# taz.de -- Debatte Trumps Kabinett: Ein Albtraum wird Normalität | |
> Donald Trumps Präsidentschaft wird grausig. Das liegt an seiner seiner | |
> umfassenden Unwissenheit und seinem Narzissmus. | |
Bild: Trump weiß nicht, wie wenig er begreift. Und er wird sich kaum Berater s… | |
Vor 78 Jahren wurde ich im New Yorker Stadtteil Bronx von einer Gruppe | |
Jungs angepöbelt, als ich auf dem Weg zur Stadtbücherei an ihrer | |
katholischen Schule vorüberlief. Die Reichspogromnacht war erst einen Tag | |
her. Damals war New York die westlichste Stadt Europas, und | |
selbstverständlich hatten alle davon im Radio gehört oder in der Zeitung | |
gelesen. Meine Mitbürger machten mit ihren Schmährufen deutlich, dass ihre | |
Solidarität den Nazis galt. | |
Angesicht der Wahl von Donald Trump wurde mir bewusst, dass die | |
Vergangenheit noch nicht ganz hinter uns liegt. Antisemitismus überschattet | |
seine Kampagne genauso wie die bewussten verbalen Angriffe auf Immigranten, | |
Muslime und die diversen Kritiker der „Großartigkeit“ Amerikas. Der | |
Präsident und Hillary Clinton haben Trump noch eine Chance eingeräumt, sein | |
Benehmen und seine Ausdrucksweise zu normalisieren und die abstoßende Art | |
seiner Kampagne rasch vergessen zu machen. | |
Wie es scheint, ist er willens, diese Chance zu ergreifen. Viele in der | |
landesweiten Wählermehrheit hinter Hillary Clinton haben deutlich gemacht, | |
dass sie davon nicht überzeugt sind. Im ganzen Land protestieren | |
Demonstranten gegen die bevorstehende Trump-Präsidentschaft, und es sind | |
nicht nur Studenten oder junge Berufstätige. | |
Trump muss viele Zweifel zerstreuen, um sich die Legitimität zu | |
verschaffen, die im Normalfall einem neuen Präsidenten ohne Zögern | |
zuerkannt wird. Rassismus und Fremdenhass gehören zu seiner Biografie. Sein | |
Vater wurde 1927 im New Yorker Stadtteil Queens festgenommen, weil er an | |
einer Demonstration des Ku Klux Klan gegen die angeblich zu sehr | |
irisch-katholisch dominierte New Yorker Polizei teilgenommen hatte. Später | |
wurde Trump als junger Mann vom Justizministerium verklagt, weil es in | |
seinen Mietshäusern Fälle rassischer Diskriminierung gab. | |
## Die alten Fabriken machten dicht | |
Trumps wirtschaftliche Botschaft ist plump, aber auch plausibel. Weite | |
Teile der US-amerikanischen Gesellschaft blieben vom Aufschwung nach der | |
Wirtschaftskrise von 2008 ausgeschlossen. Die Probleme ganzer Städte und | |
Staaten – vor allem, aber nicht nur in den Industrieregionen des Mittleren | |
Westens, die seit dem Zweiten Weltkrieg das Zentrum der amerikanischen | |
Wirtschaftskraft waren – werden immer größer. | |
Die alten Fabriken machten dicht, aber neue Dienstleistungsunternehmen | |
haben sich dort noch nicht angesiedelt. Trump beansprucht, dass er mit | |
einem Federstrich die Handelsabkommen annullieren werde, die es US-Firmen | |
ermöglicht haben, ihre Produktion nach Mexiko oder Asien zu verlegen. Seine | |
republikanischen Unterstützer im Kongress haben durchgängig gegen | |
Bildungsinvestitionen oder Infrastrukturprojekte gestimmt, die von Obama | |
und den Demokraten vorgeschlagen wurden. Trump kritisierte unverblümt das | |
US-amerikanische Kapital, benannte aber nur vage oder hohle Gegenmaßnahmen | |
zu dessen Zügelung. | |
Bernie Sanders formulierte eine viel systematischere und konsequentere | |
Kritik am Freihandel und am blinden Vertrauen in die Märkte. Aber sie wurde | |
ebenso wenig wie die Forderungen von Senatorin Elizabeth Warren nach | |
Regulierung der Finanzmärkte in die Clinton-Kampagne integriert. Vor allem | |
die jüngeren Sanders-Unterstützer blieben skeptisch, wie ernst es Clinton | |
damit meinte. Zwar präsentierte sie durchaus überzeugende wirtschaftliche | |
Vorhaben, aber sie erwähnte sie nur selten und ohne Enthusiasmus. Ihr | |
Wahlslogan „Stronger Together“ riss kaum jemanden mit, denn es war zu | |
offensichtlich, dass ihre Kampagne sich auf Afroamerikaner, Latinos und | |
Frauen und deren jeweilige Gruppeninteressen stützte. | |
## 4.000 Posten zu besetzen | |
Trump greift nun auf der Suche nach Kandidaten für seine | |
Regierungsmannschaft auf das Segment der Elite zurück, das er am besten | |
kennt: Unternehmer und Manager. Es ist auffällig, dass es in seiner | |
Umgebung niemand aus dem akademischen Milieu gibt, genauso wenig wie aus | |
den politisierten Forschungsinstitutionen, die eher schlecht getarnte | |
Propagandazentren sind. Obwohl fast alle ehemaligen Regierungsmitarbeiter | |
aus den Sphären der Wirtschafts-, Außen- und Verteidigungspolitik Trump zum | |
Anathema erklärt haben, wird es zweifellos genug Bewerber für die rund | |
