| # taz.de -- Schauspieler über Racial Profiling: Hamlet mit Adjektiv | |
| > Murali Perumal spielte Rosenverkäufer, Taxifahrer und Islamisten. Dann | |
| > machte er den Mund auf. Was für ein Stigma ist seine Hautfarbe heute? | |
| Bild: Murali Perumal im Januar 2017 im Foyer des Wiener Theaters Nestroyhof Ham… | |
| Diese Stimme. Augen zu – und man hat keine Ahnung, wer der Schauspieler | |
| ist, dem sie gehört. Bariton-Stimmlage, aber manchmal, wenn er empört ist, | |
| steigt seine Stimme um Oktaven. Der Mann könnte in einem Klinkerhaus mit | |
| Edelstahldunstabzugshaube wohnen oder in einer Altbau-WG, so geschliffen | |
| ist das Hochdeutsch. Er könnte der Hamlet sein oder der Stewart auf dem | |
| „Traumschiff“. Die Stimme macht alles denkbar. | |
| Dann macht man die Augen auf. Und die Frage, die jeder für sich beantworten | |
| muss, ist: Welche Assoziationen hat man, wenn man sieht, dass der Mann | |
| nicht weiß ist? | |
| Murali Perumal hat Shakespeare gespielt, Kleist, den Pfleger in einer | |
| Bühnenfassung von „Ziemlich beste Freunde“, der in der Filmvorlage schwarz | |
| ist. Aber: keinen Hamlet, keinen Faust, keinen Wilhelm Tell. „Wenn ich den | |
| Tell spielen würde, dann wäre es als Stück über Terror angelegt“, sagt er. | |
| Vor der Kamera stand er unter anderem als indischer Taxifahrer, als | |
| Rosenverkäufer, Computerspezialist, indischer Nachbar, Islamist und als | |
| Pakistaner, der „der Grieche“ genannt wurde. | |
| Weil er nicht nur eine Stimme hat, sondern auch eine Hautfarbe. | |
| ## Sind wir alle ein bisschen Racial Profiler? | |
| Die Frage ist, nachdem nun wochenlang über Racial Profiling geredet wurde, | |
| angestoßen durch die Ereignisse der Kölner Neujahrsnacht, in deren Verlauf | |
| Männer, die ins Oberflächenraster „nordafrikanisch“ passten, von der | |
| Polizei eingekesselt wurden: Ist es nicht auf Dauer zu wenig, nur über die | |
| Polizei zu reden? Sind wir nicht vielleicht alle ein bisschen Racial | |
| Profiler? Und was ist mit Theater, Film, Fernsehen, Medien, also denen, die | |
| für Repräsentation zuständig sind? | |
| In der Schauspielbranche, die gesellschaftliche Rollen reflektiert und | |
| aufführt, lassen sich die Subtilitäten der Stigmatisierung und die | |
| Fortschritte einer Gesellschaft jedenfalls wie durch einen | |
| Vergrößerungsapparat beobachten. | |
| Nestroyhof-Theater in Wien. Murali Perumal, 38, sitzt auf einer Bühne, die | |
| mit weißem Flokati überzogen ist, und streitet mit seinem Nebenbuhler, | |
| Fürst Myschkin. Perumal ist der Kaufmann Rogoschin in „Der Idiot“, beruhend | |
| auf dem Dostojewski-Roman. Sein schmaler Vollbart ist sauber geshavt, er | |
| trägt ein glänzendes weinrotes Jackett. Was man sich sofort einprägt, sind | |
| seine Augen, die einen ganzen Saal mit Wärme füllen, aus denen aber auch | |
| das Weiß des Augapfels stroboskopartig hervorblitzt, wenn er sie mit | |
| wutbeladener Mimik zur Seite dreht. | |
| Und ja – auch wenn man so tun könnte, als spiele die Hautfarbe keine Rolle, | |
| weil sie keine spielen sollte: Man nimmt sie natürlich wahr. Und sie ist in | |
| der Lebensrealität des Schauspielers, der mit seinem Körper in andere | |
| Rollen schlüpft, sie also verkörpert, karriererelevant. | |
