# taz.de -- Tag der Pressefreiheit: Medien in Europa sind frei, außer … | |
> Am 3. Mai schaut man gern in ferne Länder. Aber auch in Europa häufen | |
> sich Angriffe auf den Journalismus. | |
Bild: Polizeiermittlungen nach einem Journalistenmord in Malta | |
Journalist*innen in Estland fürchten rechte Regierung | |
Wodurch ist die Pressefreiheit in Gefahr? Im aktuellen Ranking der | |
Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Estland auf Platz 11 von 180 | |
– noch, wahrscheinlich. Denn die Angriffe auf kritische JournalistInnen | |
haben zugenommen. Sie gehen vor allem von der [1][rechtspopulistischen | |
Estnischen Konservativen Volkspartei] (EKRE) aus, die seit Montag Teil der | |
neuen Regierung Estlands ist. | |
Wer greift sie an? Ekre-Mitglieder attackieren seit Langem die Presse- und | |
Meinungsfreiheit. Der Parteivorsitzende, Mart Helme, äußerte im Wahlkampf, | |
zu viele Journalisten seien „in Wirklichkeit Propagandisten“, und forderte | |
die Leitung von Estlands öffentlich-rechtlichem ERR auf, Ekre gegenüber | |
kritisch eingestellte Journalisten „aus dem Verkehr zu ziehen“. | |
Wer stellt sich dagegen? In erster Linie die JournalistInnen. Ende | |
vergangener Woche kündigte Ahto Lobjakas, ein populärer liberaler | |
Radiomoderator des ERR, seinen Job. Die Senderchefs hätten sich plötzlich | |
in seine Arbeit eingemischt und ihn aufgefordert, „neutraler“ zu berichten. | |
Lobjakas hatte kritisch über den Aufstieg der Rechten berichtet. Der | |
Verwaltungsratsvorsitzende des ERR wies das zurück: Meinungsfreiheit und | |
journalistische Unabhängigkeit stünden für den Sender nicht zur | |
Disposition. | |
Auch Vilja Kiisler, Journalistin bei Postimees, einer der wichtigsten | |
Tageszeitungen Estlands, kündigte, als der neue Chefredakteur ihr nach | |
einem EKRE-kritischen Kommentar nahegelegt habe, sich „diplomatischer“ | |
auszudrücken. Unterstützt werden die JournalistInnen von PolitikerInnen: | |
Staatspräsidentin Kersti Kaljulaid trug zur Vereidigung der Regierung am | |
Montag ein Sweatshirt [2][mit dem Aufdruck „Sõna on vaba“], „Das Wort ist | |
frei“. Reinhard Wolff | |
Ungeklärter Mord an Journalistin auf Malta | |
Wodurch ist die Pressefreiheit in Gefahr? Platz 77 auf der Weltrangliste | |
der Pressefreiheit – kein Staat Westeuropas schneidet so schlecht ab wie | |
Malta. Das hat auch mit seiner Wirtschaft zu tun. Malta setzt, neben | |
Tourismus, auf zweifelhafte und korruptionsanfällige Einnahmequellen: | |
Steuerdumping, Glücksspielwirtschaft und den Verkauf sogenannter Goldener | |
Visa, also EU-Staatsbürgerschaften an reiche Ausländer. Der Europarat | |
kritisierte kürzlich, dass angesichts einer „Welle von Kontroversen“ und | |
Anschuldigungen gegen hochrangige Regierungsvertreter straf- oder | |
disziplinarrechtliche Antworten auf sich warten ließen. | |
Wer greift sie an? Journalisten und Medien, die über Skandale berichten | |
werden immer wieder wegen Verleumdung zu hohen Schadenersatzzahlungen | |
verurteilt. „Politiker zögern nicht, wegen unliebsamer Enthüllungen vor | |
Gericht zu ziehen“, klagt Reporter ohne Grenzen. | |
Wer stellt sich dagegen? Das Land ist vor allem durch den Autobomben-Mord | |
an der [3][Investigativjournalistin Daphne Caruana] Galizia im Oktober 2017 | |
in die Schlagzeilen geraten. Galizia hatte über Geldwäsche und | |
Steuerhinterziehung berichtet, kurz vor ihrem Tod hatte sie zu Korruption | |
im Umfeld des sozialdemokratischen Premierministers Joseph Muscat | |
recherchiert. Muscat hat eine Klage wegen Verleumdung gegen Galicia auch | |
eineinhalb Jahre nach ihrem Tod noch nicht zurückgezogen. Bis heute ist | |
unklar, weshalb sie ermordet wurde. Drei Männer müssen sich wegen des | |
Attentats vor Gericht verantworten. Wer ihre Hintermännern sind, ist | |
ungeklärt. Galizias Sohn Matthew wirft den „tief korrupten Behörden“ vor, | |
„praktisch untätig“ zu sein. Malta drohe „zu einem Hort von Kleptokraten… | |
werden“. Christian Jakob | |
Gleichschaltung, Personenkult und Hetze in Serbien | |
