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# taz.de -- Zwischenbericht zu sexueller Gewalt: Glaubt uns einfach
> Die Anfragen sind groß, die Kapazitäten gering: Die Kommission zur
> Aufarbeitung des Kindesmissbrauchs gerät an ihre Grenzen.
Bild: Ignoranz in der Familie, Ignoranz in der Schule, Ignoranz beim Jugendamt
Berlin taz | 1.000. 500. 200. Diese Zahlen stehen im Raum. 1.000 Frauen und
Männer, die als Kinder und Jugendliche in beiden Teilen Deutschlands
sexuelle Gewalt erlebt haben, haben sich in Berlin bei der Kommission zur
Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs nach deren eigenen Aussagen
gemeldet. Die Betroffenen wollen ihre Geschichte erzählen und
Wiedergutmachung erfahren. Für 500 Interviews hat die Kommission Geld. 200
Gespräche haben die ExpertInnen der Kommission bislang geführt.
Die Anhörungen, wie die Kommission die Gespräche bezeichnet, dauerten
mitunter sehr lange, sagte Kindheitsforscherin und Kommissionsleiterin
Sabine Andresen am Mittwoch bei der Vorstellung erster Ergebnisse: „Es gibt
keine Erfahrungen bei der Aufarbeitung von sexueller Gewalt an Kindern und
Jugendlichen.“
Für die Betroffenen indes seien die Gespräche mehr als wichtig. Das erste
Mal würde ihnen zugehört – und geglaubt. Sie hätten – sowohl früher als
kindliche Opfer als auch später als Erwachsene – immer nur erlebt, dass
ihnen nicht geholfen werde. Oder anders formuliert: Ignoranz in der
Familie, Ignoranz in der Schule, Ignoranz beim Jugendamt.
Dabei sei Missbrauch „kein exotisches Thema, sondern so etwas wie eine
Epidemie“, sagte Matthias Katsch, der als Missbrauchsopfer „ständiger Gast…
in der Kommission ist: „Sexuelle Gewalt ist ein Grundrisiko von Kindheit
und Jugend.“ Bundesweit hätten etwa 10 Prozent der Menschen als Kinder und
Jugendliche sexuelle Übergriffe erlebt. „Das sind rund sieben Millionen
Frauen und Männer“, rechnete Katsch vor: Er gehe von einer weitaus höheren
Dunkelziffer aus.
Bei der Kommission haben sich laut Andresen 660 Frauen und 140 Männer
gemeldet, der Rest habe keine Angabe zum Geschlecht gemacht. 70 Prozent
hätten sexuelle Gewalt in der Familie und im nahen Umfeld erlebt – vom
Vater, Stiefvater, Onkel, Opa. Die Mütter hätten den Missbrauch vielfach
geduldet.
Die Kommission hat vor einem Jahr mit der Arbeit begonnen und wird zunächst
bis 2019 mit Bundesmitteln finanziert. Derzeit könnten keine Anmeldungen
mehr angenommen werden, sagte Andresen. Es gebe aber eine Anmeldeliste.
Kommissionsmitglied Christine Bergmann, von 2010 bis 2011 erste sogenannte
Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, warb daher dafür, das Gremium
über 2019 hinaus finanziell abzusichern: „2019 wird die Arbeit mit
Sicherheit nicht beendet sein.“
Die Opfer selbst würden eine klare Botschaft vermitteln: Prävention sowie
Kinder- und Jugendschutz müssen deutlich verbessert werden, damit
Missbrauch eingedämmt werde. Darüber hinaus empfinden die meisten das
Opferentschädigungsgesetz als weitgehend unbrauchbar. „Die Betroffenen
müssen nachweisen, dass ihre heutigen Schäden mit dem Missbrauch von damals
zusammenhängen“, sagt Bergmann: „Es ist nahezu unmöglich, dafür einen
Nachweis zu erbringen.“
Dabei ist mittlerweile nachgewiesen, dass Missbrauch jahrzehntelanges
psychisches und physisches Leid hervorrufe. Unter anderem mit der Folge,
dass viele Betroffene nicht so arbeiten könnten, wie das ArbeitgeberInnen
erwarteten. Jede und jeder Fünfte berichtete von Armut, sagt Andresen. Die
Opfer blieben „weitgehend auf sich selbst zurückgeworfen“, drückt es
Betroffener Katsch aus: „Da sind sie so etwas wie Selbstversorger.“
14 Jun 2017
## AUTOREN
Simone Schmollack
## TAGS
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