| Murali Perumal, 1978 in Bonn geboren, Sohn einer nach Deutschland | |
| ausgewanderten südindischen Arbeiterfamilie, der Vater Chauffeur in der | |
| indischen und anderen Botschaften, die Mutter Putzfrau, gehört zu den | |
| deutschen Schauspielern in der Riege hinter den Stars, die Kommissare | |
| spielen oder Hauptrollen in Serien. Um so berühmt zu werden, muss man erst | |
| einmal solche Rollen bekommen. | |
| ## Perumal wäre ein Hamlet mit Adjektiv | |
| Perumal hat eine profilierte Schauspielschule besucht, in internationalen | |
| Produktionen mit Oscar-Preisträgern gearbeitet und überlebt seit 15 Jahren | |
| in diesem für viele prekären Beruf. Er spielt Theater, Comedy, Krimi; | |
| alles. | |
| Das Problem ist nur: Wenn Murali Perumal den Hamlet spielen würde, wäre er | |
| für viele nicht einfach ein Hamlet, sondern ein migrantischer Hamlet – was | |
| Theaterverantwortliche dem, wie Perumal es vor Jahren einmal nannte, | |
| „Silbermeer“ im Publikum offensichtlich lieber nicht zumuten; wer weiß, wie | |
| groß die Verstörung wäre. | |
| Perumal berichtet seit Jahren von der Logik hinter solchen Entscheidungen. | |
| Mal anklagend, wie in einem offenen Brief, den er 2013 schrieb: Die Theater | |
| hätten eine Verantwortung, „ein realistisches Bild unserer Gesellschaft | |
| abzubilden und nicht ein demografisches Szenario von 1920“. Häufiger | |
| abwägend oder auf die lustige Tour, schon weil Herumgepolter schnell | |
| Resistenzen hervorruft. Murali Perumal tut es in Diskussionen, Interviews | |
| und auf seiner Website, auf der er auch flapsig seine Rollen kommentiert | |
| („Als indischer Schauspieler in Deutschland spiele ich einen Ägypter in | |
| Tunesien. Knaller!“). | |
| Murali Perumal und ich sind uns schon einmal begegnet. Im Januar 2002 | |
| studierte er Schauspiel am Wiener Max-Reinhardt-Seminar, ich | |
| Kulturwissenschaften in München. Einer meiner Kommilitonen, Alexander Hirl, | |
| begann in dieser Zeit einen Dokumentarfilm über ihn zu drehen, ein | |
| Langzeitprojekt, das nicht abgeschlossen ist. Ich hielt die Tonangel. | |
| Perumal und Hirl redeten über Fragen, die heute an die | |
| Racial-Profiling-Debatte anschlussfähig sind: Hat ein Schauspieler im | |
| deutschsprachigen Raum, dem man ansieht, dass er nicht in zwölfter | |
| Generation aus Ostunterfranken kommt, ein Stigma? Wird er nach einer kurzen | |
| Gesichtskontrolle von Regisseuren, Produzenten und Zuschauern in Schubladen | |
| verräumt, aus denen er schwer wieder rauskommt? Wird Murali Perumal vor | |
| allem in der Rolle als indischer Blumenverkäufer Karriere machen? | |
| Er hegte damals zumindest die leise Befürchtung, es könne ungefähr so | |
| kommen; erste Rollen, die ihn auf einen Exoten reduzierten, hatte er | |
| bereits gespielt. | |
| ## Was hat sich getan in den vergangenen 15 Jahren? | |
| Wir übernachteten in seiner Studentenbude im 14. Wiener Bezirk, Perumal | |
| wies uns in die Kunst des indischen Akzents ein, nur für den Fall, dass er | |
| mal als Rosenverkäufer oder Ayurveda-Masseur ausfalle. Wir waren alle nicht | |
| mal Mitte zwanzig und duzten uns. | |
| Nun, im Januar 2017, möchte ich wissen, wie die Entwicklung seitdem | |
| verlaufen ist. | |
| Es herrscht eine trockene Kälte in Wien, minus ein Grad. Murali Perumal | |
