Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Farbe und Psychologie: „Entscheidend ist die Helligkeit“
> Pink ist gerade in. Weil es uns sanfter und entspannter macht. Echt?
> Haben Farben Wirkung? Was sagt der Wahrnehmungsforscher? Ein Interview.
Bild: Eine Beruhigungszelle in der Justizvollzugsanstalt Attendorn, aufgenommen…
taz.am wochenende: Herr Hecht, Rosa, heißt es, wirkt beruhigend. Wir testen
in der Redaktion gerade einen Hoodie in Baker Miller Pink, einem Farbton,
der nach zwei US-Gefängnisdirektoren benannt wurde, die Zellen rosa
strichen, damit die Insassen sich abregen.
Heiko Hecht: Ich habe mir gerade eine Brille in Baker-Miller-Pink gekauft.
Hat nur 15 Euro gekostet.
Funktioniert ’s?
Natürlich nicht.
Wieso nicht?
Wenn sie eine rosa Brille aufsetzen, dann sieht die Welt erst mal rosa aus.
Nach etwa zehn Sekunden ist der Spaß aber vorbei, und die Welt sieht wieder
ganz normal aus. Wenn sie die rosa Brille abnehmen, hat die Welt einen
Grünstich. Aber auch dieser Effekt ebbt schnell wieder ab. Wir unterliegen
ständigen Anpassungen und Adaptionen. Unsere Farbrezeptoren in der
Netzhaut, aber auch alle nachgelagerten Neuronen sind dafür verantwortlich.
Unser Auge lässt sich also nicht blenden?
Wir haben die Fähigkeit zur sogenannten Farbkonstanz. Sowohl im prallen
Sonnenlicht als auch im schmalbandigen Neonlicht sehen wir die Farben in
der Regel richtig.
Nicht nur Kim Kardashians Schwester schwört auf Baker Miller Pink. Es sei
beruhigend und appetithemmend. Reden die sich das ein?
Bei der Studie aus den 1970er Jahren hat man Gefängnisinsassen zunächst
verwaschene Wäsche mit einem Pinkstich angezogen. Das hatte zur Folge, dass
die lammfromm wurden, weil sie von den anderen gehänselt wurden. Und dann
hat man angefangen, die Wände pink zu streichen. Ich habe selbst versucht,
diese Baker-Miller-Pink-Studie zu wiederholen. Wir haben in verschiedenen
Schulen spezielle Farbboxen aufgestellt, jeweils in einer bestimmten Farbe,
in Energy Red, einem sehr kalten Blau, in Baker Miller Pink und in Weiß.
Die Schüler wurden in Gruppen pro Box aufgeteilt und haben alle die
gleichen Aufgaben bekommen. Es hat sich aber null gezeigt. Der Farbton
hatte keinerlei Auswirkungen auf die Leistungen der Schüler.
Der ganze Bohei um die Wirkung von Farben ist also Augenwischerei?
Es gibt kurzfristige Effekte, die aber sehr kontextabhängig sind. Schaltet
man bei einer Weinverkostung rotes Licht an, schmeckt der Wein süßer. Wir
wissen, dass eine Frucht süßer schmeckt, weil wir Rot von Grün
unterscheiden können, wir also anhand der Farbe entscheiden, ob eine Frucht
schmackhaft ist. Was aber körperliche Reaktionen anbetrifft, glaube ich
nicht an solche Effekte. Wenn ich ständig in einer grünen Umgebung
meditiere, würde ich, wenn ich aus einer angespannten Situation komme, bei
Grün schneller entspannen als bei Rosa. Es sind alles Adaptions- und
Gewohnheitseffekte.
Worüber forschen Sie denn dann so als experimenteller Psychologe?
Farbe und Geschmack, Farbe und Raumwirkung, das sind Dinge, mit denen wir
uns intensiv beschäftigen. Wir wissen zum Beispiel, dass rote Objekte näher
erscheinen als blaue Objekte. Das wussten schon die Renaissance-Maler.
Trotzdem konnten wir nicht nachweisen, dass ein roter Raum enger und
kleiner wirkt als ein blauer Raum. Entscheidend ist die Helligkeit. Sie ist
dafür verantwortlich, dass Farben Raumwirkung entfalten.
