# taz.de -- Kriminologin über „Racial Profiling“: „Andere Methoden bring… | |
> Polizeikontrollen allein aufgrund des Aussehens sind gesetzwidrig. Und | |
> auch nicht effektiv, sagt die Kriminologin Daniela Hunold. | |
Bild: Offenbar unverdächtigt: Flüchtling Sebastian Joseph macht an Silvester … | |
taz: Frau Hunold, die Kölner Polizei wird von allen Seiten gelobt, weil sie | |
Silvester für Sicherheit gesorgt hat, sogar von der Kanzlerin. Tatsächlich | |
wurden kaum Straftaten angezeigt, nicht einmal Taschendiebstähle. Worauf | |
ist dieser Erfolg zurückzuführen? | |
Daniela Hunold: In erster Linie lag das sicher an der sehr großen Präsenz | |
von insgesamt 1.500 Polizeibeamten, die an neuralgischen Punkten in der | |
Innenstadt im Einsatz waren. Die trifft man an normalen Tagen so nicht an, | |
und die zeigt natürlich ihre Wirkung. | |
Die Polizei hat am Hauptbahnhof in Köln Hunderte mutmaßliche | |
„Nordafrikaner“ eingekesselt. War dieses Vorgehen recht- und | |
verhältnismäßig? | |
Da sehr, sehr viele Personen herausgezogen wurden und Augenzeugen wie | |
Journalisten berichtet haben, dass die Auswahl nach rein äußerlichen | |
Kriterien erfolgte, ist die Frage nach der Recht- und Verhältnismäßigkeit | |
gerechtfertigt. Denn offen ist immer noch, ob ein konkreter Verdacht gegen | |
die Personen, die dort festgehalten wurden, bestand und inwiefern sich die | |
Kontrollen auf deren individuelles Verhalten bezogen. | |
Die Polizei behauptet, viele seien alkoholisiert und aggressiv gewesen. | |
Doch Augenzeugen und Betroffene widersprechen dem. Was stimmt? | |
Eigentlich ist es fast unmöglich, eine so große Menschenmenge in relativ | |
kurzer Zeit einfach nach auffälligen Verhaltensweisen auszusortieren. Und | |
auch die Führung der Polizei selbst kann bisher nicht glaubhaft erklären, | |
nach welchen Kriterien die Personen ausgewählt wurden. Dementsprechend ist | |
aufgrund der bisherigen Informationslage nicht gänzlich von der Hand zu | |
weisen, dass hier auch Entscheidungen getroffen wurden, die nach | |
etablierten Definitionen als Racial Profiling bezeichnet werden können. | |
Hunderte wurden festgehalten, 650 Personen kontrolliert, aber lediglich 48 | |
erhielten einen Platzverweis. Deutet das auf eine gewisse | |
Unverhältnismäßigkeit hin? | |
Definitiv. Und angesichts dieser Zahlen muss man sich auch die Frage | |
stellen, inwiefern diese Maßnahme tatsächlich effektiv war, um möglichen | |
Straftaten vorzubeugen. | |
Viele sagen, es sei doch nachvollziehbar, dass die Polizei an Silvester | |
nicht vorwiegend Kölsche Omis ins Visier genommen habe, wie es in einem | |
Kommentar. Und zudem sei in der Nacht ja nichts passiert: der Zweck heilige | |
daher das Mittel. | |
Diese Meinung habe ich in den letzten Tagen sehr häufig gelesen, ich kann | |
sie aber so nicht teilen. Denn damit wird das Diskriminierungsverbot | |
aufgeweicht und eine Maßnahme, die eigentlich verboten ist, legitimiert. | |
Darüber hinaus ist es höchst fraglich, ob Racial Profiling überhaupt | |
effektiv ist. Es gibt wissenschaftliche Studien, die das Gegenteil sagen: | |
dass man, wenn man nach rein äußerlichen Kriterien vorgeht, seltener | |
potenzielle Straftäter herausfischt. Mit Kontrollen, die sich nach anderen | |
Kriterien wie Verhalten und anderen Charakteristika richten, erzielt man | |
eine höhere Trefferquote. | |
Heißt das, die Polizei hätte die Leute am Hauptbahnhof einfach gehen lassen | |
können? | |
Wenn es tatsächlich diese Erkenntnisse der verdeckten Ermittler in den | |
Zügen Richtung Köln gab, dass da Gruppen dabei waren, die sich hoch | |
aggressiv oder sonst wie auffällig verhielten, dann hätte man stärker auf | |
diese Kriterien achten müssen. Bei Fußballspielen geht das ja auch – dass | |
man da nur die Personen ins Visier nimmt, von denen man aus Erfahrung weiß, | |
dass von ihnen eine gewisse Gefahr ausgeht. Eine andere Möglichkeit ist, | |
dass man einfach ein Areal abgrenzt und sagt: Wer hier auf der Domplatte | |
feiern will, den kontrollieren wir, und das machen wir mit allen Personen, | |
die dort hinkommen. | |
Um den Dom gab es ja einen eingezäunten Bereich für die Feierlichkeiten mit | |
Lichtspektakel und Chören und Einlasskontrollen an den Eingängen. Hätte das | |
schon ausgereicht? | |
Ja, möglicherweise. | |
Die meisten Platzverweise und Festnahmen erfolgten auch nicht vor dem | |
Hauptbahnhof, sondern durch Polizeistreifen anderswo in der Stadt. War | |
diese Methode also womöglich effektiver? | |
Ja, ich denke schon. | |
Nun gibt es in Nordrhein-Westfalen eine Szene von kleinkriminellen | |