Wodurch ist die Pressefreiheit in Gefahr? Die US-amerikanische | |
Nichtregierungsorganisation Freedom House hat Serbien im Februar 2019 als | |
einen „eingeschränkt freien“ Staat eingestuft. Auf der Liste der | |
Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen rangiert das Land [4][auf Platz 90 | |
von 180]. Beide Organisationen stellten fest, dass die Medienfreiheit in | |
Serbien von Jahr zu Jahr mehr eingeschränkt wird, Angriffe auf Journalisten | |
zunehmen. Seit Aleksandar Vučić 2014 zunächst als Ministerpräsident, dann | |
als Präsident an die Macht kam, könnten Journalisten weder auf Sicherheit | |
noch auf den Schutz des Staats zählen. | |
Wer greift sie an? Die dominante Serbische Fortschrittspartei (SNS) von | |
Staatspräsident Aleksandar Vučić hat rund achtzig Prozent der Medien | |
gleichgeschaltet. Alle nationalen Fernsehsender und die Boulevardpresse | |
stehen unter Kontrolle der Parteispitze. Sie werden für Hetzkampagnen gegen | |
Andersdenkende und zur Verherrlichung des Staatschefs missbraucht. | |
Jeglicher Journalistenkodex und die Berufsethik werden missachtet. | |
Regimefreundliche Medien werden vom Staat gefördert, unabhängige Medien vom | |
Werbemarkt abgeschnitten. Regierende Politiker bezeichnen kritische | |
Journalisten als „Söldner“, „Spione“ oder „Verräter“, die für Kr… | |
Tycoons oder finstere Machtzentren mit dem Ziel arbeiten, Präsident Vučić | |
zu entmachten und Serbien zu destabilisieren. Kritische Journalisten werden | |
dadurch zum Freiwild erklärt. | |
Wer stellt sich dagegen? Einige kleinere Medien widerstehen dem Druck noch. | |
Medienfreiheit ist eine der Forderungen der Bürgerproteste, die seit fünf | |
Monaten in mehr als 100 serbischen Städten organisiert werden. Andrej | |
Ivanji | |
Schikanen gegen den Rundfunk in Dänemark | |
Wodurch ist die Pressefreiheit in Gefahr? Klar, Dänemark steht auf Platz 5 | |
auf dem „Pressefreiheitsindex“ von Reporter ohne Grenzen, Gesamtbewertung | |
„Gut“. Die Meinungsfreiheit steht seit 1849 in der Verfassung: „Eine Zens… | |
und andere vorbeugende Maßnahmen dürfen nie mehr eingeführt werden.“ Nein, | |
staatliche Zensur findet in Dänemark nicht statt. Aber auch rechtliche und | |
wirtschaftliche Bedingungen können die Pressefreiheit einschränken. | |
Wer greift sie an? Vor allem die rechtspopulistische Dänische Volkspartei | |
hat sich auf das öffentlich-rechtliche Danmarks Radio eingeschossen. Eine | |
rechte Parlamentsmehrheit beschloss im vergangenen Jahr, dessen Budget um | |
ein Fünftel zu kürzen. Mehrere TV- und Radiokanäle müssen schließen, 400 | |
Beschäftigte gehen. Derweil wird der populäre Public-Service-Sender | |
Radio24syv mit regionalpolitischer Argumentation schikaniert. Die | |
Lizenzbedingungen wurden so geändert, dass die Zentralredaktion und 70 | |
Prozent der RedakteurInnen künftig mindestens 110 Kilometer von der | |
Hauptstadt entfernt arbeiten müssen. Damit fällt die dänische Hauptinsel | |
Sjælland, auf der Kopenhagen liegt und auf der 40 Prozent der dänischen | |
Bevölkerung lebt, weg. Die Senderleitung sieht sich nun gezwungen, den | |
Betrieb einzustellen. | |
Wer stellt sich dagegen? Natürlich die Betroffenen selbst und deren | |
Gewerkschaften. Aber auch die Parteien links der Mitte, Medienwissenschaft | |
und -öffentlichkeit protestieren gegen jeden neuen Anlauf, „mit der | |
Dänischen Volkspartei als Leithund (…) das freie Wort zu knebeln“ – so d… | |
liberale Ekstrabladet. Letztendlich entscheiden Parlamentsmehrheiten. In | |
spätestens sechs Wochen wird in Dänemark gewählt. Eine linke Mehrheit | |
zeichnet sich ab. Reinhard Wolff | |
3 May 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Rechtsextreme-Partei-in-neuer-Regierung/!5589220 | |
[2] /Neue-Regierung-in-Estland/!5591970 | |
[3] /EU-Politiker-ueber-Mord-an-Daphne-Galizia/!5543813 | |
[4] /Rangliste-der-Pressefreiheit-2019/!5589259 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
Christian Jakob | |
Andrej Ivanji | |
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