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# taz.de -- Schauspieler über Racial Profiling: Hamlet mit Adjektiv
> Murali Perumal spielte Rosenverkäufer, Taxifahrer und Islamisten. Dann
> machte er den Mund auf. Was für ein Stigma ist seine Hautfarbe heute?
Bild: Murali Perumal im Januar 2017 im Foyer des Wiener Theaters Nestroyhof Ham…
Diese Stimme. Augen zu – und man hat keine Ahnung, wer der Schauspieler
ist, dem sie gehört. Bariton-Stimmlage, aber manchmal, wenn er empört ist,
steigt seine Stimme um Oktaven. Der Mann könnte in einem Klinkerhaus mit
Edelstahldunstabzugshaube wohnen oder in einer Altbau-WG, so geschliffen
ist das Hochdeutsch. Er könnte der Hamlet sein oder der Stewart auf dem
„Traumschiff“. Die Stimme macht alles denkbar.
Dann macht man die Augen auf. Und die Frage, die jeder für sich beantworten
muss, ist: Welche Assoziationen hat man, wenn man sieht, dass der Mann
nicht weiß ist?
Murali Perumal hat Shakespeare gespielt, Kleist, den Pfleger in einer
Bühnenfassung von „Ziemlich beste Freunde“, der in der Filmvorlage schwarz
ist. Aber: keinen Hamlet, keinen Faust, keinen Wilhelm Tell. „Wenn ich den
Tell spielen würde, dann wäre es als Stück über Terror angelegt“, sagt er.
Vor der Kamera stand er unter anderem als indischer Taxifahrer, als
Rosenverkäufer, Computerspezialist, indischer Nachbar, Islamist und als
Pakistaner, der „der Grieche“ genannt wurde.
Weil er nicht nur eine Stimme hat, sondern auch eine Hautfarbe.
## Sind wir alle ein bisschen Racial Profiler?
Die Frage ist, nachdem nun wochenlang über Racial Profiling geredet wurde,
angestoßen durch die Ereignisse der Kölner Neujahrsnacht, in deren Verlauf
Männer, die ins Oberflächenraster „nordafrikanisch“ passten, von der
Polizei eingekesselt wurden: Ist es nicht auf Dauer zu wenig, nur über die
Polizei zu reden? Sind wir nicht vielleicht alle ein bisschen Racial
Profiler? Und was ist mit Theater, Film, Fernsehen, Medien, also denen, die
für Repräsentation zuständig sind?
In der Schauspielbranche, die gesellschaftliche Rollen reflektiert und
aufführt, lassen sich die Subtilitäten der Stigmatisierung und die
Fortschritte einer Gesellschaft jedenfalls wie durch einen
Vergrößerungsapparat beobachten.
Nestroyhof-Theater in Wien. Murali Perumal, 38, sitzt auf einer Bühne, die
mit weißem Flokati überzogen ist, und streitet mit seinem Nebenbuhler,
Fürst Myschkin. Perumal ist der Kaufmann Rogoschin in „Der Idiot“, beruhend
auf dem Dostojewski-Roman. Sein schmaler Vollbart ist sauber geshavt, er
trägt ein glänzendes weinrotes Jackett. Was man sich sofort einprägt, sind
seine Augen, die einen ganzen Saal mit Wärme füllen, aus denen aber auch
das Weiß des Augapfels stroboskopartig hervorblitzt, wenn er sie mit
wutbeladener Mimik zur Seite dreht.
Und ja – auch wenn man so tun könnte, als spiele die Hautfarbe keine Rolle,
weil sie keine spielen sollte: Man nimmt sie natürlich wahr. Und sie ist in
der Lebensrealität des Schauspielers, der mit seinem Körper in andere
Rollen schlüpft, sie also verkörpert, karriererelevant.
Murali Perumal, 1978 in Bonn geboren, Sohn einer nach Deutschland
ausgewanderten südindischen Arbeiterfamilie, der Vater Chauffeur in der
indischen und anderen Botschaften, die Mutter Putzfrau, gehört zu den
deutschen Schauspielern in der Riege hinter den Stars, die Kommissare
spielen oder Hauptrollen in Serien. Um so berühmt zu werden, muss man erst
einmal solche Rollen bekommen.
