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# taz.de -- Debatte Silvesternacht in Köln: Jetzt reden die Männer
> Die Diskussion um die Silvesternacht macht aus Frauen Opfer, die es zu
> beschützen gilt. Wo sind die weiblichen Stimmen, die dem widersprechen?
Bild: Wer ist Täter und wer ist Opfer? Die Frage wird nach der Silvesternacht …
Frauen, egal welcher Herkunft, sehen die Silvesternacht von Köln 2015 als
Chiffre für sexualisierte Gewalt und Frauenverachtung. Auch für jene
Verachtung von Frauen, die in patriarchal strukturierten Gesellschaften –
aber nicht nur dort – vorkommt. Für zumeist deutsche Männer dagegen steht
die Nacht, in der Hunderte Frauen am Kölner Hauptbahnhof sexualisierter
Gewalt ausgesetzt waren, für den Verlust der Hoheit über den Ort. Und den
der Deutungshoheit. Die wollen sie zurück.
Während sich kurz nach der Silvesternacht 2015 noch Frauen zu Wort meldeten
und die Universalität von sexualisierter Gewalt in die Debatte mit
einbrachten, werden ihre Stimmen, bis auf jene von Alice Schwarzer, zum
Jahrestag der Ereignisse nicht mehr wahrgenommen. Statt dessen schreiben
oft Männer die Leitartikel zu Köln, erklären Wissenschaftler, wofür es
steht. Und sie führen in ihren Artikeln zu dieser „Zeitenwende“, so Guido
Wolf (CDU), all das an, was seit einem Jahr wie Tatsachen gehandelt wird:
Dass Köln das Scheitern der Willkommenskultur zeige, wie auch das Versagen
der Polizei.
Dass Köln belege, wie notwendig flächendeckende Videoüberwachung sei und
dass Political Correctness zum Problem beigetragen habe. Dass populistische
Parteien durch die Ereignisse erst stark geworden seien und auch die
Erosion der Zivilgesellschaft wird als Folge von Köln genannt. Als
[1][„Entfesselung des Bestätigungsdenkens]“ bezeichnete Bernhard Pörksen,
Medienwissenschaftler, die Erklärungswut schon vor einem Jahr.
## Männerthema: Sicherheit
Neu in den Analysen zum Jahrestag ist vor allem die Frage nach der
Sicherheit. Kaum eine Zeitung, in der kein Mann dazu etwas sagt. Das
Sicherheitsthema – eine Männerbastion – bekam dann nach Silvester 2016
überraschend eine neue Wendung: Rassismus. Um nicht erneut die Ortshoheit
zu verlieren, hätte die Kölner Polizei Maßnahmen ergriffen, denen ein
rassistisches Raster zugrunde liege. So wird aus dem Täterprofil dann
wieder ein Opferprofil, was manchen auch ins Diskursschema passt.
Der Großteil der Frauen meldet sich indes nicht mehr zu Wort – oder wurde,
wenn doch, kaum gehört. Warum nicht? Weil ihre Erklärungen nicht
weltgreifend genug sind? Auf der Webseite des Feministischen Instituts
Hamburg ist [2][eine andere Erklärung] zu lesen. Frauen würden durch die
Schlüsse, die aus der Silvesternacht in Köln gezogen werden, „erneut zum
Schweigen gebracht, zu Opfern gemacht, es gelte sie zu beschützen.“
Die Erkenntnisse, die aus dem Desaster in Köln gezogen werden, zeigen ein
Muster: Es wird nach Schuldigen gesucht jenseits der eigenen Verantwortung.
Die Polizei hat versagt. Merkels Politik hat versagt. Die Herkunftsländer,
aus denen die Täter kommen, sind „failed states“ und versagen. Die
Integrationspolitik in der Bundesrepublik hat versagt. Die Linken mit ihrem
Toleranzgebaren ebenso.
Allerdings bringt es keine Entlastung, Schuldige zu benennen. Nur, was
bringt es dann?
Und ebenfalls fatal in dieser ganzen Deutungswut: Wenn von der Art, wie
über Köln geredet wird, tatsächlich rechte Parteien profitieren, fördert
die Diskussion gleichzeitig, was sie beklagt. Denn diese Parteien stehen
wie die Täter von Köln, der modernen, zivilen Gesellschaft, in der sich
Frauen über einen langen Zeitraum das Recht erkämpft haben, emanzipiert,
gleichberechtigt und selbstbestimmt zu leben, abwehrend gegenüber.
Ja und natürlich auch das: Alle, deren Frauen und Töchter den öffentlichen
Missbrauch erlebten, konnten von ihren Familien, ihren Männern nicht
geschützt werden. Sie werden es als Versagen wahrgenommen haben, ihr
Ehrgefühl mag berührt worden sein.
Dies in einer Kultur, wie der hierzulande, die seit dem Kriegsende im Jahr
1945 selten nur noch in überkommenen Kategorien der Ehre verhaftet war. Der
verlorene Weltkrieg, aber auch die Erkenntnis, was für eine Unrechtsregime
in der Nazizeit herrschte, ließ Vergeltungsdenken im Namen der Ehre nicht
länger glaubwürdig erscheinen ließ.
