| # taz.de -- Kolumbianischer General über Frieden: „Wir haben in Havanna gewo… | |
| > Javier Flórez hat für die kolumbianische Regierung das Abkommen mit der | |
| > Farc mitverhandelt. Der General über die Herausforderungen des | |
| > Friedensprozesses. | |
| Bild: General Javier Flórez | |
| taz: Herr General Flórez, Sie haben die Farc mehr als ihr halbes Leben | |
| militärisch bekämpft. Wann haben Sie zum ersten Mal daran gedacht, dass die | |
| Lösung des Konflikts durch Verhandlungen erzielt werden könnte? | |
| Javier Flórez: Als Chef des Vereinigten Generalstabes wurde ich zusammen | |
| mit den anderen Kommandeuren der Armee in den Präsidentenpalast gerufen, | |
| das war im August 2014. Präsident Santos fragte mich: „General Flórez, hat | |
| man Sie schon informiert, was Ihre neue Aufgabe ist?“ Ab morgen, sagte er, | |
| solle ich bei den Verhandlungen in Havanna die Unterkommission zum | |
| Konfliktende leiten. Ich bin erstmal raus, habe geraucht und ein paar | |
| Kaffee getrunken. Ich hatte viele widersprüchliche Gedanken in meinem Kopf. | |
| Aber am Ende würde es den Streitkräften und der kolumbianischen | |
| Gesellschaft zu Gute kommen, wenn ein finales Abkommen erreicht werden | |
| würde. Also habe ich die Herausforderung angenommen. Manche in der Armee | |
| haben mich einen Verräter genannt. | |
| Sie saßen dann also Männern, mit denen sie sich jahrzehntelang bekriegt | |
| haben, am Verhandlungstisch gegenüber. Wie war das? | |
| Der Gedanke daran war nicht leicht. Ich habe die Farc fast 40 Jahre | |
| bekämpft und jetzt soll ich mich hinsetzen, ihnen in die Augen schauen und | |
| die Hand schütteln? Glücklicherweise haben am Vortag die beiden Exgeneräle, | |
| die schon länger mitverhandelten, mir von ihren Erfahrungen erzählt. Als | |
| ich dann durch die Tür in den Sitzungssaal ging, habe ich mir ein Herz | |
| gefasst und sie als Ehrenmann begrüßt. In diesem Moment war das Eis | |
| gebrochen. Ich habe sie mit Respekt behandelt und Respekt von Ihnen | |
| erwartet – und so war es dann auch. Wir haben auf dem Schlachtfeld gewonnen | |
| und wir haben auch in Havanna gewonnen, weil wir ein großartiges Abkommen | |
| erreicht haben mit einem endgültigen Waffenstillstand und der Entwaffnung | |
| der Farc, die innerhalb von sechs Monate ihre Waffen abgeben muss und dann | |
| als politische Partei ihre Ideen frei verbreiten kann. | |
| Die Verhandlungen zum Waffenstillstand und zur Entwaffnung dauerten fast | |
| zwei Jahre. Was war das Schwierigste daran? | |
| Eine Herausforderung war ohne Zweifel, dass zur selben Zeit die Armee in | |
| Kolumbien gegen die Farc kämpfe und in Havanna mit ihnen über den Frieden | |
| sprach. Im vergangenen Jahr gab es einen einseitigen Waffenstillstand der | |
| Farc, und wir konnten beobachten, dass der Konflikt eine andere Dynamik | |
| bekam, weil es keine Kämpfe mehr gab und nur noch wenige Zwischenfälle. Ich | |
| war sehr überrascht, als wir zum ersten Mal in die geplanten | |
| Entwaffnungszonen gereist sind. Ich sah dort Soldaten in Uniform und | |
| Guerilleros in Zivil, die sich einander mit Respekt begegneten. Da wusste | |
| ich, dass es funktionieren wird. | |
| Warum hat es nicht früher geklappt? Drei Verhandlungen mit der Farc sind in | |
| den vergangenen Jahrzehnten gescheitert. | |
| Die Verhandlungen sind gescheitert, weil das mit dem Waffenstillstand und | |
| Entwaffnung unmöglich war. Die Farc hatte eine völlig unterschiedliche | |
| Vorstellung: Sie wollten die Waffen erst abgeben, wenn der Vertrag | |
| vollständig implementiert ist, also zehn Jahre später. Als die Farc sich | |
