# taz.de -- Debatte Silvester in Köln: In der weißen Blase | |
> Die Kritik an rassistischen Polizeikontrollen sollte in Deutschland | |
> Bürgerpflicht sein. Stattdessen wird sie jetzt diffamiert. | |
Bild: Ganz schön eng da drin | |
Es ist erstaunlich: Da hat die deutsche Polizei erstmals ganz offiziell | |
eingestanden, dass sie Menschen aufgrund ihrer vermuteten Herkunft gezielt | |
aus der Menge herausgreift. Und per Twitter hat sie sogar stolz verkündet, | |
dass sie diese „Polizeistrategie“ in der Silvesternacht 2017 in Köln | |
[1][gleich massenhaft angewandt hat] – eine „Strategie“ wohlgemerkt, die | |
den Grundwerten unserer Verfassung widerspricht. Und was macht der größte | |
Teil der deutschen Medien? Er freut sich darüber, dass in der | |
Silvesternacht angeblich „nichts passiert“ wäre. Das muss eine ziemlich | |
weiße Blase sein, in der sehr viele Journalisten in Deutschland leben. | |
Natürlich gebührt der Stadt Köln und der Polizei Dank dafür, dass sie dafür | |
gesorgt haben, dass so viele Menschen auf der Domplatte friedlich feiern | |
konnten – im Unterschied zur Silvesternacht vor einem Jahr, wo sie mit | |
dieser Aufgabe heillos überfordert war. Das ist ein Fortschritt, der sich | |
nicht zuletzt einem deutlich größeren Polizeiaufgebot verdankt, das | |
überfällig war. | |
Aber Ausweiskontrollen und andere Schikanen allein aufgrund der äußeren | |
Erscheinung sind absolut rechtswidrig, wie auch das Bundesinnenministerium | |
weiß. Für die Polizei heißt das konkret: Es spricht nichts dagegen, größere | |
Gruppen junger Männer zu kontrollieren und in Schach zu halten, | |
insbesondere wenn sie sich aggressiv verhalten. Es ist aber nicht | |
akzeptabel, Menschen allein aufgrund ihrer Hautfarbe auszusondern und | |
anders zu behandeln als andere. Auch Letzteres aber ist an Silvester in | |
Köln offenbar im großen Stil geschehen, wenn man den Augenzeugenberichten | |
von Kölner Stadtrevue, Neues Deutschland, taz und auf n-tv glaubt. | |
Man nennt dieses Vorgehen „Racial Profiling“. Und obwohl es offiziell | |
verboten ist, kennen viele Menschen mit dunkler Hautfarbe oder | |
„südländischem Aussehen“ diese Praxis der Polizei nur zu gut. Denn auf | |
deutschen Bahnhöfen, Flughäfen und auf öffentlichen Plätzen stehen ihre | |
Chancen, von der Polizei aufgehalten und kontrolliert zu werden, deutlich | |
besser als die ihrer blonden und blauäugigen Altersgenossen. Neu ist diese | |
Form der Diskriminierung durch Polizeibeamte also nicht. Neu ist nur die | |
Dimension, in der sie zu Silvester in Köln angewandt wurde, für alle | |
sichtbar. Und neu ist auch die Selbstverständlichkeit, mit der Politiker | |
und Journalisten nun erklären, diese Einschränkung ihrer Freiheitsrechte | |
müssten sich all jene, die ins Vorurteilsraster der Polizei fallen, nun mal | |
leider in Kauf nehmen, um unser aller Sicherheit zu gewährleisten. Da fragt | |
man sich schon: Wessen Sicherheit ist damit bitte gemeint? Schließlich | |
haben auch Menschen mit „nordafrikanischem Aussehen“ ein Anrecht darauf, | |
nicht von der Polizei belästigt und zu Unrecht verdächtigt zu werden, | |
sondern unbeschwert zu feiern. | |
Diese Schludrigkeit, wenn es um die feine, aber entscheidende Linie | |
zwischen berechtigten Sicherheitsinteressen und rassistischer | |
Diskriminierung geht, verdeutlicht die Verwirrung um dem Begriff „Nafri“. | |
Im Kölner Polizeijargon wird der Begriff bereits seit 2013 intern für | |
„nordafrikanische Intensivtäter“ verwendet – für jenes Milieu von | |
