# taz.de -- Boris Palmer über Polizeieinsatz in Köln: „Das muss man aushalt… | |
> Die Grünen dürfen der Polizei nicht in den Rücken fallen, meint Tübingens | |
> grüner OB Boris Palmer. Man könne nicht die ganze Republik gegen sich | |
> aufbringen. | |
Bild: Allein auf weiter Flur in Sachen Köln: Für Simone Peter wurde es auch e… | |
taz.am wochenende: Herr Palmer, dürfen Grüne Zweifel an der | |
Verhältnismäßigkeit eines Polizeieinsatzes nur noch in Schönwetterzeiten | |
äußern? | |
Boris Palmer: Nein, solche Zweifel darf man immer äußern, wenn man dafür | |
begründeten Anlass hat. | |
Wenn es mehrere Berichte gibt, dass zahlreiche junge Männer nur aufgrund | |
ihrer Hautfarbe am Kölner Hauptbahnhof in einen Polizeikessel mussten, ist | |
das kein Grund zu zweifeln? | |
Ich bezweifle nicht, dass es solche Fälle gegeben hat. Aber zum Gesamtbild | |
gehört auch, dass vor einem Jahr sehr klar abgrenzbar Menschen aus dem | |
Maghreb für die skandalösen Übergriffe am Kölner Hauptbahnhof | |
verantwortlich gewesen sind. Da finde ich es richtig, dass man auf diese | |
Gruppe einen besonderen Blick werfen muss. | |
Da kommt es dann nicht mehr so darauf an, wenn es auch mal den Falschen | |
trifft? | |
Wenn tausend Personen kontrolliert werden, wird es dem einzelnen Beamten | |
nicht gelingen, in jedem Fall eine hundertprozentig richtige Entscheidung | |
zu treffen. Das weiß jeder, der Entscheidungen unter Zeitdruck treffen | |
muss. Dann kann es schon sein, dass ein einzelner Betroffener sich zu Recht | |
ungerecht behandelt fühlt. Da ist dann eine Entschuldigung fällig. Aber | |
wenn man schon vorher immer genau wüsste, ob der Verdacht begründet ist, | |
dann bräuchte man ja nicht zu kontrollieren. Diese Rückendeckung braucht | |
die Polizei, dass sie bei solchen gezielten Kontrollen nicht sofort sich | |
einer Rassismusdebatte erwehren muss. Da sind die Beamten, wie ich finde, | |
zu Recht erbost. | |
Für den Betroffenen macht es das nicht besser, oder? | |
Für den Betroffenen ist das extrem unangenehm, in der Öffentlichkeit | |
kontrolliert zu werden. Wenn man in einen Kessel muss, ist das sogar | |
schwerwiegend. Das ist mir alles klar. Es geht hier eben um eine Abwägung: | |
unschuldige Frauen vor Gewalt schützen oder unschuldige Verdächtige vor | |
Kontrollen. Solange dahinter nicht ein Racial Profiling im Sinne einer | |
Vorgabe der Polizeibehörde und eine Dauereinrichtung steht, ist das in so | |
einer Extremsituation hinnehmbar. Das muss man aushalten. | |
Der Betroffene muss das aushalten. Zu früheren Zeiten hätte nicht nur Ihre | |
Parteivorsitzende Simone Peter da vorsichtige Zweifel angemeldet. | |
Stimmt, was sie wörtlich gesagt hat, ist eigentlich harmlos. Sie hat ja nur | |
gesagt, man müsse die Frage nach der Verhältnismäßigkeit stellen. Sie hat | |
also nicht einmal behauptet, dass der Einsatz unverhältnismäßig war. | |
Trotzdem war ihre Wortmeldung ein Fehler. | |
Warum? | |
Ich glaube, ihre Äußerung hat deswegen so hohe Wellen geschlagen, weil sie | |
dem Klischee von den Grünen, die Polizei wie zu Zeiten Benno Ohnesorgs als | |
böse Bullen sehen und denen, die Straftaten begehen wollen, auch noch | |
helfen wollen, einen Kristallisationspunkt gegeben hat. Nur so kann ich mir | |
die Wut erklären, die sich im Netz entladen hat. Gegen diese | |
ehrabschneidende Kampagne, die mit massiver Wucht jetzt über Simone Peter | |
hinweggeht, müssen wir sie als Mensch und Parteivorsitzende in Schutz zu | |
nehmen. Das ist eine politische Unkultur, die finde ich entsetzlich. | |