Umgekehrt wird dann aber auch die Gewalt gegen Frauen im Krieg nicht mehr
wahrgenommen. Wie sonst ist der Satz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
vom 29. Dezember 2016 zu verstehen? Dort steht: „Zwar war das Phänomen
massenhafter sexueller Übergriffe in Europa bisher unbekannt“, doch habe es
schon vorher einschlägige Erfahrungen mit Intensivtätern gegeben. Schon
vergessen, die massenhafte Vergewaltigungen im Zweiten Weltkrieg? Begangen
von deutschen Soldaten. Begangen von russischen Soldaten. Und die
Massenvergewaltigungen im ehemaligen Jugoslawien, fanden die außerhalb
Europas statt?
## Widersprüche zulassen
Ein Denkansatz fällt in der Diskussion heraus: Jener, der ausgehend von den
Ereignissen in Köln deutlich machen kann, dass es keine widerspruchsfreie
Diskussion gibt. Man kann sich in der Flüchtlingshilfe engagieren und die
Migranten, die die Kölner Silvesternacht nutzten, um ein frauenverachtendes
Herrschaftsbild zu zeichnen, trotzdem kritisieren. [3][Armin Nassehi sagte
es in der taz so]: „Menschen, für die man sich einsetzt“, können „durch…
Arschlöcher sein.“ Welche Befreiung, wenn diese Erkenntnis nicht länger als
Tabu gehandelt wird.
Was Nassehi in dem Interview auch sagt: „Nicht aus Zufall sind Themen wie
die Familienpolitik, die Geschlechterrollen, die sexuelle Orientierung und
die Frage der Migration die entscheidenden Trigger in einem Kulturkampf“,
in dem autoritäre, patriarchale Herrschaftsstrukturen auf die deutsche
Gesellschaft treffen. Eine Gesellschaft, die in sich aber ebenfalls
widersprüchlich ist und in der neoautoritäres Denken die Flüchtlinge aus
patriarchalen Gesellschaften zwar ausgrenzen will, aber im Grunde ihr
Herrschaftsmodell in Teilen wieder gut findet – eben in der Familien- und
Geschlechterpolitik.
Wenn dem so ist, stellt sich erst recht die Frage: Warum melden sich Frauen
kaum zu Wort und was wäre anders, wenn man sie hörte? Vielleicht würde dann
deutlicher, dass Frauen im öffentlichen Raum noch nie Ortshoheit hatten.
Vielleicht ginge es dann weniger um die Frage, wer Schuld am Desaster hat,
sondern um Verantwortung. Nicht die Verbotskultur, sondern die
Ermöglichungskultur bekäme Vorrang. Nicht Eskalation sondern Ausgleich,
nicht schneller Populismus, sondern intelligentes Denken gelten.
Möglicherweise würde auch, hätten Frauen die Diskurshoheit, anders über
das, was passiert, geredet. Widerspruch zulassend. Vielleicht würde auch
weniger in Substantivierungen, gesprochen sondern in handlungsorientierter
Sprache. Männer fordern lautstark mehr Sicherheit im öffentlichen Raum;
Frauen hingegen fühlen sich unsicher. Das ist ein Riesenunterschied. Das
könnte doch alles sein. Oder?
## Gewalt skandalisieren
Möglich auch, dass Frauen endlich lautstark von Männern erwarteten, dass
Männer Männer erziehen. Nicht den Frauen soll es obliegen, sexualisierte
Gewalt zu skandalisieren und Tabus zu brechen, sondern auch den Männern.
Nicht nur am Bahnhof in Köln, sondern in jeder Familie, in jeder
Nachbarschaft, auf jedem Dorf. Beziehungstaten – you know.
Die Ideen wollen nicht abbrechen, was sein könnte, wenn die Stimmen von
Frauen an prominenterer Stelle zu hören, zu lesen wären. Vielleicht würden
sie ein Patenmodell für Flüchtlinge fordern. Vielleicht würde durchgesetzt,
dass Werbung Kulturvermittlung sein muss und nicht Konsumvermittlung.
Vielleicht würden Strategien entwickelt, wie das gute Leben nicht auf der
Ausbeutung Dritter beruht.
Und wenn es stimmt, was der Aggressionsforscher Alexander Schauss
herausfand, als er die Wirkung von Farben auch in Gefängnissen erforschte,
dass Pink nämlich die Farbe ist, die am stärksten befriedet, dann werden
Frauen in Zukunft fordern, dass es mehr von dieser Farbe im öffentlichen
Raum gibt.
7 Jan 2017
## LINKS
[1] http://www.tagesspiegel.de/medien/medienwissenschaftler-bernhard-poerksen-z…
[2] http://www.feministisches-institut.de/sexismus_rassismus_koeln/
[3] /!5369637/
## AUTOREN
Waltraud Schwab
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