## Perumal wäre ein Hamlet mit Adjektiv
Perumal hat eine profilierte Schauspielschule besucht, in internationalen
Produktionen mit Oscar-Preisträgern gearbeitet und überlebt seit 15 Jahren
in diesem für viele prekären Beruf. Er spielt Theater, Comedy, Krimi;
alles.
Das Problem ist nur: Wenn Murali Perumal den Hamlet spielen würde, wäre er
für viele nicht einfach ein Hamlet, sondern ein migrantischer Hamlet – was
Theaterverantwortliche dem, wie Perumal es vor Jahren einmal nannte,
„Silbermeer“ im Publikum offensichtlich lieber nicht zumuten; wer weiß, wie
groß die Verstörung wäre.
Perumal berichtet seit Jahren von der Logik hinter solchen Entscheidungen.
Mal anklagend, wie in einem offenen Brief, den er 2013 schrieb: Die Theater
hätten eine Verantwortung, „ein realistisches Bild unserer Gesellschaft
abzubilden und nicht ein demografisches Szenario von 1920“. Häufiger
abwägend oder auf die lustige Tour, schon weil Herumgepolter schnell
Resistenzen hervorruft. Murali Perumal tut es in Diskussionen, Interviews
und auf seiner Website, auf der er auch flapsig seine Rollen kommentiert
(„Als indischer Schauspieler in Deutschland spiele ich einen Ägypter in
Tunesien. Knaller!“).
Murali Perumal und ich sind uns schon einmal begegnet. Im Januar 2002
studierte er Schauspiel am Wiener Max-Reinhardt-Seminar, ich
Kulturwissenschaften in München. Einer meiner Kommilitonen, Alexander Hirl,
begann in dieser Zeit einen Dokumentarfilm über ihn zu drehen, ein
Langzeitprojekt, das nicht abgeschlossen ist. Ich hielt die Tonangel.
Perumal und Hirl redeten über Fragen, die heute an die
Racial-Profiling-Debatte anschlussfähig sind: Hat ein Schauspieler im
deutschsprachigen Raum, dem man ansieht, dass er nicht in zwölfter
Generation aus Ostunterfranken kommt, ein Stigma? Wird er nach einer kurzen
Gesichtskontrolle von Regisseuren, Produzenten und Zuschauern in Schubladen
verräumt, aus denen er schwer wieder rauskommt? Wird Murali Perumal vor
allem in der Rolle als indischer Blumenverkäufer Karriere machen?
Er hegte damals zumindest die leise Befürchtung, es könne ungefähr so
kommen; erste Rollen, die ihn auf einen Exoten reduzierten, hatte er
bereits gespielt.
## Was hat sich getan in den vergangenen 15 Jahren?
Wir übernachteten in seiner Studentenbude im 14. Wiener Bezirk, Perumal
wies uns in die Kunst des indischen Akzents ein, nur für den Fall, dass er
mal als Rosenverkäufer oder Ayurveda-Masseur ausfalle. Wir waren alle nicht
mal Mitte zwanzig und duzten uns.
Nun, im Januar 2017, möchte ich wissen, wie die Entwicklung seitdem
verlaufen ist.
Es herrscht eine trockene Kälte in Wien, minus ein Grad. Murali Perumal
lebt mittlerweile in München, aber nun ist er für zwei Wochen zurück in der
Stadt und spielt am Nestroyhof-Theater Hamakom in „Der Idiot“. Sieben
Personen hat das Stück, nur einer der Darsteller ist nicht weiß, und der
spielt den Mörder: Parfjon Rogoschin. Murali Perumal. Muss das sein?
„Ich bin hier der reiche Kaufmann, der leidenschaftlich ist, der eine Frau
haben will und der auch über Mord geht“, sagt er. „Das ist aber kein
klassischer Bösewicht, und schon gar nicht spiele ich den aufgrund meiner
Herkunft. Nein, das ist eine ambivalente, spannende Figur – ich meine, das
ist Dostojewski. Ich arbeite zum dritten Mal mit der Regisseurin, und sie
hat mich jedes Mal unabhängig von Hautfarbe und Herkunft besetzt. Zuletzt
spielte ich bei ihr einen Anwalt namens Heinrich Brand.“
„Was wäre ein klassischer Bösewicht?“
„Ein Terrorist, zum Beispiel, der in einem Stück eindeutig das Böse
markiert. Ein Schlägertyp, ein Drogendealer. Wenn ich solche Rollen
bekomme, bekomme ich sie aufgrund meiner Herkunft, so ist es jedenfalls oft
im Fernsehen, wenn man dunkelhäutig ist.“
„Es gab etwa diesen ‚Tatort‘ über islamistischen Terror.“
„Das war an sich eine tolle Arbeit, und es ist wichtig für mich, von
Millionen Leuten gesehen zu werden. Aber ich war eben ein Islamist. Das
Problem bei solchen Rollen ist, dass viele Regisseure und Produzenten mich
dann als pakistanischen Terroristen im Kopf haben. Bei einigen reicht die
Fantasie nicht, dass man mich auch anders besetzen kann. Und das andere
ist, dass man mit solchen Rollen auch ein Bild schafft in der Gesellschaft.