„Antänzern“, die meist nordafrikanischer Herkunft sind. Ist es von der | |
Polizei da nicht viel verlangt, bei Kontrollen im Zug an Silvester eine | |
kriminelle Männerbande von einer Gruppe maghrebinischer Studenten zu | |
unterscheiden? Anders gefragt: Lässt sich der hehre Anspruch des | |
Diskriminierungsverbots in der Praxis immer durchhalten? | |
In solchen Situationen die Leute herauszugreifen, die man haben will, ist | |
keine leichte Aufgabe. Aufgrund meiner bisherigen Forschung kann ich aber | |
sagen, dass die Polizei über das Erfahrungswissen verfügt, solche | |
Personengruppen voneinander zu unterscheiden. Das heißt, dass man | |
unabhängig vom Äußeren einer Person darüber mutmaßen kann, ob diese Person | |
oder diese Gruppe möglicherweise Straftaten im Sinn hat oder nicht. Das | |
lässt sich vielleicht nicht immer umsetzen. Umso wichtiger wäre es aber, | |
offen darüber zu sprechen: wir können diesem hehren Anspruch in einer | |
komplexen Situation nicht immer gerecht werden. Aber wir können darüber | |
reflektieren und uns weiter entwickeln. | |
Man könnte auch fragen: Was ist denn so schlimm an ein paar Kontrollen? | |
Das höre ich sehr oft: die Polizei hat doch für Sicherheit gesorgt, dann | |
ist das doch okay. Aber erstens widerspricht es dem Grundgesetz und den | |
Menschenrechten, wenn nordafrikanisch aussehende Personen nur aufgrund | |
ihrer äußeren Erscheinung eingekesselt wurden. Außerdem führt das dazu, | |
dass ohnehin schon vorhandene Vorurteile gegenüber nordafrikanischen | |
Männern noch verstärkt werden. Das hat eine stigmatisierende Wirkung in der | |
öffentlichen Wahrnehmung. | |
In der Debatte wird schon jetzt wenig zwischen kriminellen Nordafrikanern | |
und rechtstreuen Bürgern nordafrikanischer Herkunft unterschieden. Wie | |
wirkt sich das aus? | |
Klar waren unter den identifizierten Verdächtigen aus dem letzten Jahr | |
viele aus dem nordafrikanischen Raum. Aber wie bei allen anderen | |
Bevölkerungsgruppen ist auch bei Nordafrikanern nur ein Bruchteil | |
kriminell. Deshalb ist es nicht in Ordnung, alle über einen Kamm zu scheren | |
– nicht zuletzt, weil das auch bei unbescholtenen Bürgern maghrebinischer | |
Herkunft das Vertrauen in die Polizei erschüttern könnte. | |
Was ist Ihrer Meinung nach in der Silvesternacht im Jahr zuvor schief | |
gelaufen, dass es damals am Kölner Dom zu einer so massiven Zahl von | |
Diebstählen und sexuellen Übergriffen kam? | |
Ich denke, dass dort von Anfang an zu wenig Polizeibeamte im Einsatz waren. | |
Und dass sich offenbar schon relativ früh auf der Domplatte eine negative | |
Stimmung breitgemacht hatte und schon lange vor Mitternacht erste Delikte | |
passiert sind, das wurde viel zu spät erkannt, um rechtzeitig weitere | |
Hundertschaften anzufordern. Unklar ist, ob diese zusätzlichen Beamten die | |
Situation in den Griff bekommen hätten. Da das es vermutlich keine | |
Verabredung gab, sondern sie eher der Situation geschuldet war, war diese | |
Entwicklung im Vorfeld nur schwer abzusehen. | |
War der Exzess vor einem Jahr nicht auch ein Symptom dafür, dass einer der | |
prominentesten öffentlichen Plätze der Republik sich selbst überlassen | |
wurde? | |
Ja, diesen Eindruck konnte man gewinnen, wenn man sich etwa Videos aus | |
jener Nacht anschaut: da herrschte eine Stimmung, da würde niemand von uns | |
gerne sein wollen. In diesem Jahr hat man darauf reagiert, indem es diese | |
Lichterprojektionen gab, die eher einen künstlerischen Wert hatte und | |
möglicherweise ein anderes Publikum angezogen hat. | |
Wäre eine Vorgehen der Polizei wie dieses Jahr an Silvester in Köln auch in | |
den USA oder Großbritannien möglich gewesen? | |
Das hätte sicher auch dort passieren können. Aber die Öffentlichkeit und | |
auch die Polizei hätte vielleicht anders darauf reagiert. Dort hat die | |
Kritik an der Polizei im Hinblick auf den Umgang mit ethnischen | |
Minderheiten eine lange Tradition, und es gibt viel Forschung dazu, die | |
auch gefördert wird. Deshalb vermute ich, dass man dort differenzierter mit | |
der Kritik umgehen und möglicherweise auch entsprechende Konsequenzen | |
daraus ziehen würde. | |
Was kann die deutsche Polizei aus der Debatte um die vergangene | |
Silvesternacht 2016 /17 lernen? | |
Ich denke, die Polizei sollte insgesamt offener und transparenter mit der | |
Kritik umgehen. Hier trägt die Polizeiführung eine große Verantwortung. Die | |
Polizei sollte offener mit möglichen Fehlern umzugehen. Denn jeder macht | |
Fehler, und daraus kann man lernen. | |
17 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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