| # taz.de -- Feminizide in Italien: Keine Delikte aus Leidenschaft | |
| > Obwohl sie diverse Anzeigen erstattete, wurde eine Italienerin von ihrem | |
| > Ehemann umgebracht. Der Staat schritt nicht ein – und muss zahlen. | |
| Bild: Ehekrach mit Folgen: in „Scheidung auf italienisch“ von 1961 | |
| Rom taz | Marianna Manduca war sich der tödlichen Gefahr bewusst: der | |
| tödlichen Gefahr, die ihr zu Hause drohte, in ihren eigenen vier Wänden, | |
| von ihrem gewalttätigen Ehemann Saverio Nolfo. Immer wieder sprach sie auf | |
| der Wache der Carabinieri vor, in der sizilianischen Kleinstadt Palagonia, | |
| und erzählte von den Schlägen, den Drohungen, dem Messer, das ihr Mann ihr | |
| gezeigt hatte, begleitet von der Ankündigung, mit dieser Waffe werde er sie | |
| töten. | |
| Allein im Zeitraum Juni bis September 2007 hatte sie sieben Anzeigen | |
| erstattet – ohne Erfolg. Am 3. Oktober 2007 starb die 32-jährige Mutter | |
| dreier kleiner Kinder, getötet mit eben jenem Messer, mit dem ihr Mann sie | |
| monatelang bedroht hatte, ohne dass der Staat je eingeschritten wäre. | |
| Jetzt verurteilte deshalb ein Gericht in Messina die italienische Regierung | |
| zur Zahlung von 250.000 Euro an die drei Kinder Manducas, mit der | |
| Begründung, die Justiz habe auf die Anzeigen der Frau nie reagiert und so | |
| „unentschuldbare Nachlässigkeit“ gezeigt. | |
| In den gleichen Tagen, in denen dieser Fall durch die Medien ging, | |
| berichteten die Zeitungen von einem weiteren Mord. Ein 19-Jähriger hatte | |
| seine im siebten Monat schwangere Freundin erdrosselt und dann eine | |
| Affekttat geltend gemacht. Doch die Ermittler fanden heraus, dass er in den | |
| Stunden vor der Tat fleißig gegoogelt hatte, mit den Suchbegriffen „Mord | |
| mit bloßen Händen“ und „wie lasse ich eine Leiche verschwinden“. | |
| Jeden dritten Tag wird in Italien eine Frau ermordet, in zwei Dritteln der | |
| Fälle durch den Partner oder den Ex. Früher wurden diese Verbrechen | |
| verniedlicht, als „delitti passionali“ – „Delikte aus Leidenschaft“ �… | |
| noch vor wenigen Jahrzehnten kamen die vor Eifersucht rasenden Täter als | |
| „Ehrenmörder“ mit einer Strafe von drei bis sieben Jahren davon; der | |
| entsprechende Paragraph wurde erst 1981 gestrichen. | |
| ## Beziehungstaten sind strafverschärfend | |
| Heute dagegen hat sich in der italienischen Öffentlichkeit der Begriff | |
| „Feminizid“ durchgesetzt, heute auch stuft es das Gesetzbuch als | |
| strafverschärfend ein, wenn der Mord sich als Beziehungstat herausstellt. | |
| Dennoch berichten die Medien immer wieder von grausamen Morden. Morden wie | |
| jenem in Rom, als ein von seiner Freundin verlassener junger Mann nachts | |
| auf einer einsamen Straße das Auto seiner Ex rammte, sie dann erwürgte und | |
| anschließend ihre Leiche verbrannte. Doch es sind weniger diese Taten, die | |
| Italien eine Sonderstellung verschaffen, als die ihnen widerfahrende | |
| mediale Aufmerksamkeit. | |
| Die Zeiten, in denen die Täter auf verbreitetes Verständnis ihrer Mitbürger | |
| und auch ihrer Richter rechnen konnten, die Zeiten, in denen etwa der Film | |
| „Scheidung auf italienisch“ dem Ehrenmord ein augenzwinkerndes Denkmal | |
| setzte, sind jedenfalls vorbei. | |
| Dies bildet sich auch in den Statistiken ab. Italien ist für Frauen weit | |
| ungefährlicher als Deutschland: Dort fielen im Jahr 2015 mehr als 300 | |
| Frauen ihren Partnern oder Ex-Partnern zum Opfer, während sich in Italien | |
| in den letzten Jahren die Gesamtzahl weiblicher Mordopfer jeweils zwischen | |
| 120 und 130 bewegte. | |
| 15 Jun 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Braun | |
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