Der türkische Schlägertyp, der schwarze Drogendealer, der orientalische
Terrorist, da schwingt immer auch mit: Schaut, die sind kriminell, sag ich
doch.“
„Viele Schauspieler würden gern einen Bösewicht im ‚Tatort‘ spielen.“
„Ich wäre gern ein Bösewicht, der einfach ein gewiefter Typ ist. Ich kriege
aber von Herkunft wegen nur den Terroristen.“
„Hat sich die Befürchtung, vor allem nach Hautfarbe und Herkunft besetzt zu
werden, also bewahrheitet?“
„Es gibt in Fernsehen und Film Verbesserungen, muss ich sagen. Es gibt
immer mehr Leute mit sichtbarem Migrationshintergrund, die eingesetzt
werden; nicht oft in Hauptrollen, aber es gibt mehr. Und im Theater: mehr
und mehr. Aber natürlich gab es eine ganze Weile diese Engstirnigkeit:
Schiller, was hat der Junge im Schiller zu suchen?“
Alexander Hirl, der Murali Perumals Karriere mit der Kamera begleitet,
hat ihn in den vergangenen 15 Jahren Dutzende Male getroffen. Er ist mit
ihm nach Südindien gereist, zu seiner Familie, die Bonn wieder verlassen
hat, er war in Magdeburg und in Köln, als Perumal dort Theater spielte.
Nun steht Hirl, 36, in seinem Büro, ein Souterrain in Alt-Schwabing, und
durchsucht zwei Spindeln nach einer DVD – die mit dem Interview in Wien,
Januar 2002. „Hier, such du mal den Stapel durch, wir brauchen die mit der
Nummer eins.“
„Er hatte“, sagt Hirl über Perumal, „damals schon Zweifel, ob er als
Schauspieler Geld verdienen kann.“ Zumal es Leute gab, die warnten, Perumal
müsse doppelt so gut sein wie die anderen. „Er war damals aber zugleich in
einer besonderen Aufbruchstimmung“, sagt Alexander Hirl: „Ich schaffe das,
und zwar jetzt erst recht.“ So sagt es auch Perumal: „Ich wollte manchen
Zweiflern zeigen, dass es möglich ist, es als indischstämmiger Schauspieler
zu schaffen. Auch wenn es vor mir keine bekannten indischen Schauspieler in
Deutschland gab.“
Seine Schauspielausbildung stand damals vor dem Abschluss, er selbst vor
dem Umzug nach Berlin. Er hatte gerade erstmals eine große Kinoproduktion
mitgemacht, „Anatomie 2“, ein Horrorfilm mit Heike Makatsch. Seine Figur,
ein Arzt, hieß Dirk. Das war ein Signal für Perumal: Dirk, einfach Dirk,
wie Stefan oder Thomas. Ein Name, der ihn nicht als Migranten markierte.
„Ich habe Dirk gespielt und dachte, jetzt geht’s ab“, sagt er. Ging es ab…
nicht.
Zuvor, in seiner ersten Fernsehfilmrolle, hatte er den Inder Shirkan
gespielt – wie der Tiger Shir Kan im „Dschungelbuch“ –, der in
Niederösterreich strandet. Indische Tablamusik, die sich mit Kirchenglocken
vermischt, war Teil des Soundtracks – die Unterstellung inklusive, dass da
etwas nicht zusammenpasst. Mit solchen Sachen ging es nach „Anatomie 2“
erst einmal weiter. Perumal spielte den indischen Nachbarn mit Obstkorb,
einen Küchenjungen oder den besagten Rosenverkäufer. Die Figuren hießen
Magesh Tiganjani, Abhay Dhiri, Amal Chopra oder Moraji Desai.