4.000 Posten geben, die ein neuer Präsident besetzen muss. Es ist auch zu | |
bezweifeln, dass er allein eine zusammenhängende politische Agenda | |
entwerfen kann. | |
Mit einer republikanischen Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses wird | |
er zunächst bisher Erreichtes zerstören. Obamas Gesundheitspolitik samt | |
ihrer staatlichen Finanzunterstützung wird wohl – zumindest teilweise – | |
abgeschafft, wobei völlig unklar ist, ob er eine Alternative zur Rückkehr | |
zum alten Zustand anbieten wird, in dem alle, die noch keine Rentner sind, | |
den Versicherungsunternehmen ausgeliefert waren. Das Pariser Klimaabkommen | |
wird er für die USA aufkündigen. Wie viel davon er als Präsident allein | |
entscheiden darf und was doch nur vom Kongress – und somit unter Mitwirkung | |
der Demokraten – beschlossen werden kann, muss dieser Mann mit seiner | |
bekanntlich äußerst kurzen Aufmerksamkeitsspanne erst begreifen. | |
Seine hässlichen Ankündigungen, mehr als zehn Millionen Immigranten ohne | |
Aufenthaltspapiere abzuschieben und eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu | |
bauen, zwingen ihn zum Handeln, um seine Wähler nicht zu enttäuschen und | |
einen Gesichtsverlust zu vermeiden. Doch auch hier verhindern die | |
Rechtsprechung des Obersten Bundesgerichts, die Befugnisse des Kongresses | |
und eine (sehr gespaltene) öffentliche Meinung, dass Trump Befehle nach | |
Gutdünken erteilt. | |
Ein großer Teil der Besorgnis und Verängstigung unter den Einwanderern wird | |
sich sicher in den kommenden Wochen in Überlegungen zum organisierten | |
Widerstand verwandeln und dabei auf die Unterstützung der Kirchen des | |
Landes setzen können. Es gibt keinen Beleg, dass Trump intellektuell und | |
psychologisch fähig ist, mit solch komplexen Situationen umzugehen. | |
## Nur noch ein Aushängeschild | |
In der Außen- und Sicherheitspolitik hat die Neigung des neugewählten | |
Präsidenten zu unüberlegter Schrillheit bereits international Unsicherheit | |
erzeugt, aber keine neuen Gesprächskanäle eröffnet. Ohne Zweifel wäre ein | |
Überdenken der Beziehungen zu Russland sinnvoll, aber dem stehen andere | |
Aussagen Trumps zum Nahen Osten entgegen. Seine Ankündigung, das | |
Nuklearabkommen mit dem Iran zu kündigen, übersah, dass es auch von | |
Deutschland, Großbritannien, China und Russland unterzeichnet wurde. Sein | |
Versprechen in Richtung Militärführung, die Bewaffnung der USA zu erneuern, | |
ist technisch und finanziell absurd. Je eher er in all diesen Fragen | |
kompetente Beratung bekommt, desto besser. | |
Für einen unbegabten Amateur wie Trump liegt darin ein Problem. Wenn er | |
kompetente Leute in sein Kabinett, an die Spitze der Bundesbehörden und in | |
seinen Stab im Weißen Haus holt, werden diese geneigt sein, eigenständig | |
mit dem Kongress und der öffentlichen Meinung umzugehen. In drei oder sechs | |
Monaten ist er womöglich nur noch ein Aushängeschild – oder gar eine | |
Spottfigur, die nach und nach das Ansehen der eigenen Wähler verliert. | |
Ronald Reagan überstand zwar die zweite Amtszeit trotz seiner immer | |
offensichtlicheren Alzheimer-Erkrankung. Trumps Problem hingegen ist neben | |
seiner umfassenden Unwissenheit sein pathologischer Narzissmus. Er weiß | |
nicht, wie wenig er begreift, und er wird sich höchstwahrscheinlich keine | |
Berater aussuchen, die ihn auf seine Unzulänglichkeiten hinweisen. | |
Und es kommt noch eines hinzu: Die Republikanische Partei im Kongress und | |
in den Bundesstaaten ist zutiefst gespalten. Es gibt eine Fraktion, die | |
dogmatisch darauf beharrt, jegliches Regierungshandeln so weit wie möglich | |
zu beschränken. Eine zweite Fraktion versucht, die erlahmte Tradition eines | |
modernen Republikanismus wiederzubeleben, sie erkennt also an, dass moderne | |
Gesellschaften einen aktiven Staat benötigen. Konflikte mit dem Weißen Haus | |
sind da unvermeidlich, und Trumps direkter Kontakt zu den Bürgern beruht | |
auf der Verkündung von Zielen, die er unter den jetzigen Umständen und | |
angesichts seiner persönlichen Beschränkungen nicht verwirklichen kann. Ein | |
Rückgriff auf extremen Autoritarismus würde im Kongress, bei der Justiz und | |
in der öffentlichen Meinung auf ernsthaften Widerstand stoßen. | |
Trump hat wenige Möglichkeiten, selbst begrenzte Erfolge zu erzielen und | |
kann mit großer Anstrengung einige Katastrophen vermeiden. Die | |
Schwierigkeit ist, dass seine Präsidentschaft ipso facto die größte aller | |
Katastrophen ist oder sein wird. | |
Aus dem Englischen von Stefan Schaaf | |
12 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Norman Birnbaum | |
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