| lebt mittlerweile in München, aber nun ist er für zwei Wochen zurück in der | |
| Stadt und spielt am Nestroyhof-Theater Hamakom in „Der Idiot“. Sieben | |
| Personen hat das Stück, nur einer der Darsteller ist nicht weiß, und der | |
| spielt den Mörder: Parfjon Rogoschin. Murali Perumal. Muss das sein? | |
| „Ich bin hier der reiche Kaufmann, der leidenschaftlich ist, der eine Frau | |
| haben will und der auch über Mord geht“, sagt er. „Das ist aber kein | |
| klassischer Bösewicht, und schon gar nicht spiele ich den aufgrund meiner | |
| Herkunft. Nein, das ist eine ambivalente, spannende Figur – ich meine, das | |
| ist Dostojewski. Ich arbeite zum dritten Mal mit der Regisseurin, und sie | |
| hat mich jedes Mal unabhängig von Hautfarbe und Herkunft besetzt. Zuletzt | |
| spielte ich bei ihr einen Anwalt namens Heinrich Brand.“ | |
| „Was wäre ein klassischer Bösewicht?“ | |
| „Ein Terrorist, zum Beispiel, der in einem Stück eindeutig das Böse | |
| markiert. Ein Schlägertyp, ein Drogendealer. Wenn ich solche Rollen | |
| bekomme, bekomme ich sie aufgrund meiner Herkunft, so ist es jedenfalls oft | |
| im Fernsehen, wenn man dunkelhäutig ist.“ | |
| „Es gab etwa diesen ‚Tatort‘ über islamistischen Terror.“ | |
| „Das war an sich eine tolle Arbeit, und es ist wichtig für mich, von | |
| Millionen Leuten gesehen zu werden. Aber ich war eben ein Islamist. Das | |
| Problem bei solchen Rollen ist, dass viele Regisseure und Produzenten mich | |
| dann als pakistanischen Terroristen im Kopf haben. Bei einigen reicht die | |
| Fantasie nicht, dass man mich auch anders besetzen kann. Und das andere | |
| ist, dass man mit solchen Rollen auch ein Bild schafft in der Gesellschaft. | |
| Der türkische Schlägertyp, der schwarze Drogendealer, der orientalische | |
| Terrorist, da schwingt immer auch mit: Schaut, die sind kriminell, sag ich | |
| doch.“ | |
| „Viele Schauspieler würden gern einen Bösewicht im ‚Tatort‘ spielen.“ | |
| „Ich wäre gern ein Bösewicht, der einfach ein gewiefter Typ ist. Ich kriege | |
| aber von Herkunft wegen nur den Terroristen.“ | |
| „Hat sich die Befürchtung, vor allem nach Hautfarbe und Herkunft besetzt zu | |
| werden, also bewahrheitet?“ | |
| „Es gibt in Fernsehen und Film Verbesserungen, muss ich sagen. Es gibt | |
| immer mehr Leute mit sichtbarem Migrationshintergrund, die eingesetzt | |
| werden; nicht oft in Hauptrollen, aber es gibt mehr. Und im Theater: mehr | |
| und mehr. Aber natürlich gab es eine ganze Weile diese Engstirnigkeit: | |
| Schiller, was hat der Junge im Schiller zu suchen?“ | |
| Alexander Hirl, der Murali Perumals Karriere mit der Kamera begleitet, | |
| hat ihn in den vergangenen 15 Jahren Dutzende Male getroffen. Er ist mit | |
| ihm nach Südindien gereist, zu seiner Familie, die Bonn wieder verlassen | |
| hat, er war in Magdeburg und in Köln, als Perumal dort Theater spielte. | |
| Nun steht Hirl, 36, in seinem Büro, ein Souterrain in Alt-Schwabing, und | |
| durchsucht zwei Spindeln nach einer DVD – die mit dem Interview in Wien, | |
| Januar 2002. „Hier, such du mal den Stapel durch, wir brauchen die mit der | |
| Nummer eins.“ | |
| „Er hatte“, sagt Hirl über Perumal, „damals schon Zweifel, ob er als | |
| Schauspieler Geld verdienen kann.“ Zumal es Leute gab, die warnten, Perumal | |
