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# taz.de -- Frauenmorde in Bolivien: Therapie gegen Gewalt
> Gewalt und Morde an Frauen gehören zum Alltag in Bolivien. Dem hat die
> Regierung den Kampf angesagt. Die Stadt Cochabamba wird zum Vorbild.
Bild: 104 Frauen wurden 2016 in Bolivien ermordet – trotz eines Gesetzes gege…
Cochabamba taz | Das knallrosafarbene Transparent mit dem Schriftzug „Wir
sind Frauen“ ist kaum zu übersehen an der Plaza 14. de Septiembre. An dem
zentralen Platz von Cochabamba hat die Stadtverwaltung ihren Sitz und an
deren Fassade ist das Transparent mit dem Konterfei einer prominenten
Schauspielerin angebracht. „Endlich hat man erkannt, dass man mehr tun
muss, um die Gewalt gegen Frauen einzudämmen. Meine Einstellung ist eine
Konsequenz davon“, erklärt Marlen Heredia. Heredia ist Psychologin, von der
Stadt Cochabamba angestellt, um mit der Polizei und Staatsanwaltschaft
Opfern und Tätern zu helfen. „Derzeit habe ich meinen Platz in der
Polizeiwache in Quillacollo und arbeite mit mehreren Klienten“.
Quillacollo ist eine Mittelstadt, die mit Cochabamba mehr und mehr
zusammenwächst und wo besonders viele Fälle von Gewalt gegen Frauen
angezeigt werden. „Meist handelt es sich um intrafamiliäre Gewalt, und ich
therapiere mit meinem Kollegen Marco Ballesteros Opfer und Täter.“ Die
Therapie ist umsonst, für die Täter obligatorisch, wenn sie nicht in Haft
wollen. Das ist in aller Regel der Fall.
Ziel des therapeutischen Ansatzes ist es, für mehr Respekt und einen
anderen Umgang mit der Partnerin zu sorgen. Bei William S. hat das
funktioniert. Der 32-jährige Maurer hat seine Frau verprügelt, nachdem er
betrunken von der Arbeit kam, weil sie ihn zur Rede stellte. „Ich hatte ein
Kleidungsstück von einer anderen Frau dabei, konnte mich aber an nichts
erinnern“, sagt der Mann, der sich seit Januar in therapeutischer
Behandlung befindet. Er will einen Neuanfang. „Ich will meine Familie nicht
verlieren, werde dafür weitere Sitzungen machen und sie, wenn nötig, auch
bezahlen“, sagt er.
Nicht viel anders liegt der Fall bei Serafin Quispe Pama, einem
Angestellten im Krankenhaus von Quillacollo, der ebenfalls gewalttätig
geworden ist und wie so viele Männer Schwierigkeiten hatte, sich gegenüber
der Psychologin zu öffnen.
„Hier werden die Jungen zum Macho erzogen. Sie dürfen zu Hause oft nicht
weinen, sonst setzt es Prügel“, berichtet Marlen Heredia. Sie macht dank
der Schweizer Hilfsorganisation Interteam gerade eine Zusatzausbildung.
Internationale Hilfe erhält auch die wichtigste Frauenorganisation in
Cochabamba, die Oficina Jurídica para Mujer (OJM), das Anwaltsbüro für die
Frau. Das OJM arbeitet mit Frauen in dem von Migration geprägten Süden
Cochabambas, ist aber auch eine wissenschaftlich fundierte
Lobbyorganisation und Kanzlei.
„Das Gesetz 348, welches den Frauen in Bolivien eine Leben ohne Gewalt
garantieren will, ist ein großer Fortschritt. Allerdings geht die
Implementierung nur langsam vonstatten, und es fehlt an den nötigen Etats
für die Umsetzung“, moniert OJM-Direktorin Julieta Montaño Salvatierra.
Ein Widerspruch angesichts von 104 Frauenmorden im letzten Jahr, davon 27
in Cochabamba. Das gibt der Dienststellenleiter im Zentrum von Cochabamba,
Oberst Marcelo Via Roldán, auch offen zu. Einsatzfahrzeuge, die erst nach
zwei Jahren bewilligt wurden und fehlende Mittel für die Prävention sind
nur zwei Kritikpunkte von seiner Seite. Mit dem Einsatz der Psychologen ist
er sehr zufrieden. „Das zeigt Wirkung“, erklärt der 48-Jährige mit ernster
Miene.
Lourdes Q. hat sich vor sechs Monaten von ihrem Mann getrennt, hat fünf
Jahre unter Demütigungen und Handgreiflichkeiten gelitten, bis sie erfuhr,
dass sie Anspruch auf die Kinder erheben kann. „Das war für mich der
Wendepunkt. Heute vertraue ich mir wieder selber. Ich bin kreativ, nähe,
backe, koche, erhalte Aufträge – bin viel selbstständiger als früher“,
freut sich die 30-jährige Mutter zweier Kinder. „Mir haben die beiden
Psychologen neue Perspektiven aufgezeigt“. Ein Erfolg.
„Doch um an den Strukturen hinter der Gewalt etwas zu ändern, muss man bei
den Kindern ansetzen“, meint Marlen Heredia. Dem stimmen Casimira
Rodríguez, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Cochabamba, und ihr Kollege
Nelson Cox von der Ombudsstelle für Menschenrechte zu. „Wir erstellen
gerade einen Plan, um an den Schulen präventiv aktiv zu werden“, so Cox.
Dafür hofft er auf Mittel von der Zentralregierung.
16 Jun 2017
## AUTOREN
Knut Henkel
## TAGS
Frauenmord
Bolivien
Gewalt gegen Frauen
Schwerpunkt Femizide
Reiseland Bolivien
Italien
Bolivien
Peru
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