Hätte sich Ihre Partei da nicht offensiv hinter sie stellen und sagen | |
müssen: Selbstverständlich sind Nachfragen zu einem Polizeieinsatz stets | |
gerechtfertigt? | |
Das ging meiner Meinung nach nicht. Wer ein solches Nachfragen | |
rechtfertigt, der kommt in eine Position, als jemand gesehen zu werden, der | |
selbst in einer Extremsituation wie der Kölner Silvesternacht der Polizei | |
noch die notwendige Unterstützung für ihre schwierige Arbeit verweigert. | |
Wenn der Volkszorn tobt, sind Zweifel an einem Polizeieinsatz nicht mehr | |
opportun? | |
Als Parteivorsitzende und als Partei kann man nicht auf einer Position | |
beharren, die – von einigen überzeugten taz-Lesern vielleicht abgesehen – | |
die ganze Republik gegen einen aufbringt. Ich lese nur in der taz Artikel, | |
in denen ständig von Racial Profiling bei der Kölner Polizei geredet wird, | |
während der Rest von Deutschland über diesen Vorwurf nur den Kopf | |
schüttelt. | |
Das könnte daran liegen, dass die taz einen Korrespondenten vor Ort hatte, | |
der das konkret erlebt hat. | |
Oder es liegt daran, dass die taz ihr althergebrachtes | |
Interpretationsmuster nicht aufgeben will. Das ist eher mein Verdacht. Das | |
werden wir jetzt nicht aufklären können. | |
Sie halten es also nicht mehr für opportun, sich auf die Seite von | |
Bürgerrechtlern oder Amnesty International zu stellen? | |
Gott sei Dank gibt es bei Amnesty International noch radikale | |
Bürgerrechtler. Aber der Rest der Republik hat einfach kein Verständnis | |
dafür, dass man um so ein paar Kontrollen so ein Theater macht nach dem, | |
was im Jahr vorher passiert ist. Das erinnert mich an 1990. Alle reden von | |
Deutschland, wir reden vom Wetter. | |
Sie haben Peters Zweifel, die sie inzwischen zurückgenommen hat, als | |
exemplarisches Beispiel für einen grünen Reflex benannt, die Polizei zu | |
hinterfragen. Was ist daran falsch? | |
Wir sind als Protestbewegung im scharfen Konflikt zu den etablierten | |
Parteien und zu den Organen des Staates gegründet worden. So etwas wirkt | |
natürlich nach. Man muss sich aber auch selbst hinterfragen, ob in einer | |
konkreten Situation Kritik an der Polizei die richtige Reaktion ist – oder | |
ob man nur einem tradierten Reaktionsschema folgt. Über Jahrzehnte war es | |
immer die Rolle der Grünen, die Bürger vor Übergriffen des Staates zu | |
schützen. Nach dem, was wir 2016 erlebt haben, angefangen mit Köln, dann | |
Würzburg, Freiburg, Berlin, glaube ich aber, sehr viel mehr Menschen | |
erwarten, dass der Staat sie schützt. Diese Erwartungshaltung ist größer | |
als die Angst, dass der Staat ihnen gegenüber zu übergriffig wäre. Darauf | |
muss dann auch Politik reagieren. | |
Was bedeutet das konkret? | |
Wir müssen erstmals als Partei die Frage beantworten, wie man von | |
abgrenzbaren Gruppen ausgehende Gewalt verhindert und bestraft, ohne | |
diskriminierend oder rassistisch zu werden. Die einfache Antwort, der Staat | |
müsse alle gleich behandeln, reicht nicht mehr aus. Das ist für mich der | |
Kern der „Nafri“-Debatte. Den Begriff finde ich daneben. Die dahinter | |
stehende Analyse ist aber richtig. Unter den Asylbewerbern aus dem Maghreb | |
gibt es eine extrem ausgeprägte Bereitschaft zu Kriminalität und Gewalt, | |
der wir gezielter begegnen müssen. Da dürfen wir Grünen der Polizei nicht | |
in den Rücken fallen. | |
Also generell keine Kritik mehr, nur noch Lob? | |
Beides hat seinen Platz und beides hat seine Zeit. In einer Situation wie | |
jetzt in Köln, wo die Polizisten eine ungeheuer schwierige Aufgabe zu | |