| müsse doppelt so gut sein wie die anderen. „Er war damals aber zugleich in | |
| einer besonderen Aufbruchstimmung“, sagt Alexander Hirl: „Ich schaffe das, | |
| und zwar jetzt erst recht.“ So sagt es auch Perumal: „Ich wollte manchen | |
| Zweiflern zeigen, dass es möglich ist, es als indischstämmiger Schauspieler | |
| zu schaffen. Auch wenn es vor mir keine bekannten indischen Schauspieler in | |
| Deutschland gab.“ | |
| Seine Schauspielausbildung stand damals vor dem Abschluss, er selbst vor | |
| dem Umzug nach Berlin. Er hatte gerade erstmals eine große Kinoproduktion | |
| mitgemacht, „Anatomie 2“, ein Horrorfilm mit Heike Makatsch. Seine Figur, | |
| ein Arzt, hieß Dirk. Das war ein Signal für Perumal: Dirk, einfach Dirk, | |
| wie Stefan oder Thomas. Ein Name, der ihn nicht als Migranten markierte. | |
| „Ich habe Dirk gespielt und dachte, jetzt geht’s ab“, sagt er. Ging es ab… | |
| nicht. | |
| Zuvor, in seiner ersten Fernsehfilmrolle, hatte er den Inder Shirkan | |
| gespielt – wie der Tiger Shir Kan im „Dschungelbuch“ –, der in | |
| Niederösterreich strandet. Indische Tablamusik, die sich mit Kirchenglocken | |
| vermischt, war Teil des Soundtracks – die Unterstellung inklusive, dass da | |
| etwas nicht zusammenpasst. Mit solchen Sachen ging es nach „Anatomie 2“ | |
| erst einmal weiter. Perumal spielte den indischen Nachbarn mit Obstkorb, | |
| einen Küchenjungen oder den besagten Rosenverkäufer. Die Figuren hießen | |
| Magesh Tiganjani, Abhay Dhiri, Amal Chopra oder Moraji Desai. | |
| In einer Probenpause, es ist 16 Uhr, zwei Tage vor der Premiere in Wien, | |
| sitzt Murali Perumal, beiger Wollkragenpullover, in einem japanischen | |
| Restaurant neben dem Theater und bestellt gebratene Nudeln. „Die Namen der | |
| Figuren“, sagt er, „sind gar nicht so entscheidend. Es ist vor allem erst | |
| einmal wichtig, dass man nicht zum Beispiel Herkunft und Beruf | |
| klischeemäßig gleichsetzt: der türkische Gemüsehändler. Oder der indische | |
| Rosenverkäufer. Das heißt nicht, dass ich nicht gern Inder spiele, aber ich | |
| bin nicht der Inder vom Dienst. Und wenn, dann will ich wenigstens die | |
| Community repräsentieren – aber die Inder aus der zweiten oder dritten | |
| Generation in Deutschland werden völlig vernachlässigt. Das sind auch | |
| Versicherungsmakler und Banker.“ | |
| Der Kellner läuft vorbei, Perumal bittet ihn um eine Gabel anstelle der | |
| Stäbchen. | |
| „Wenn man jemand Dummen spielt, darf es nicht mit der Herkunft | |
| zusammenhängen“, sagt er. „Das muss man trennen. Das war aber leider oft | |
| nicht so.“ | |
| „Wie kam das mit der Rolle des Dirk?“ | |
| „Eine Casterin hat mich ausgewählt, der Dirk musste auffällig aussehen. Das | |
| lag daran, dass er an vier verschiedenen Stellen im Film auftaucht und man | |
| sich dann jeweils an ihn erinnern muss. Das musste kein Inder sein. Aber | |
| mit einem Durchschnittsblonden wäre es schwierig geworden.“ | |
| „Schauspieler werden ständig einem Profiling unterzogen, oder?“ | |
| „Ja.“ | |
| „Ist das problematisch?“ | |
| „Nein, das ist ganz normal, diese Typenbesetzung. Es werden im Casting | |
| immer bestimmte Typen gesucht. Es könnte aber mehr Typen geben, finde ich.“ | |