In einer Probenpause, es ist 16 Uhr, zwei Tage vor der Premiere in Wien,
sitzt Murali Perumal, beiger Wollkragenpullover, in einem japanischen
Restaurant neben dem Theater und bestellt gebratene Nudeln. „Die Namen der
Figuren“, sagt er, „sind gar nicht so entscheidend. Es ist vor allem erst
einmal wichtig, dass man nicht zum Beispiel Herkunft und Beruf
klischeemäßig gleichsetzt: der türkische Gemüsehändler. Oder der indische
Rosenverkäufer. Das heißt nicht, dass ich nicht gern Inder spiele, aber ich
bin nicht der Inder vom Dienst. Und wenn, dann will ich wenigstens die
Community repräsentieren – aber die Inder aus der zweiten oder dritten
Generation in Deutschland werden völlig vernachlässigt. Das sind auch
Versicherungsmakler und Banker.“
Der Kellner läuft vorbei, Perumal bittet ihn um eine Gabel anstelle der
Stäbchen.
„Wenn man jemand Dummen spielt, darf es nicht mit der Herkunft
zusammenhängen“, sagt er. „Das muss man trennen. Das war aber leider oft
nicht so.“
„Wie kam das mit der Rolle des Dirk?“
„Eine Casterin hat mich ausgewählt, der Dirk musste auffällig aussehen. Das
lag daran, dass er an vier verschiedenen Stellen im Film auftaucht und man
sich dann jeweils an ihn erinnern muss. Das musste kein Inder sein. Aber
mit einem Durchschnittsblonden wäre es schwierig geworden.“
„Schauspieler werden ständig einem Profiling unterzogen, oder?“
„Ja.“
„Ist das problematisch?“
„Nein, das ist ganz normal, diese Typenbesetzung. Es werden im Casting
immer bestimmte Typen gesucht. Es könnte aber mehr Typen geben, finde ich.“
„Verläuft die Karriere der meisten Schauspieler dann nicht unter ähnlichen
Bedingungen? Auch der Stewart auf dem ‚Traumschiff‘ ist ein Klischee.“
„Nee, nee, meine Karriere verläuft schon anders. Meine Hautfarbe kann ich
nicht leugnen, möchte ich auch nicht, aber ich bin ein Mensch mit einer
eigenen Persönlichkeit. Und als solcher will ich besetzt werden. Aber die
Schauspieler aus Afrika, aus Mittelamerika, aus Asien, die haben es immer
schwerer, weil sie in eine einzige Richtung geschoben werden, unabhängig
davon, was sie können.“
„Können wir von Racial Profiling am Theater sprechen?“
„Ja. Es ist an Theatern, wenn es um feste Engagements geht, oft so gewesen,
dass Bewerbungen anhand des Fotos aussortiert werden, weil es heißt: Nee,
da haben wir ja gar keine Rollen für. Aber Sultan Saladin aus „Nathan der
Weise“ wird auch oft von Deutschen gespielt, und das ist ein Perser.“
München, Türkenstraße, Alexander Hirls Büro. „Trinkst du Kaffee?“, frag…
und antwortet selbst: „Ach so, ja, du bist ja Journalist.“ Wir gehen über
die Straße in ein Café und blättern in den Erinnerungen, die sich 2002 in
Wien eingeprägt haben, wie in einem Fotoalbum.
Da war Schnee. Die Schauspielschule, prächtiges Haus. Ich erinnere mich an
das Bad von Murali Perumal – weil es, für den Besuch von Verwandten, auch
mit einer in Indien gebräuchlichen Waschkanne ausgerüstet war. Bilder
wirken, auch wenn sie es gar nicht sollen.
Murali Perumal ist nicht der Einzige in der deutschen Schauspielszene, den
das Thema umtreibt, aber er war einer derer, die schon vor Jahren den Mund
aufmachten.
Es ist dadurch einiges in Bewegung geraten. Rund um die Münchner
Kammerspiele läuft eine Debatte unter anderem darüber, wie sehr ein Theater
die Gesellschaft über seine traditionelle bürgerliche Klientel hinaus
repräsentieren soll: Besetzt man Stücke auch mit Schauspielern, die Deutsch
mit Akzent sprechen? Der Intendant bejaht das, einer [1][„zeitgenössischen
Repräsentation der Stadtgesellschaft Münchens“] wegen, wird dafür aber auch
kritisiert.