Farbe zu therapeutischen Zwecken einzusetzen würden Sie niemandem raten?
Jeder kann machen, was er will. Aber zu 90 Prozent ist das Humbug. Als ich
in den 1970er Jahren zur Schule ging, waren die Tische alle grün. Damals
hieß es, Grün würde beruhigend wirken. Heute hat die Rolle das Pink.
Sehen wir überhaupt alle die gleiche Farbe?
Klar, sonst könnten wir ja nicht darüber reden.
Und was ist dran, dass die Farbvorliebe am Chromosom hängt und deswegen
Frauen auf Pink eher ansprechen als Männer?
Das hat wohl eher kulturell bedingte Gründe. Ich wüsste nicht, dass der
Nachweis geführt wurde. Einzig nachweisbar ist, dass Männer zu einer
Rotgrünschwäche neigen.
Der Bildhauer Anish Kapoor hat sich das angeblich schwärzeste Schwarz, das
Vantablack, patentieren lassen. Der Künstler Stuart Semple will nun das
pinkeste Pink erfunden haben.
Das ist vollkommener Unsinn. Wirres Zeug. Farben haben drei Dimensionen:
Helligkeit, Sättigung und Farbton. Pink ist ein Farbton. Sie können ein
sehr ungesättigtes, das ins Grau rüberwächst, oder ein gesättigtes, das
knallt, herstellen. Das pinkeste Pink gibt es nicht, höchstens ein
prototypisches Pink.
Es gibt ja auch noch Rosa. Das ist was anderes als Pink, das die
italienische Modeschöpferin Elsa Schiaparelli erfunden und Shocking Pink
genannt hat.
Dann erklären Sie mir mal den Unterschied.
Ich dachte, dass Sie das tun.
Pink ist ein aus dem Englischen importierter Begriff für stark gesättigte
Rosatöne. Jeder kann sich eine Farbe zusammenrühren und patentieren lassen.
Jedenfalls ist ausgerechnet Pink gerade zur feministischen Farbe geworden.
Die Frauen, die in Washington gegen Trump demonstrierten, stricken pinke
Mützen und nennen sie Pussy Hats.
Ja, das ist eine interessante Reappropriation. Bisher war Pink eine Farbe
der Schwulen. Vielleicht war das schwule Pink aber auch mehr rosa.
17 Feb 2017
## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
Farbe
Pink
Psychologie
Interview
Farbe
Spielzeug
Selbstversuch
USA
Homosexuelle
Sexismus
Geschlechterrollen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Pantone-Farbe des Jahres: Free Magenta!
Die US-Firma Pantone hat ihren „Viva Magenta“-Ton zur Farbe des Jahres
ausgerufen. Aus Protest haben Künstler zur Demokratisierung der Farben
aufgerufen.
Gendermarketing fürs Kinderzimmer: It’s a pink (or blue) world
Der renommierte Globushersteller Räthgloben hat einen pinken und einen
blauen Kinderglobus hergestellt: für Mädchen und für Jungs halt.
Pullover gegen Stress im Test: Jetzt entspann dich mal
Unser Autor probiert den britischen Baker-Miller-Pink-Hoodie aus. Er kostet
260 Euro, soll gut sein vor Prüfungen und bei Flugangst helfen.
Proteste gegen den Donald Trump: Jetzt kommen die „Nasty Women“
Sie kämpfen mit Katzenohren und guten Argumenten: Es sind häufig Frauen,
die in den USA das Wort gegen den neuen Präsidenten führen.
Gedenken an den Holocaust: Ein Plattenspieler als Denkmal
Pink Triangle nannten zwei Briten ihre Marke. Sie deuteten damit ein
abwertendes Symbol für homosexuelle KZ-Häftlinge um.
Debatte Silvesternacht in Köln: Jetzt reden die Männer
Die Diskussion um die Silvesternacht macht aus Frauen Opfer, die es zu
beschützen gilt. Wo sind die weiblichen Stimmen, die dem widersprechen?
Die Ästhetik der Gendernormen: „Muschirosapink“
Früher galt sie als aggressiv und männlich, später als feminin,
pathologisch und Kennzeichen der Tussis. Die Historie einer Farbe.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.