| „Verläuft die Karriere der meisten Schauspieler dann nicht unter ähnlichen | |
| Bedingungen? Auch der Stewart auf dem ‚Traumschiff‘ ist ein Klischee.“ | |
| „Nee, nee, meine Karriere verläuft schon anders. Meine Hautfarbe kann ich | |
| nicht leugnen, möchte ich auch nicht, aber ich bin ein Mensch mit einer | |
| eigenen Persönlichkeit. Und als solcher will ich besetzt werden. Aber die | |
| Schauspieler aus Afrika, aus Mittelamerika, aus Asien, die haben es immer | |
| schwerer, weil sie in eine einzige Richtung geschoben werden, unabhängig | |
| davon, was sie können.“ | |
| „Können wir von Racial Profiling am Theater sprechen?“ | |
| „Ja. Es ist an Theatern, wenn es um feste Engagements geht, oft so gewesen, | |
| dass Bewerbungen anhand des Fotos aussortiert werden, weil es heißt: Nee, | |
| da haben wir ja gar keine Rollen für. Aber Sultan Saladin aus „Nathan der | |
| Weise“ wird auch oft von Deutschen gespielt, und das ist ein Perser.“ | |
| München, Türkenstraße, Alexander Hirls Büro. „Trinkst du Kaffee?“, frag… | |
| und antwortet selbst: „Ach so, ja, du bist ja Journalist.“ Wir gehen über | |
| die Straße in ein Café und blättern in den Erinnerungen, die sich 2002 in | |
| Wien eingeprägt haben, wie in einem Fotoalbum. | |
| Da war Schnee. Die Schauspielschule, prächtiges Haus. Ich erinnere mich an | |
| das Bad von Murali Perumal – weil es, für den Besuch von Verwandten, auch | |
| mit einer in Indien gebräuchlichen Waschkanne ausgerüstet war. Bilder | |
| wirken, auch wenn sie es gar nicht sollen. | |
| Murali Perumal ist nicht der Einzige in der deutschen Schauspielszene, den | |
| das Thema umtreibt, aber er war einer derer, die schon vor Jahren den Mund | |
| aufmachten. | |
| Es ist dadurch einiges in Bewegung geraten. Rund um die Münchner | |
| Kammerspiele läuft eine Debatte unter anderem darüber, wie sehr ein Theater | |
| die Gesellschaft über seine traditionelle bürgerliche Klientel hinaus | |
| repräsentieren soll: Besetzt man Stücke auch mit Schauspielern, die Deutsch | |
| mit Akzent sprechen? Der Intendant bejaht das, einer [1][„zeitgenössischen | |
| Repräsentation der Stadtgesellschaft Münchens“] wegen, wird dafür aber auch | |
| kritisiert. | |
| ## Das Gorki-Theater als Vorbild | |
| Am [2][Berliner Maxim-Gorki-Theater] passiert, was Perumal fordert und | |
| lobend hervorhebt: Schauspielerinnen und Schauspieler unterschiedlicher | |
| Herkunft und Hautfarbe bekommen Engagements, und das Ergebnis ist, dass die | |
| Frage, wer wie aussieht, in den Hintergrund gerät – sie sind einfach da. | |
| Auch Murali Perumal selbst hatte ein festes Engagement, am Schauspiel in | |
| Köln. 2007 castete das Theater so konsequent Schauspielerinnen und | |
| Schauspieler mit sichtbarem Migrationshintergrund, dass die Einwohnerschaft | |
| von Köln grob repräsentiert war. Man wollte, sagte Intendantin Karin Beier | |
| damals, „eine Selbstverständlichkeit“ herstellen, [3][„so dass nicht jede | |
| Besetzung eine dramaturgische Bedeutung hat, sobald ein Darsteller eine | |
| andere Hautfarbe hat, als die gewohnte“]. | |
| Im Fernsehen gibt es heute mehr migrantische Darsteller. Sibel Kekilli. | |
| Pegah Ferydoni. Fahri Yardım ist „Tatort“-Ermittler. Elyas M’Barek ein | |
| Posterboy. Und auch für Perumal blieb es nicht bei Rosenverkäufern. Der | |
