| # taz.de -- Racial Profiling durch Bundespolizei: Dieser Mann ist kein Taschend… | |
| > Zwei Bundespolizisten kontrollieren einen Leipziger am Bahnhof. Der | |
| > Anlass ist seine Hautfarbe. Er klagt – und gewinnt. Die Kontrolle war | |
| > rechtswidrig. | |
| Bild: Wollte eigentlich nur nach Erfurt fahren: Regisseur Kanwal Sethi | |
| Leipzig taz | Es ist Montag, der 31. März 2014. Für die Jahreszeit ist es | |
| ungewöhnlich warm, der Himmel leuchtet hellblau. Der Leipziger | |
| Filmregisseur Kanwal Sethi macht sich früh auf den Weg von seiner | |
| Heimatstadt nach Erfurt. Dieser Ausflug wird ihn fast drei Jahre | |
| beschäftigen, wird ihn zur Weißglut und vor Gericht bringen. | |
| Sethi ist deutscher Staatsbürger und in Indien geboren. In Erfurt hat er an | |
| diesem Märzmorgen beruflich zu tun. Noch am Vormittag kehrt er an den | |
| Bahnhof zurück, um wieder nach Leipzig zu fahren. Was dann passiert, erlebt | |
| Kanwal Sethi oft. „Im Osten mehr als im Westen, in Sachsen ständig“, sagt | |
| er. Zwei Beamte der Bundespolizei, Gerd H. und Thomas S., halten ihn an und | |
| möchten seine Personalien aufnehmen. Sethi hat den Verdacht, dass die | |
| Beamten ihn einzig wegen seiner Hautfarbe kontrollieren. | |
| Mehr als 15 Minuten, sagt er, habe er auf dem Bahnsteig verbracht, ohne | |
| dass die beiden Beamten auch nur eine andere Person aufgefordert hätten, | |
| sich auszuweisen. Höflich macht er sie darauf aufmerksam, dass Racial | |
| Profiling gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz verstößt | |
| und nach internationalem Recht unter Diskriminierung fällt. Sethi ist | |
| überzeugt, er habe sich in jeder Hinsicht unauffällig verhalten, einen | |
| Grund für die Kontrolle gebe es nicht. Verärgert zeigt er ihnen schließlich | |
| seinen Personalausweis. | |
| Er möchte aber auch die Dienstausweise der Polizisten sehen, da die Beamten | |
| in Zivil unterwegs sind. Erstaunt muss er feststellen, dass beide diese | |
| nicht dabei haben. Sethi lässt sich ihre Namen geben und steigt in seinen | |
| Zug, um nach Hause zu fahren. Dann beschwert er sich bei der Bundespolizei. | |
| Als die ihm in einer der taz vorliegenden Antwort selbst die Schuld an der | |
| Kontrolle gibt, nimmt Sethi sich einen Anwalt. Am 6. August 2014 geht seine | |
| Klage beim Verwaltungsgericht in Dresden ein. | |
| ## Er habe sich wie ein Dieb benommen | |
| Heute umfasst die Akte Sethi Hunderte Seiten, darunter Sethis | |
| Fahrkartenbelege und mehrere Anträge der zuständigen Bundespolizeidirektion | |
| Pirna, die „Stellungnahmefrist nochmals zu verlängern“, weil bis Anfang | |
| 2015 nur ein Justiziar zugegen sei, der dies bearbeiten könne. | |
| Wer gegen eine Bundespolizeidirektion und damit gegen eine Bundesbehörde | |
| vorgeht, klagt gleichsam gegen die Bundesrepublik Deutschland. Für | |
| gewöhnlich gibt es eine Klageschrift der Kläger, die entweder mit einer | |
| Anerkennung oder einer Klageerwiderung beantwortet wird. Die | |
| Klageerwiderung schreibt in einem solchen Fall dann ein juristischer | |
| Sachbearbeiter auf der Grundlage der Berichte, die ihm von den | |
| beschuldigten Beamten vorgelegt werden. | |
| Die ersten Berichte der von Kanwal Sethi angezeigten Bundespolizisten sind | |
| auf den 1. April 2014 datiert, also bereits einen Tag nach dem Vorfall am | |
| Bahnhof in Erfurt entstanden. „Die konnten sich ja denken, dass da noch | |