## Das Gorki-Theater als Vorbild
Am [2][Berliner Maxim-Gorki-Theater] passiert, was Perumal fordert und
lobend hervorhebt: Schauspielerinnen und Schauspieler unterschiedlicher
Herkunft und Hautfarbe bekommen Engagements, und das Ergebnis ist, dass die
Frage, wer wie aussieht, in den Hintergrund gerät – sie sind einfach da.
Auch Murali Perumal selbst hatte ein festes Engagement, am Schauspiel in
Köln. 2007 castete das Theater so konsequent Schauspielerinnen und
Schauspieler mit sichtbarem Migrationshintergrund, dass die Einwohnerschaft
von Köln grob repräsentiert war. Man wollte, sagte Intendantin Karin Beier
damals, „eine Selbstverständlichkeit“ herstellen, [3][„so dass nicht jede
Besetzung eine dramaturgische Bedeutung hat, sobald ein Darsteller eine
andere Hautfarbe hat, als die gewohnte“].
Im Fernsehen gibt es heute mehr migrantische Darsteller. Sibel Kekilli.
Pegah Ferydoni. Fahri Yardım ist „Tatort“-Ermittler. Elyas M’Barek ein
Posterboy. Und auch für Perumal blieb es nicht bei Rosenverkäufern. Der
nächste Dirk kam 2009, sieben Jahre später, eine Rolle als Drogenfahnder in
einer ZDF-Krimireihe. Er hieß einfach Herbert Reiser, fertig.
„Es gab immer wieder Regisseure, die das gemacht haben“, sagt Perumal.
Heiko Sutter, Rüdiger Zimmermann – auch Figuren mit diesen Namen spielte
er. „Und es hat sich niemand beschwert. Warum auch, die Leute fragen sich
doch nicht, ist der adoptiert, oder was? Als ich den Herbert spielte, hat
eine Zuschauerin geschrieben, welcher Rasse ich angehöre. Aber das war ein
Kommentar!“
Die Rolle, die am besten bebildert, was er an der Besetzungspolitik
kritisiert, war 2010 die des Rachid im Josef-Hader-Zweiteiler „Der
Aufschneider“. Rachid ist ein Taxifahrer, der seinen Fahrgästen mit
indischem Akzent von Südfrüchten erzählt. Klassisches Rollenklischee. Bis
eine Freundin, gespielt von Meret Becker, [4][ins Taxi steigt].
Sie: „Rachid?“
Er, vor sich hinmurmelnd, dreht sich um und erkennt sie. „Anke?“
Sie: „Was redst denn du für einen beschissenen Akzent?“
Er: „Das ist Indisch.“
Sie: „Das ist Scheiße.“
Er: „Mit Hochdeutsch krieg ich doch keine Kundschaft in Wien.“
Nur, bei aller Bewegung – es gibt, speziell in der Theaterlandschaft, auch
noch die Gegenbewegung, die Diversity für Gedöns hält. Am Schauspiel Köln
etwa blieben die vielen Ensemblemitglieder mit sichtbarem
Migrationshintergrund dann doch weitgehend in der zweiten Besetzungsreihe
oder spielten in Stücken, die von Migration handelten. Es gibt Theater in
deutschen Großstädten, die keine oder nur eine Person of Colour im festen
Ensemble haben. Es gebe nicht genügend gute nicht weiße Schauspieler, heißt
es oft zur Erklärung. Wobei man sich dann fragen muss, woher Theater wie
das Berliner Gorki die ganzen tollen Leute haben.
Es tut sich etwas. Es tut sich wenig. Wir sind auf einem guten Weg. Wir
sind nicht sehr weit. Stimmt alles, je nach Perspektive.
Murali Perumal sagt auch: „Die Flüchtlingsdebatte hat uns gesellschaftlich
zurückgeworfen.“ Die Räume für Menschen „mit sichtbarem
Migrationshintergrund“, wie er sie nennt, gerade für die der zweiten und
dritten Generation, die in Deutschland aufgewachsen sind, seien dadurch
wieder enger geworden.