| nächste Dirk kam 2009, sieben Jahre später, eine Rolle als Drogenfahnder in | |
| einer ZDF-Krimireihe. Er hieß einfach Herbert Reiser, fertig. | |
| „Es gab immer wieder Regisseure, die das gemacht haben“, sagt Perumal. | |
| Heiko Sutter, Rüdiger Zimmermann – auch Figuren mit diesen Namen spielte | |
| er. „Und es hat sich niemand beschwert. Warum auch, die Leute fragen sich | |
| doch nicht, ist der adoptiert, oder was? Als ich den Herbert spielte, hat | |
| eine Zuschauerin geschrieben, welcher Rasse ich angehöre. Aber das war ein | |
| Kommentar!“ | |
| Die Rolle, die am besten bebildert, was er an der Besetzungspolitik | |
| kritisiert, war 2010 die des Rachid im Josef-Hader-Zweiteiler „Der | |
| Aufschneider“. Rachid ist ein Taxifahrer, der seinen Fahrgästen mit | |
| indischem Akzent von Südfrüchten erzählt. Klassisches Rollenklischee. Bis | |
| eine Freundin, gespielt von Meret Becker, [4][ins Taxi steigt]. | |
| Sie: „Rachid?“ | |
| Er, vor sich hinmurmelnd, dreht sich um und erkennt sie. „Anke?“ | |
| Sie: „Was redst denn du für einen beschissenen Akzent?“ | |
| Er: „Das ist Indisch.“ | |
| Sie: „Das ist Scheiße.“ | |
| Er: „Mit Hochdeutsch krieg ich doch keine Kundschaft in Wien.“ | |
| Nur, bei aller Bewegung – es gibt, speziell in der Theaterlandschaft, auch | |
| noch die Gegenbewegung, die Diversity für Gedöns hält. Am Schauspiel Köln | |
| etwa blieben die vielen Ensemblemitglieder mit sichtbarem | |
| Migrationshintergrund dann doch weitgehend in der zweiten Besetzungsreihe | |
| oder spielten in Stücken, die von Migration handelten. Es gibt Theater in | |
| deutschen Großstädten, die keine oder nur eine Person of Colour im festen | |
| Ensemble haben. Es gebe nicht genügend gute nicht weiße Schauspieler, heißt | |
| es oft zur Erklärung. Wobei man sich dann fragen muss, woher Theater wie | |
| das Berliner Gorki die ganzen tollen Leute haben. | |
| Es tut sich etwas. Es tut sich wenig. Wir sind auf einem guten Weg. Wir | |
| sind nicht sehr weit. Stimmt alles, je nach Perspektive. | |
| Murali Perumal sagt auch: „Die Flüchtlingsdebatte hat uns gesellschaftlich | |
| zurückgeworfen.“ Die Räume für Menschen „mit sichtbarem | |
| Migrationshintergrund“, wie er sie nennt, gerade für die der zweiten und | |
| dritten Generation, die in Deutschland aufgewachsen sind, seien dadurch | |
| wieder enger geworden. | |
| „Hat sich die Polizei in der Kölner Neujahrsnacht angemessen verhalten?“ | |
| „Die Polizei hat vor einem Jahr so hart eins auf den Deckel bekommen, dass | |
| sie gezwungen war, zu handeln. Es ist für mich verständlich, dass sie dann | |
| umso mehr Strenge zeigen wollte. Leider sind diese Dinge damals passiert, | |
| und leider waren da Flüchtlinge, Migranten dabei, und daher wurden die halt | |
| in die Mangel genommen. Es ist vertrackt. Ich heiße diese Kontrollen, die | |
| auf Äußerlichkeiten beruhen, nicht gut, aber ich bin auch froh, dass | |
| kontrolliert wird. Die unkontrollierte Öffnung der Grenzen hielt ich für | |
| einen Fehler.“ | |
| „Kann man am Kontrollaufkommen erkennen, wie die Weltlage ist?“ | |
| „Ich wurde kurz nach dem 11. September 2001 zum ersten Mal kontrolliert. | |
| Ich habe danach mehrfach die Erfahrung gemacht, dass an einer Grenze ein | |
