# taz.de -- Druck auf bulgarische Zeitung: Offenkundige Strategie | |
> Das Wochenblatt „Kapital“ ist eine der wenigen verbleibenden kritischen | |
> Zeitungen in Bulgarien. Dafür gerät es immer wieder unter Druck. | |
Bild: „Kapital“-Verleger Ivo Prokopiev am Sonntag vor Gericht in Sofia | |
Es hätte nicht viel gefehlt und Ivo Prokopiev wäre für die nächsten Jahre | |
im Gefängnis verschwunden. Doch dann kam alles anders. Am Sonntag sprach | |
ein Gericht in der [1][bulgarischen] Hauptstadt Sofia den Verleger der | |
Zeitung Kapital vom Vorwurf des Betruges frei – genauso wie die beiden | |
Mitangeklagten, die früheren Minister für Finanzen und Wirtschaft, Simeon | |
Diankov und Traicho Traikov. | |
Die Anklage bezog sich auf einen Vorfall, der zehn Jahre zurückliegt. | |
Prokopiev war damals Vorsitzender des Arbeitgeber- und | |
Industriellenverbandes. In dieser Eigenschaft soll er, so der Vorwurf, | |
darauf hingewirkt haben, dass das wichtigsten Energieunternehmen EVN unter | |
Marktwert privatisiert wurde – und den bulgarischen Staat somit um 20 | |
Millionen Lewa (umgerechnet 10,2 Millionen Euro) gebracht haben. | |
Heute ist der 48-jährige Prokopiev Miteigentümer der Mediengruppe | |
Ikonomedia, die mit der Wochenzeitung Kapital und der Webseite Dnevnik.bg | |
zwei der wenigen verbleibenden Qualitätsmedien in Bulgarien herausgibt. Ein | |
Schwerpunkt beider Titel ist die Aufdeckung [2][korrupter Machenschaften | |
bis in die höchsten Etagen der Staatsmacht] sowie krimineller Verbindungen | |
zwischen Wirtschaft und Politik zum Nutzen einiger weniger. | |
Daher ist es wohl kein Zufall, dass Kapital und Dnevnik.bg bereits seit | |
Jahren Dauerkunden bei der Justiz sind. Die Palette reicht von | |
fadenscheinigen Anklagen, willkürlichen Steuerprüfungen bis hin zu | |
Verurteilungen von und tätlichen Angriffen auf einzelne Journalist*innen. | |
Und das alles mit dem offensichtlichen Ziel, diese Medien, oder | |
stellvertretend den Verleger Prokopiev, kaltzustellen. | |
## NGO spricht von „Vergeltung“ | |
Dass der jüngste Versuch gescheitert ist, quittieren internationale | |
journalistische Nichtregierungsorganisationen mit Erleichterung. „Die | |
bulgarischen Behörden sollten die Anschuldigungen gegen Prokopiev sofort | |
fallen lassen. Diese sind eine Vergeltungsmaßnahme und zielen darauf ab, | |
kritische Berichterstattung zu ersticken“, schreibt [3][Gulnoza Said], | |
Programmkoordinatorin für Europa und Zentralasien beim Committee to Protect | |
Journalists auf Twitter. | |
Doch Entwarnung wäre verfrüht. Vielmehr ist die Pressefreiheit in | |
Bulgarien, das seit 2007 der Europäischen Union angehört und auf dem | |
jüngsten [4][Index von Reporter ohne Grenzen] auf Platz 111 von 180 Staaten | |
geführt wird, in den vergangenen Jahren immer stärker in Gefahr geraten. | |
Auch In ihrem Bericht vom vergangenen März stellt die | |
Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatović, Sofia ein wenig | |
schmeichelhaftes Zeugnis aus. Insbesondere intransparente | |
Besitzverhältnisse in Verbindung mit einer Konzentration auf dem | |
Medienmarkt sowie eine wachsende politische Einflussnahme seien Anzeichen | |
für einen Niedergang der Pressefreiheit, schreibt sie. | |
Wie ernst die Lage ist, geht überdies aus einer Erklärung vom vergangenen | |
Wochenende hervor, die 43 Mitarbeitende von Kapital namentlich | |
unterzeichnet haben. „Das Netzwerk von Interessen hinter der GERB | |
(Regierungspartei, Anm. d. Red.) und anderen Parteien an der Macht habe | |
sich immer stärker des politischen Sytems, der Justiz, des öffentlichen | |
Finanzsektors und EU-Geldern bemächtigt.“ So würden immer größere Teile d… | |
Wirtschaftslebens kontrolliert. „Dieselben Kräfte haben die Stimmen freier | |
Medien unerbittlich und Schritt für Schritt zum Schweigen gebracht. Der | |
Druck auf die Überlebenden wächst. Wenn nur noch ein paar übrig bleiben, | |
ist es leichter zu sehen, wie unterdrückt diese sind“, heißt es. | |
Der frühere Justizminister und jetzige Vorsitzende der Oppositionspartei | |
Da, Bulgaria (Ja, Bulgarien) Hristo Ivanov warnt, dass sich ähnliche Fälle | |
wiederholen könnten. Schließlich habe man es mit einem Generalstaatsanwalt | |
zu tun, der offen die Unschuldsvermutung ignoriere und mit einem | |
Schlagstock in der Hand auf seine politischen Feinde zeige, schrieb er auf | |
Facebook. Besagter Generalstaatsanwalt namens Ivan Geschev ließ per Twitter | |
wissen, man habe zwar eine kleine Schlacht verloren. Der Kampf gegen | |
„korrupte Oligarchen“ werde jedoch weitergehen. | |
30 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Bulgarien/!t5012389/ | |
[2] /Parlamentswahlen-in-Bulgarien/!5160255 | |
[3] https://twitter.com/pressfreedom/status/1277281390061592577 | |
[4] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/rangliste-2020/ | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
## TAGS | |
Bulgarien | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Pressefreiheit in Europa | |
Investigativer Journalismus | |
Bulgarien | |
Bulgarien | |
Bulgarien | |
Kommunismus | |
Pressefreiheit in Europa | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Schriftsteller über Protest in Bulgarien: „Demokratie ist nur eine Fassade“ | |
Zachary Karabashliev erklärt, warum die Menschen in Bulgarien auf die | |
Straße gehen und wie die EU mit ihrem ärmsten Mitgliedstaat umgehen sollte. | |
Dokumentarfilmer über Proteste in Bulgarien: „Mehr Druck aus Brüssel“ | |
Christo Bakalski rechnet mit einem Rücktritt der bulgarischen Regierung. | |
Doch das Problem geht tiefer. Alte Seilschaften aus der Vorwendezeit wirken | |
weiter. | |
Roma in Bulgarien: Im Viertel eingesperrt | |
In Bulgarien wird die Minderheit auch während der Coronapandemie | |
drangsaliert. In der Roma-Bevölkerung gärt der Protest. | |
Roman über bulgarischen Kommunismus: Der angenehme Kitzel der Macht | |
In „Die Sanftmütigen“ setzt sich Angel Igov mit den Ereignissen in Sofia um | |
1944 auseinander. Und liefert damit ein Stückchen Erinnerungskultur. | |
Tag der Pressefreiheit: Medien in Europa sind frei, außer … | |
Am 3. Mai schaut man gern in ferne Länder. Aber auch in Europa häufen sich | |
Angriffe auf den Journalismus. |