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# taz.de -- Sexueller Missbrauch in Israel: Skandal bei Ultraorthodoxen
> Zwei Jahre lang sollen streng religiöse Juden Kinder und Frauen
> missbraucht haben. Die Gemeinden versuchten, die Taten zu vertuschen.
Bild: Ultraorthodoxe Juden klären Probleme lieber unter sich
JERUSALEM taz | Es ist der wohl größte Sexskandal seit Israels
Staatsgründung: Von „1.800 Missbrauchsfällen“ berichtet Hauptzeuge M., ein
ultraorthodoxer Jude, der über die vergangenen zwei Jahre rund zwei Dutzend
Notizbücher mit den Namen von Tätern, Opfern und Informanten füllte.
Nur durch Zufall gelangten die Heftchen in die Hände der Polizei, die in
dieser Woche 22 Männer verhaftete. Sieben von ihnen sind bereits wieder auf
freiem Fuß, nachdem die Polizei sie als Informanten identifizierte. Die
sexuellen Übergriffe sollen sich in ultraorthodoxen Gemeinden in Jerusalem,
Bnei Brak, Bet Schemesch und der Siedlung Beitar Illit im Westjordanland
ereignet haben.
Missbrauch in orthodoxen Gemeinden ist keine Seltenheit. Häufig handelt es
sich bei den Tätern um Rabbiner, Lehrer oder andere Vertrauenspersonen
junger gläubiger Juden. Mordechai Elon, ein prominenter Rabbiner und Gegner
der gleichgeschlechtlichen Liebe, sorgte vor drei Jahren für Schlagzeilen,
als ans Licht kam, dass er mehrere seiner Schüler sexuell missbraucht
hatte. Den Übergriffen in ultraorthodoxen Wohnvierteln gemein ist die
Tatsache, dass die Opfer oder Mitwisser in der Regel nicht zur Polizei
gehen. Auch bei dem jüngst enthüllten Skandal gab es keine Beschwerden.
Bei Jair Nehorai klingelt das Telefon seit Montag unaufhörlich. „Vorerst
nur vier“ der verhafteten Männer will er vertreten, sagt der Jerusalemer
Strafverteidiger auf Anfrage. Nehorai gilt als Experte für extrem religiöse
Gruppierungen. Der aktuelle Skandal überrasche ihn zwar nicht, trotzdem
empfinde er den Umfang der gut zwanzig Verhaftungen als „schon sehr groß“.
Niemand in den ultraorthodoxen Gemeinden sei mit sexuellen Übergriffen
einverstanden. „Aber die Lösungen des weltlichen Systems, das die
Übergriffe mit Gefängnishaft ahndet, ist für die Leute unpassend.“ Die
Gemeinde kümmere sich lieber selbst um die Täter. Sie werden „streng
beaufsichtigt, bekommen psychologische Behandlungen, manchmal wird ihnen
gekündigt, und in Extremfällen werden sie aus der Gemeinde verstoßen“. Laut
Bericht der Tageszeitung Haaretz sei bei Pädophilen auch der Einsatz einer
chemischen Kastration eine gängige Methode.
## Enges Miteinander unter Männern
Der aktuelle Skandal flog auf, als M. aufgrund versuchter Bestechung eines
Ehepaars, das offenbar mit Drogen handelte, verhaftet wurde. Die Polizei
fand die Notizbücher bei ihm, die er angeblich im Auftrag vom „Rat zur
Reinhaltung des Lagers“ – einer Art Keuschheitsmiliz – angelegt hatte. In
schwerwiegenden Fällen soll er bereits mit der Polizei kooperiert haben.
„Wenn sich jemand an einem Mädchen oder einem Jungen vergreift, liefere ich
ihn umgehend aus“, sagte er der Haaretz. Bei den Notizbüchern, die der
Polizei vorliegen, handelte es sich um eine Art Tagebuch, das er im Auftrag
des Reinhaltungsrats geführt hatte.
Besonders in ultraorthodoxen Gemeinden seien „Kinder, oft Jungen, und
Jugendliche Opfer der Gewalt“, erklärt Nehorai. Gelegenheit biete das enge
Miteinander der Männer. Der Anwalt rät aber, die Zahl der möglichen 1.800
Missbrauchsfälle, die Schätzungen von M. zufolge zur Anklage kommen
könnten, mit Vorsicht zu genießen. Nach dem, was der Anwalt von der Polizei
höre, habe „M. es zu weit getrieben“. Fest stehe, dass M. durch seine
Datensammelei unter den Gemeindemitgliedern „über gewisse Macht verfügte“.
28 Mar 2017
## AUTOREN
Susanne Knaul
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Israel
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