bewältigen hatten, muss unsere Herangehensweise eine andere sein im | |
Vergleich zu einer völlig anderen Situation wie beispielsweise dem | |
berühmt-berüchtigten Hamburger Kessel vor 30 Jahren, wo scharfer Protest | |
sicher notwendig gewesen ist. Es geht eben auch um die Angemessenheit von | |
Kritik, nicht nur um die Angemessenheit des Handelns der Polizei. Die | |
Beamten, die an diesem Silvester vor Ort in Köln im Einsatz waren, haben | |
unsere Unterstützung verdient. Weil die Situation vor einem Jahr total | |
eskaliert ist und damals so viele Frauen belästigt und teilweise auch | |
vergewaltigt worden sind. | |
Vor einem Jahr war die Polizei mit nicht einmal einem Zehntel der jetzigen | |
Personalstärke vor Ort und hat zugelassen, dass im und vor dem Kölner | |
Hauptbahnhof eine rechtsfreie Zone entstand. Jetzt hat sie geleistet, was | |
sie alle vierzehn Tage bei einem Heimspiel des 1. FC auch leisten muss, | |
wenn die gegnerischen Fans ankommen. Dafür wird sie jetzt kritiklos mit | |
Lobpreisungen und Danksagungen überhäuft. Die Polizei hat diesmal einfach | |
ihren Job gemacht. | |
Silvester am Bahnhof war bis vor einem Jahr aber auch kein | |
Gefahrenbrennpunkt wie ein Fußballspiel. Bedenken Sie, wie gravierend die | |
Auswirkungen dieser Silvesternacht vor einem Jahr auf das gesellschaftliche | |
Klima in Deutschland gewesen sind, wie sehr das auch die Bereitschaft, | |
Asylbewerber aufzunehmen, verändert hat. Da finde ich schon, es ist eines | |
Dankes wert, dass die Polizei die Situation in diesem Jahr im Griff hatte. | |
Man kann sich auch für Dinge bedanken, die jemand im Rahmen seiner | |
beruflichen Aufgabe macht, oder? | |
Die überschwänglichen Danksagungen kamen aus allen Ecken Ihrer Partei. | |
Freuen Sie sich eigentlich darüber, endlich mal wieder grüner Mainstream zu | |
sein? | |
Es ist schon schöner, sich mit der eigenen Partei einig zu sein als im | |
Streit. Was mich umtreibt, ist aber, dass meine Partei ihre Politik auf | |
eine richtige Analyse stellt. Im letzten Herbst hat die Partei den Satz | |
bejubelt: „Diese Menschen sind ein Geschenk.“ Ich wurde hingegen verbal | |
fast gesteinigt, weil ich in der taz gesagt hatte, dass die große Zahl | |
alleinreisender junger Männer unter den Flüchtlingen an sich ein Problem | |
ist und dass die meisten, die da kommen, gerade mit den grünen | |
Errungenschaften von Gleichberechtigung, Minderheitenschutz, Weltoffenheit | |
und Liberalität wenig anfangen können. | |
Könnte das möglicherweise daran liegen, dass Ihre kollektive | |
Stigmatisierung von Geflüchteten ebenso ein Zerrbild ist wie die von Ihnen | |
beschriebene Idealisierung? | |
Ich finde, meine Beschreibung war sehr viel näher an der Wirklichkeit und | |
daher keine Stigmatisierung. Noch kein Problem wurde durch Wegschauen | |
gelöst. Es ist bis heute für viele nicht akzeptabel, offen zu sagen, dass | |
die große Mehrheit der Täter von der Domplatte Asylbewerber und reisende | |
Kleinkriminelle aus den Maghrebstaaten waren. Wer das nicht sehen will, | |
kann natürlich auch die Konsequenz nicht akzeptieren, dass die Polizei | |
intern einen Begriff „Nafri“ entwickelt und gezielt Menschen mit diesem | |
Profil kontrolliert. Was uns Grünen so wehtut, ist, dass die Wirklichkeit | |
sich anders darstellt, als wir es erhofft haben. Mir selber macht das | |
übrigens alles auch keine Freude, aber Politik muss nicht Freude machen, | |
sondern Sinn ergeben. | |
7 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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