenlegen und sich an Reparationszahlungen beteiligen
zu wollen.
Und obwohl sie schon seit Jahrzehnten nicht mehr über ein politisches
Mandat welcher Bevölkerungsschicht auch immer verfügt, versuchte sie zu
verhandeln, als vertrete sie die Interessen der kolumbianischen
Armutsbevölkerung, als liege es an ihr, jahrhundertealte Ungleichheit und
Ungerechtigkeit wegzuverhandeln. Als internes Argument innerhalb einer
Organisation, die in dritter Generation kämpft und ihrerseits auch tausende
MitstreiterInnen verloren hat, ist das nachzuvollziehen. Für den Rest der
Gesellschaft ist es eine anmaßende Attitüde einer Organisation, die seit
Jahren lediglich als ein brutaler Akteur mehr im blutigen kolumbianischen
Konflikt um Macht, Einfluss und Kontrolle über Ressourcen agiert.
## Uribe in die Pflicht nehmen
Und das betrifft denn auch den Part des Abkommens über politische
Partizipation, das der Guerilla für die kommenden zwei Legislaturperioden
eine Mindestanzahl von Sitzen im Parlament garantierte: Die wenigsten
KolumbianerInnen wollen die Farc-Führer wirklich gern als Abgeordnete sehen
– jene, die am Sonntag mit „ja“ stimmten, hätten sie allerdings lieber im
Parlament gehabt als weiter hinter ihren Maschinengewehren. Es ist
bezeichnend, dass das „ja“ überall dort hoch gewonnen hat, wo der Krieg am
heftigsten gewütet hat. Die Opfer wissen, dass sie Frieden brauchen.
Ex-Präsident Alvaro Uribe kommt jetzt eine besondere Verantwortung zu. Die
vielleicht einzig positive Konsequenz dieses Ergebnisses ist, dass er seine
politische Macht nun nicht einfach weiter destruktiv einsetzen kann. Gegen
ein knappes Ja hätte er umstandslos weiter harte Opposition betrieben – und
in Kolumbien hätte das auch einen Freibrief für die rechten Paramilitärs
bedeutet, ins Zivilleben zurückkehrende Guerilleros und
Pro-Friedens-AktivistInnen einfach umzubringen. Dass Uribe mit diesen
Gruppen alliiert ist, weiß man schon seit seiner Zeit als Gouverneur der
Provinz Antioquia vor vielen Jahren. Und schon in den letzten Wochen war
die Zahl entsprechender Morde wieder deutlich angestiegen.
Uribe wird versuchen, jetzt seine Bedingungen für die Neuaufnahme von
Verhandlungen durchzusetzen, und kann dafür seit Sonntag sogar ein knappes
Mandat beanspruchen. Bleibt er bei dem, wofür er steht, heißt das: er wird
durch überzogene Forderungen jegliche weiteren Verhandlungen unmöglich
machen, auf eine Rückkehr an die Macht bei den Wahlen 2018 hoffen und dann
die militärische „Lösung“ weiterverfolgen.
Es liegt nun an Präsident Santos, Uribe konstruktiv in die Pflicht zu
nehmen und trotz seiner eigenen Niederlage die Führungsrolle zu behalten.
Dazu wird er weiter internationale Unterstützung brauchen. All jene
Staaten, die noch vor einer Woche begeistert Glückwunschtelegramme und
Vertreter zur Unterzeichnung des Abkommens nach Cartagena schickten, sind
jetzt noch mehr gefragt.
Denn ein Abkommen zwischen Farc und Regierung ist zwar für Kolumbien noch
kein sicherer Weg zum Frieden. Alles andere aber ist ein sicherer Weg zu
noch mehr Blutvergießen.
3 Oct 2016
## AUTOREN
Bernd Pickert
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