„Hat sich die Polizei in der Kölner Neujahrsnacht angemessen verhalten?“
„Die Polizei hat vor einem Jahr so hart eins auf den Deckel bekommen, dass
sie gezwungen war, zu handeln. Es ist für mich verständlich, dass sie dann
umso mehr Strenge zeigen wollte. Leider sind diese Dinge damals passiert,
und leider waren da Flüchtlinge, Migranten dabei, und daher wurden die halt
in die Mangel genommen. Es ist vertrackt. Ich heiße diese Kontrollen, die
auf Äußerlichkeiten beruhen, nicht gut, aber ich bin auch froh, dass
kontrolliert wird. Die unkontrollierte Öffnung der Grenzen hielt ich für
einen Fehler.“
„Kann man am Kontrollaufkommen erkennen, wie die Weltlage ist?“
„Ich wurde kurz nach dem 11. September 2001 zum ersten Mal kontrolliert.
Ich habe danach mehrfach die Erfahrung gemacht, dass an einer Grenze ein
Zollfahnder in den Zug kommt, schnurstracks auf mich zugeht und danach
schnurstracks wieder raus. Ich empfehle Beamten einfach, noch zwei andere
Menschen zu kontrollieren. Dann ist es für mich weniger schlimm, auch wenn
ich vorher weiß, dass ich dabei bin. Es gab aber auch Phasen, in denen ich
nicht kontrolliert wurde. Vielleicht hatte ich ein Buch in der Hand, ich
passte irgendwie nicht ins Schema.“
„Vor 2001 gab es keine Kontrollen?“
„Nicht für mich. In Bonn, als Jugendlicher, hatte ich eine großartige Zeit.
Bonn war Hauptstadt und entsprechend international. Ich ging auf eine
Unesco-Schule, es gab im Grunde alle Nationalitäten, so dass es eigentlich
keine Rolle spielte, woher jemand kam.“
„Es gab keine Unterschiede, weil alle unterschiedlich waren.“
„Ich habe mich jedenfalls in meiner Zeit in Bonn nur ein einziges Mal
ausgegrenzt gefühlt – als ein Lehrer mich für die Hauptschule empfahl.
Meine Eltern waren indische Arbeiter; ich glaube, er traute mir einfach
nicht mehr zu. Das zweite Mal war erst, als ich schon an der
Schauspielschule war und hörte: ‚Du wirst es schwer haben.‘ “
20.55 Uhr im Nestroyhof. Nach zehn Stunden Proben fällt die Spannung vom
Ensemble ab. Raus aus den Kostümen, rein in die Jeans. Probenkritik. Es
gibt weißen Spritzer, Weinschorle.
Später in einer Bar im zweiten Bezirk, einen Steinwurf vom Prater entfernt.
Elektronische Musik, an der Bar sitzt ein älterer Mann mit Kordjackett und
raucht Kette. Ein Journalist? Nein, dafür lächelt er zu viel. Dramaturg?
Auch nicht, er trinkt Bier. Vielleicht Uni-Dozent, sagt Perumal.
„Diese Neujahrsnacht in Köln …“
„Ich hätte wahrscheinlich ins Raster der Polizei gepasst. Mich quatschen ja
sogar Jugendliche auf Arabisch an. Zu mir hat mal ein Fahnder bei einer
Kontrolle gesagt: „Wir haben halt unsere Zielgruppe.“ Aber ich frage mich
dann halt, was ist denn die Zielgruppe, indische Hindus?“
„Man kann nicht unsichtbar werden, so wie die meisten anderen.“
„Ja. Und das ist ein Modernitätsverlust.“
„Was tun?“
„Wir, ich meine jetzt uns Schauspieler mit sichtbarem
Migrationshintergrund, brauchen Chancen, uns zu zeigen. Wir müssen zeigen
können, dass wir in diese Gesellschaft gehören.“
„Und die Zuschauer fragen sich dann: Was soll uns die Besetzung dieses
Wilhelm Tell sagen?“
„Mag sein. Aber sobald da noch eine Chinesin im Ensemble steht, ist es
anders. Dann schaltet im Kopf etwas um. Dann fällt der, der den Tell
spielt, nicht mehr als anders auf. Dann ist das Normalität, eine
Selbstverständlichkeit. Dahin würde ich gern. Dass ich nicht der Inder
Murali bin. Sondern der Murali.“
31 Jan 2017
## LINKS
[1] http://www.deutschlandradiokultur.de/die-muenchner-kammerspiele-debatte-ent…
[2] /Gorki-Theater-in-Berlin-ausgezeichnet/!5034474/
[3] http://www.stadtrevue.de/archiv/archivartikel/2452-die-quoten-masche/
[4] https://www.youtube.com/watch?v=eZSbvojcz2U
## AUTOREN
Klaus Raab
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