| dieses Mal an den Verhandlungstisch setzten, waren sie militärisch ziemlich | |
| reduziert. Mit der Strategie der „Demokratischen Sicherheit“ haben wir | |
| diesen Friedensprozess überhaupt erst erreicht. Von 26.000 Kämpfern sind | |
| nur noch knapp 6.000 unter Waffen. Die Farc stand nicht nur einer sehr | |
| professionellen Armee gegenüber, sie hatte auch interne Probleme. Ihr war | |
| einfach klar, dass sie nicht noch weitere 50 oder 100 Jahre kämpfen könne, | |
| um an die Macht zu kommen. | |
| In der Zeit der harten Hand gegen die Rebellen wurden auch mindestens 3000 | |
| unschuldige Männer als sogenannte „Falsos positivos“ von Soldaten getötet. | |
| Jetzt soll eine Wahrheitskommission herausfinden, was im Konflikt alles | |
| passiert ist. Haben Sie Sorgen, dass da neue Details oder weitere | |
| Schreckenstaten der Armee ans Licht kommen? | |
| Wir führen unsere Militäroperationen immer nach der Maßgabe des | |
| Oberkommandierenden aus und das ist der Präsident. Es gibt keine Politik, | |
| nach der Menschenrechte verletzt werden sollen. In einem Konflikt von 52 | |
| Jahren kann es natürlich einige Personen innerhalb der Armee gegeben haben, | |
| die Fehler begingen. Das haben wir nie vertuscht. Die Fehler, die sie | |
| begangen haben, werden untersucht und die Schuldigen bestraft. (Laut | |
| Menschenrechtsorganisationen waren auch hohe Offiziere in die Tötungen | |
| verwickelt, die meisten Fälle blieben straffrei, d. Red.) Es gibt keine | |
| Falsos Positivos an sich und es gibt keine Politik der Streitkräfte in | |
| dieser Hinsicht. Wenn es Exzesse eines Mitgliedes der Streitkräfte | |
| innerhalb des Konfliktes gab, werden sich unsere Männer gleichermaßen vor | |
| der Übergangsjustiz, die in Havanna beschlossen wurde, verantworten müssen. | |
| Von manchen wird kritisiert, dass die Übergangsjustiz im Prinzip für | |
| Straffreiheit sorgt. | |
| Ich war bei den Verhandlungen nicht für diesen Bereich zuständig. Für uns | |
| war wichtig, dass unsere Männer gleichbehandelt werden. Es kann ja nicht | |
| sein, dass ein Guerillero im Kongress sitzt oder Bürgermeister wird, und | |
| dass ein General, ein Oberst, ein Offizier oder ein Unteroffizier ins | |
| Gefängnis muss. Das wäre ungerecht. | |
| In mehr als einem halben Jahrhundert Bürgerkrieg wurde die Armee zu einem | |
| wichtigen Akteur in Kolumbien. Verliert sie nun ihre Daseinsberechtigung? | |
| Es ist ja nur ein Kriminalitätsphänomen beendet worden: Eine | |
| Guerilla-Organisation, die viel Schaden im Land angerichtet hat, kämpft | |
| nicht mehr. Aber uns bleibt das ELN, uns bleiben die Bacrim (als | |
| „kriminelle Banden“ bezeichnete Exparamilitärs, d. Red.), uns bleibt die | |
| organisierte Kriminalität, der Drogenhandel und die Verteidigung der | |
| Souveränität unseres Landes. Wir können die Vereinten Nationen und die | |
| Organisation Amerikanischer Staaten in anderen Friedensprozessen begleiten. | |
| Aber auch in Kolumbien gibt es noch viel für uns zu tun. Die Minenräumung | |
| wird lange dauern, bestimmt 30 Jahre. Wir haben spezielle Brigaden zur | |
| Zerstörung von Koka-Feldern. Und nicht zuletzt können wir auch mit unseren | |
| Ingenieuren die Entwicklung des Landes mitgestalten. | |
| Und was passiert, wenn die Kolumbianer am Sonntag das Friedensabkommen | |
| ablehnen? | |
| Dann ziehen wir wieder in den Krieg. Ich bin vorbereitet, hier habe ich die | |
| Granaten und die Gewehre. (Er macht Schießgeräusche und lacht) | |
| 2 Oct 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Sebastian Erb | |
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