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# taz.de -- Essay zur US-Präsidentschaftswahl: Ein „Fuck you“ für die Mä…
> Die Amerikaner misstrauen Clinton. Trumps Lügen sind keine Alternative.
> Welcher Kandidat wird die USA nach der Wahl wieder einen können?
Bild: Narzisst durch und durch: Donald Trump
Die Welt ist wirklich nicht gerecht. Je dreister Donald Trump lügt, desto
größer ist die Freude seiner Anhänger. Seht her, wie clever unser Mann ist!
Das Trump-Lager weiß sich vor Begeisterung kaum zu lassen.
So schön ist das Leben für Hillary Clinton nicht. Gegen sie werden diffuse
Anschuldigungen im Zusammenhang mit einer alten, längst gründlich
untersuchten Affäre laut – und sie stürzt in der Wählergunst so steil ab,
dass ihr schon sicher geglaubter Sieg plötzlich gefährdet ist. Ob die
öffentliche Entlastung, die nur Stunden vor der Wahl erfolgte, daran etwas
ändert, steht dahin.
Ist das ein weiterer Beweis dafür, dass die breite Mehrheit sich eben
irrational verhält und ausschließlich an persönlichen Sympathien
orientiert? Nein. Denn der unterschiedliche Umgang mit Skandalen und
Enthüllungen im Hinblick auf die beiden Präsidentschaftskandidaten trifft
den Kern dessen, worum es im US-Wahlkampf geht. Und dieser Kern ist sehr
viel politischer, als es auf den ersten Blick erscheinen mag.
Donald Trump bedient bekanntlich ein Misstrauen gegenüber dem
Establishment, das auch in einem wachsenden Teil der Bevölkerung in vielen
Ländern Europas herrscht. Hier wie dort, in den USA und in Europa, geht es
um Abstiegsängste und ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber einer als
unübersichtlich empfundenen Welt im Zeitalter der Globalisierung. Abwehr,
sogar Hass gegenüber Fremden, gegenüber Minderheiten, kurz: gegenüber
allem, was das althergebrachte Normengerüst zu bedrohen scheint, verbindet
die Bewegungen diesseits und jenseits des Atlantik.
## Trumps Wahlkampf war menschenverachtend
Donald Trump war keineswegs so unberechenbar, wie er immer dargestellt
wird, als er gegen Mexikaner und Muslime hetzte, sich über Behinderte
lustig machte und erfolgreiche, selbstbewusste Frauen angriff. Er kennt
seine Leute. Sein Wahlkampf war menschenverachtend. Dumm war er nicht.
Das Einzige, was Trump wirklich geschadet hat, war eine Äußerung, von der
er nicht gewünscht – und nicht erwartet – hatte, dass sie jemals öffentli…
werden würde: eine Bemerkung, die darauf hinauslief, dass er glaubte, als
„Star“ eine verheiratete Frau gegen ihren Willen sexuell belästigen zu
dürfen.
Hier hat den Kandidaten seine Vergangenheit eingeholt. Eine verheiratete
Frau nicht als sakrosankt zu betrachten: Das finden auch – und gerade seine
männlichen Wähler schwer erträglich. Wären nicht fast zeitgleich
unangenehme Informationen über Hillary Clinton veröffentlicht worden, dann
hätte man am Dienstagabend getrost ins Bett gehen können, ohne die
US-Wahlen bis zum Ende zu verfolgen. Die Siegerin hätte fest gestanden.
Hillary Clinton gilt als verschlagen und trickreich. Und letztlich laufen
alle Vorwürfe gegen sie darauf hinaus, dass sie nur ihre eigenen Interessen
im Blick hat. Aber warum gilt bei ihr als verwerflich, was im Hinblick auf
Donald Trump niemand bestreitet, nicht einmal seine Anhänger?
## Geld ist der Dreh- und Angelpunkt
Trump hat – anderslautenden Versprechen zum Trotz – seine Steuererklärung
nicht veröffentlicht. Noch immer gilt er als erfolgreicher Geschäftsmann,
obwohl er eigenem Bekunden zufolge Milliardenverluste gemacht hat. Nach wie
vor hat er mit Betrugsvorwürfen im Zusammenhang mit einer privaten
Universität zu kämpfen. Warum also muss nur Clinton und nicht auch Trump
vor allem Enthüllungen fürchten, die mit Geld zu tun haben?
Weil er mit allem, was über ihn in dieser Hinsicht bekannt wird, stets
seine Pose unterfüttern kann: den Stinkefinger gegenüber allen Mächtigen.
Nichts lieben seine Anhänger so sehr wie diese Geste des Trotzes. Trump hat
den Staat beschissen? Toll!
Geld ist zum Dreh- und Angelpunkt des US-Wahlkampfs geworden. Darin liegt
der entscheidende Unterschied zwischen der rechtspopulistischen Bewegung in
Europa und der in den Vereinigten Staaten. In Europa richtet sich der
Widerstand gegen Übertragungen nationaler Befugnisse an transnationale
Institutionen wie der EU. Also: „gegen Brüssel“. In den Vereinigten Staaten
geht es nicht um die Abgabe nationaler Souveränität. Sondern um den Kampf
gegen undurchschaubare Verflechtungen des Großkapitals.