| Zollfahnder in den Zug kommt, schnurstracks auf mich zugeht und danach | |
| schnurstracks wieder raus. Ich empfehle Beamten einfach, noch zwei andere | |
| Menschen zu kontrollieren. Dann ist es für mich weniger schlimm, auch wenn | |
| ich vorher weiß, dass ich dabei bin. Es gab aber auch Phasen, in denen ich | |
| nicht kontrolliert wurde. Vielleicht hatte ich ein Buch in der Hand, ich | |
| passte irgendwie nicht ins Schema.“ | |
| „Vor 2001 gab es keine Kontrollen?“ | |
| „Nicht für mich. In Bonn, als Jugendlicher, hatte ich eine großartige Zeit. | |
| Bonn war Hauptstadt und entsprechend international. Ich ging auf eine | |
| Unesco-Schule, es gab im Grunde alle Nationalitäten, so dass es eigentlich | |
| keine Rolle spielte, woher jemand kam.“ | |
| „Es gab keine Unterschiede, weil alle unterschiedlich waren.“ | |
| „Ich habe mich jedenfalls in meiner Zeit in Bonn nur ein einziges Mal | |
| ausgegrenzt gefühlt – als ein Lehrer mich für die Hauptschule empfahl. | |
| Meine Eltern waren indische Arbeiter; ich glaube, er traute mir einfach | |
| nicht mehr zu. Das zweite Mal war erst, als ich schon an der | |
| Schauspielschule war und hörte: ‚Du wirst es schwer haben.‘ “ | |
| 20.55 Uhr im Nestroyhof. Nach zehn Stunden Proben fällt die Spannung vom | |
| Ensemble ab. Raus aus den Kostümen, rein in die Jeans. Probenkritik. Es | |
| gibt weißen Spritzer, Weinschorle. | |
| Später in einer Bar im zweiten Bezirk, einen Steinwurf vom Prater entfernt. | |
| Elektronische Musik, an der Bar sitzt ein älterer Mann mit Kordjackett und | |
| raucht Kette. Ein Journalist? Nein, dafür lächelt er zu viel. Dramaturg? | |
| Auch nicht, er trinkt Bier. Vielleicht Uni-Dozent, sagt Perumal. | |
| „Diese Neujahrsnacht in Köln …“ | |
| „Ich hätte wahrscheinlich ins Raster der Polizei gepasst. Mich quatschen ja | |
| sogar Jugendliche auf Arabisch an. Zu mir hat mal ein Fahnder bei einer | |
| Kontrolle gesagt: „Wir haben halt unsere Zielgruppe.“ Aber ich frage mich | |
| dann halt, was ist denn die Zielgruppe, indische Hindus?“ | |
| „Man kann nicht unsichtbar werden, so wie die meisten anderen.“ | |
| „Ja. Und das ist ein Modernitätsverlust.“ | |
| „Was tun?“ | |
| „Wir, ich meine jetzt uns Schauspieler mit sichtbarem | |
| Migrationshintergrund, brauchen Chancen, uns zu zeigen. Wir müssen zeigen | |
| können, dass wir in diese Gesellschaft gehören.“ | |
| „Und die Zuschauer fragen sich dann: Was soll uns die Besetzung dieses | |
| Wilhelm Tell sagen?“ | |
| „Mag sein. Aber sobald da noch eine Chinesin im Ensemble steht, ist es | |
| anders. Dann schaltet im Kopf etwas um. Dann fällt der, der den Tell | |
| spielt, nicht mehr als anders auf. Dann ist das Normalität, eine | |
| Selbstverständlichkeit. Dahin würde ich gern. Dass ich nicht der Inder | |
| Murali bin. Sondern der Murali.“ | |
| 31 Jan 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.deutschlandradiokultur.de/die-muenchner-kammerspiele-debatte-ent… | |
| [2] /Gorki-Theater-in-Berlin-ausgezeichnet/!5034474/ | |
| [3] http://www.stadtrevue.de/archiv/archivartikel/2452-die-quoten-masche/ | |
| [4] https://www.youtube.com/watch?v=eZSbvojcz2U | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Raab | |
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