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# taz.de -- Internationaler Tag der Pressefreiheit: Kontrolle zurückgewinnen
> Die mediale Aufregung um ein Interview von Armin Wolf mit einem FPÖler
> zeigt: Journalisten können klüger mit Rechten umgehen, als sie es oft
> tun.
Bild: Von ihm kann man noch was lernen: Armin Wolf bei einer Preisverleihung im…
Es ist schon ein starkes Stück, das sich da derzeit in Österreich abspielt.
Armin Wolf ist ORF-Moderator und der Mann, der letztes Jahr international
Anerkennung erhielt für sein Interview mit Wladimir Putin. Nehmen wir so
viel vorweg: Putin ist nicht ausgerastet. Ein gewisser Harald Vilimsky,
Spitzenkandidat der FPÖ für die Europawahl und auch deren Generalsekretär,
blamierte sich hingegen in Sachen Pressefreiheit.
Was war passiert? In dem Interview, das man online nachsehen kann,
konfrontiert Armin Wolf Vilimsky mit einem rassistischen Plakat der
steiermärkischen Jugendorganisation der FPÖ, Vilimsky verharmlost den
zugrundeliegenden Rassismus. Daraufhin wird eine Zeichnung aus dem
„Stürmer“ eingeblendet, die damals auf ähnliche Weise Juden abwertete.
Vilimsky eskaliert: Das habe er im ORF noch nicht erlebt. Was folgt, ist
der gängige argumentative Rechtsdreh: Wer Vergleiche zur Nazizeit
herstelle, um auf aktuelles Unrecht hinzuweisen, verharmlose das Gedenken
an die Opfer des Holocaust.
Gerade Holocaust-Überlebende selbst verweisen allerdings konsequent auf
solche Parallelen und sehen solche Vergleiche als eine Art, das Versprechen
des „Nie Wieder!“ einzulösen.
Vilimsky fuhr eine klassische Strategie rechter Politiker: diskreditieren
und einschüchtern. Aber wie! Nicht einmal Putin, der nicht gerade für
seinen zimperlichen Umgang mit Medienschaffenden bekannt ist, wollte sich
öffentlich auf diese Weise demaskieren. Vilimsky aber gebärdete sich so,
als sei kritischer Journalismus ein Angriff auf die Obrigkeit. [1][Es
folgte eine mediale Diffamierungskampagne], man legte Armin Wolf eine
bezahlte Auszeit nahe. Armin Wolf verzichtete dankend.
Rechte Rhetorik erfordert frontale Interviewführung
Armin Wolf, als Journalist schon vielfach ausgezeichnet, hat allein auf
Twitter bald die dreifache Reichweite des Facebook-Accounts seines
Arbeitgebers ORF. Und das in einem Land mit knapp neun Millionen
Einwohnern. Wolfs Arbeitsweise und Reichweite sind eher vergleichbar mit
der von CNN-Journalisten als mit der von Kollegen hierzulande. Er erfuhr
nach dem Interview breite Solidarität aus Deutschland, aber auch aus dem
anglosächsischen Raum, für einen Journalismus, der „die Mächtigen zur
Rechenschaft zieht“.
Vilimskys Angriff auf die Pressefreiheit ist, von Deutschland aus
betrachtet, aus mehreren Gründen relevant: Er macht die Strategien der
europäischen Rechten sichtbar, die Glaubwürdigkeit der Medien zu
beschädigen. Er zeigt die Haltung der europäischen Rechten zur
Pressefreiheit. Er zeigt jedoch auch einen Mangel: Die rechte Rhetorik
erfordert eine frontalere Interviewführung als in Deutschland üblich, damit
Falschbehauptungen sich nicht als Realität durchsetzen. Armin Wolf wollte
Vilimskys Definition von „Rassismus“ nicht unhinterfragt stehen lassen.
Der deutsche politische Rechtsruck erzählt sich entlang des rechten
Narrativs vom vermeintlichen „Kontrollverlust“ 2015.
Demaskiert wird dieses Narrativ selten. Lügenpresse-Vorwürfe führen leider
nicht dazu, dass Journalisten hierzulande fordern, ihren Job machen zu
dürfen, wie Armin Wolf das tut. Vielmehr bindet man rechte Protagonisten
stärker in öffentlich-rechtliche Formate ein, doch nur wenige arbeiten
menschenfeindliche Positionen präzise heraus.
Der Mythos vom Kontrollverlust
Ein exzellentes Beispiel hierfür war das Medienversagen rund um den
Bamf-Skandal und die angeblich falschen Asylbescheide aus Bremen. Aus
heutiger Sicht kann man sagen: Der gesamte Vorgang um die Bremer Behörde
war eine Ente, ausgelöst von einer gewissen Josefa Schmid, die aus dem
Nichts kam und wieder im Nichts verschwand, die aber mit ihrer Behauptung,
den größten Skandal überhaupt entdeckt zu haben, das Land in Schrecken
versetzte. Die Bremer Fehlerquote [2][erwies sich inzwischen als
unterdurchschnittlich] im bundesweiten Vergleich.
Die politische und mediale Aufarbeitung des Vorfalls etablierte jedoch den
Mythos vom Kontrollverlust weiter. Sie förderte das Misstrauen gegenüber
Merkels „Wir schaffen das“. Bremen wurde zum Beleg für „Wir schaffen das
nicht!“. Die Dominanz dieses Narrativs wirkte sich auch auf mich aus,
weshalb ich diesen Text überhaupt verfasse: Als ich zu diesem Thema in
einer Talkshow eingeladen wurde, sagte ich ab, da ich fürchtete meine
Position würde mir in dieser aufgeheizten Stimmung als reine Naivität
ausgelegt. Gutmenschen und so. Rückblickend wäre ich wohl die vernünftigste
Person im Raum gewesen. Doch die Stimmung im Land war so aufgeheizt, dass
Vorbehalte gegen die Panik wirkten wie Schönwetterreden zugunsten der
Humanität.
Horst Seehofer versprach damals, dafür zu sorgen, „dass beim Asylrecht
wieder Recht und Ordnung herrschen“. Wer fragte ihn: „Herr Seehofer, welche
Belege haben Sie dafür, dass Recht und Ordnung im Asylrecht nicht
herrschen?“ Christian Linder fuhr gleich auf die Spur rechts von der CSU.
Man nahm zwar seinen Rechtsruck wahr, aber seine Rhetorik nicht
auseinander. Selbst Ralf Stegner forderte für die SPD: „Merkel drückt sich
vor ihrer Verantwortung. Sie schweigt, tut nichts und will den
Kontrollverlust im Bamf aussitzen.“ Kaum ein deutscher Journalist
konfrontierte die Politiker. Unschuldsvermutung? Geschenkt. Man darf die
deutsche Bevölkerung nicht zu lange durch Ungewissheiten beunruhigen.
99,3 Prozent der ausgestellten Bescheide waren im Nachhinein korrekt. Doch
kaum jemand bremste die rechte Interpretation der Ereignisse, kaum jemand
wies darauf hin, dass möglicherweise ein Ereignis instrumentalisiert wird,
um das Scheitern von Merkels Politik zu beschwören und das Vertrauen der
Bevölkerung zu erschüttern. Es wurde damit aber über das Leben und
Überleben von Menschen entschieden. Man hätte sich mehr Armin Wolf
gewünscht. Es ist noch Zeit, zu lernen.
3 May 2019
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## AUTOREN
Jagoda Marinić
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