Die politische Kultur in den USA ist eine andere als die in Europa. Mag
sein, dass ein Tellerwäscher es dort noch immer zum Millionär bringen kann.
Ins Oval Office wird allenfalls sein Sohn oder seine Tochter gewählt
werden.
## Recht auf freie Meinungsäußerung
Wer nicht reich ist, hat in den Vereinigten Staaten keine Chance auf das
Amt des Präsidenten. Das ist dort seit Jahrhunderten akzeptiert. Was von
Globalisierungsgegnern hingegen nicht mehr akzeptiert wird: der Einfluss
von Lobbygruppen, die nicht als solche zu erkennen sind. 2010 hat der
Oberste Gerichtshof der USA mit knapper Mehrheit entschieden, dass Konzerne
– anders als zuvor – Mittel in unbegrenzter Höhe für oder gegen politische
Kandidaten einsetzen dürfen und dass auch Unternehmen ebenso wie Individuen
ein Recht auf freie Meinungsäußerung zusteht.
Dieser Richterspruch hat das Klima in den USA grundlegend verändert. Wer
Angst vor internationalen Verflechtungen und undurchschaubarem Einfluss der
Konzerne hat, nimmt nun jede Nähe zur Wall Street übel. Donald Trump hat
stets seine Distanz zu Großspendern betont.
Hillary Clinton und ihr Mann hingegen haben unvorstellbar hohe Summen mit
Vorträgen verdient, die sie vor Wirtschaftsmagnaten gehalten haben. Ist es
ein Wunder, dass die demokratische Kandidatin verdächtigt wird, sich ihren
großzügigen Freunden gegenüber erkenntlich zeigen zu wollen, ist sie erst
einmal im Amt?
Das ist kein Wunder, und das ist auch nicht irrational oder unpolitisch.
Aber bedeutet das zugleich, dass Donald Trump klüger, weitsichtiger und
weniger gefährlich ist, als derzeit gemeinhin angenommen wird?
## „Eine Ideologie mit einem Namen“
Nein. Das bedeutet es nicht. Die Tatsache, dass jemand auf der Klaviatur
der öffentlichen Meinung spielen kann, ist noch kein Nachweis geistiger
Gesundheit. Wer den Wahlkampf von Trump verfolgt hat, kann keinen Zweifel
daran haben, dass hier ein Narzisst unterwegs ist, der keine Kränkung oder
Zurückweisung je verzeiht. Und der weder den Staat noch dessen
Institutionen achtet, wenn das bedeutet, dass er Kritik an seiner Person
hinnehmen muss.
„Seine Plattform ist Feindseligkeit und sein Programm ist Rache“, schreibt
Adam Gopnik im New Yorker. „Das ist eine Ideologie mit vielen Gesichtern
und einem Namen. Das ist Faschismus mit einem amerikanischen Antlitz.“
Ja, vermutlich stimmt das. Und man möchte nicht, dass so jemand auch nur
mitreden darf, wenn es um den Einsatz von Atomwaffen geht. Geschweige denn,
darüber entscheiden. Die Welt – und nur sehr selten war „die Welt“ so ei…
in ihrer Einschätzung – wird mehrheitlich erleichtert aufatmen, falls
Hillary Clinton die Wahl gewinnt.
Und dann? Dann wird sich diese Welt mit einer US-Präsidentin arrangieren
müssen, die wenig Angst vor einer militärischen Konfrontation der
Weltmächte zu haben scheint. Sie habe als Außenministerin hinzugelernt,
sagen manche derjenigen, die sich noch an ihre militaristischen Äußerungen
im Vorwahlkampf 2008 gegen Barack Obama erinnern. Hat sie wirklich
dazugelernt?
## Weil die Alternative deprimierender ist
Hinweise darauf gibt es nicht. Hillary Clinton hat sich wahnsinnig – ja: im
Wortsinn wahnsinnig – über den Tod des libyschen Staatsoberhaupts Gaddafi
gefreut. (Wer mag, kann auf YouTube nachschauen, wie das aussieht.)
Jetzt bestreitet sie ihren Wahlkampf, zumindest teilweise, mit der Idee
einer Flugverbotszone über Syrien. Die – vielleicht, möglicherweise,
wahrscheinlich – zu einer militärischen Konfrontation zwischen
Nuklearmächten führen wird.
Und auf dem Sieg einer Kandidatin, die das offen vertritt, ruhen die
Hoffnungen der Welt? Ja, weil die Alternative eben noch deprimierender ist.
Donald Trump ist vollständig unberechenbar. Hillary Clinton ist berechenbar
– und gefährlich. So etwas nennt man die Wahl zwischen Pest und Cholera.
Es ist wahr: Die US-Gesellschaft ist tief gespalten, und eine Versöhnung
zwischen den beiden Lagern wird vermutlich keinem der beiden – weithin
unbeliebten – Kandidaten gelingen. Soziale Fragen, das Problem des
Rassismus und Streitigkeiten über das Wahlrecht müssen die Vereinigten
Staaten alleine klären. Deren Außenpolitik jedoch berührt alle Staaten
dieser Welt. Und es sieht so aus, als ob das Wahlergebnis scheußlich ist –
wie immer es ausfällt.
7 Nov 2016
## AUTOREN
Bettina Gaus
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