Kleinkriminellen mit unsicherem Aufenthaltsstatus, die als „Antänzer“ und | |
Taschendiebe seit längerer Zeit in der Kölner Innenstadt ihr Unwesen | |
treiben. Sie machten einen Teil jenes Mobs aus, von denen die Übergriffe | |
der vergangenen Silvesternacht ausgingen. Und obwohl kein anderes Ereignis | |
des vergangenen Jahres so oft medial durchleuchtet und offiziell untersucht | |
wurde, ranken sich bis heute zahlreiche Mythen darum. Deutschlands | |
Vorzeige-Feministin Alice Schwarzer verbreitet bis heute haltlose | |
Verschwörungstheorien dazu, die kaum jemand hinterfragt. Und die | |
Vorstellung, bestimmte Formen der Kriminalität seien irgendwie kulturell | |
bedingt, ist seitdem Allgemeingut geworden. | |
## Warum nicht eine Ausgangssperre für Sachsen? | |
[2][In ihrem umstrittenen Tweet], für den sich der Kölner Polizeipräsident | |
Jürgen Mathies zu Recht entschuldigt hat, verkündete die Kölner Polizei | |
kurz vor Silvester stolz, sie überprüfe gerade mehrere „Hundert Nafris“, | |
die am Hauptbahnhof festgehalten würden. Da die Betroffenen gerade erst | |
überprüft wurden, konnte die Polizei aber noch gar nicht wissen, ob es sich | |
tatsächlich um Intensivtäter handelte. Aber egal: Teile der Polizei halten | |
„Nordafrikaner“ offenbar bereits für eine ausreichend Täterbeschreibung, | |
die eine diskriminierende Behandlung rechtfertigt, und große Teile der | |
Presse geben ihr darin recht. | |
Man vergleiche diese Haltung mit der Nachsicht gegenüber den | |
allwöchentlichen Pegida-Demonstrationen in Dresden, aus deren Kreisen nicht | |
nur erhebliche Straftaten, sondern unlängst sogar ein Bombenanschlag auf | |
eine Moschee begangen wurde, bei dem nur durch Glück niemand verletzt | |
wurde. Das Versammlungsrecht des Pegida-Völkchens wird trotzdem nicht in | |
Frage gestellt. Dabei könnte man ja auch mal den Pegida-Mob einkesseln und | |
dessen Personalien einzeln überprüfen, bevor man ihn das nächste Mal auf | |
die Straße lässt – oder eine Ausgangssperre über ganz Sachsen verhängen, | |
warum nicht? Doch die gleichen Leute, die stets mahnen, man dürfe diese | |
Bürger nicht ausgrenzen, sondern müsse ihren „Sorgen und Nöten“ ernst | |
nehmen, fordern nun mit Blick auf Köln, der Staat solle hier volle Härte | |
zeigen. | |
## Simone Peter mahnt zu Recht | |
Der allgemeine Rechtsruck in Deutschland zeigt sich nicht nur darin, dass | |
hier mit zweierlei Maß gemessen wird, sondern auch in der Schärfe, mit der | |
Grünen-Chefin Simone Peter abgekanzelt wurde, nur weil sie es wagte, die | |
Verhältnis- und Rechtmäßigkeit des polizeilichen Vorgehens in Köln und | |
anderswo in Frage zu stellen. Sogar in ihrer Partei steht sie damit jetzt | |
alleine da – als sei man heute schon ein weltfremder Träumer, wenn man | |
fordert, dass die Polizei das Grundgesetz ernst nimmt. | |
Die Kritik an rassistischen Polizeikontrollen sollte in Deutschland | |
eigentlich Bürgerpflicht sein, nach Nazizeit und NSU-Affäre. Stattdessen | |
wird sie diffamiert. SPD, Linke und Grüne sind auf dem Papier zwar strikt | |
gegen „Racial Profiling“. Doch wenn es ernst wird, knicken sie vor dem | |
populistischen Zeitgeist ein. Die Grünen wollten sogar mal | |
Bürgerrechtspartei sein. Für „südländisch aussehende Personen“ gilt das | |
offenbar nicht mehr. | |
4 Jan 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/polizei_nrw_k/status/815318640094572548 | |
[2] https://twitter.com/polizei_nrw_k/status/815318640094572548/photo/1?ref_src… | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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