| etwas kommt, nachdem ich mir ihre Namen habe geben lassen“, sagt Sethi. Im | |
| Protokoll ihres Einsatzes ist tatsächlich von einer „zu erwartenden | |
| Dienstaufsichtsbeschwerde“ die Rede. Die Polizisten schreiben kurze, | |
| relativ neutral gehaltene Stellungnahmen, „in die man die Wahrheit | |
| wenigstens noch hineininterpretieren konnte“, sagt Sven Adam, Sethis | |
| Anwalt. | |
| Völlig anders verhält es sich jedoch mit der Darstellung in den zweiten | |
| Stellungnahmen, die der Justiziar der Bundespolizei in Pirna von den | |
| Beamten anforderte und für die Klageerwiderung nutzte. Plötzlich, so ist da | |
| zu lesen, soll Sethi sich so benommen haben, wie einer der Polizisten es | |
| bei „Taschendieben bei [seiner] langjährigen Tätigkeit als Fahndungsbeamter | |
| in der Kriminalitätsbekämpfung häufig festgestellt habe“. Sethi sei nach | |
| Erkennen der Polizeistreife plötzlich ausgewichen und habe seine | |
| „Bewegrichtung“ geändert. Diese Stellungnahmen wurden erst ein halbes Jahr | |
| nach dem Vorfall verfasst. | |
| ## Kopfschütteln im Sitzungssaal | |
| Die „Verwaltungsrechtssache Kanwal Sethi gegen die Bundesrepublik | |
| Deutschland“ kommt schließlich vor das Verwaltungsgericht in Dresden. Es | |
| ist Mittwoch, der 2. November 2016. Am Ende dieses Tages verlassen fast | |
| alle Beteiligten den Sitzungssaal kopfschüttelnd. | |
| Der Göttinger Anwalt Sven Adam, der ein Spezialist in | |
| Racial-Profiling-Verfahren ist, stellt zunächst allgemein gehaltene | |
| Fragen. „Wie haben Sie sich auf diesen Prozess vorbereitet?“, fragt er etwa | |
| einen der beiden Polizeibeamten. Nach und nach gesteht der Beklagte, die | |
| Stellungnahmen seines Kollegen vorher gekannt und quasi von ihm | |
| abgeschrieben zu haben. Die Stimmung im Sitzungssaal verschlechtert sich. | |
| Miteinander abgeglichene Berichte können nicht mehr neutral sein und damit | |
| als Beweismittel dienen. | |
| Die vorsitzende Richterin ist außer sich, als der zweite Beamte dann auch | |
| noch gesteht, „zur Vorbereitung auf die Zeugenaussage“ nach Pirna zitiert | |
| worden zu sein, gemeinsam mit seinem Kollegen. Anwalt Adam fragt: „Und | |
| worüber haben Sie da gesprochen?“ Plötzlich wird dem Beamten, dessen | |
| Heimatdienststelle sich im fränkischen Bayreuth befindet, sein Fehler | |
| bewusst. „Ach, nur so allgemein“, windet er sich. Da schaltet sich die | |
| Richterin ein: „Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie von Bayreuth | |
| nach Pirna zu einem ganz bestimmten Vorfall zitiert werden, um dann nur so | |
| allgemein zu sprechen?“ „Zu dem Inhalt des Gesprächs habe ich keine | |
| Erinnerung mehr.“ Dann schweigt er. | |
| Anfangs, glaubt Sven Adam, sei dem Beamten nicht klar gewesen, dass diese | |
| Aussage die gesamte Verhandlung ad absurdum führen würde. Doch | |
| abgesprochene Zeugenaussagen, bei denen von einem rechtskundigen | |
| Sachbearbeiter auch nur darauf hingewiesen wird, was wesentlich ist und was | |
| nicht, seien keine Beweismittel mehr, sagt die Richterin und schließt die | |
| Beweisaufnahme. | |
| ## Rechtswidrige Personalienfeststellung | |
| „Für diesen Fall haben wir nachgewiesen, dass bei der Bundespolizei | |
| Aussagen abgesprochen werden“, sagt Sven Adam. „Und auch wenn ich nicht mit | |
| Sicherheit sagen kann, dass es systematisch passiert, schätze ich das nach | |
| diesem Verfahren so ein“. | |
| Kanwal Sethi sagt: „Für mich persönlich wäre die Sache ja soweit erledigt, | |
| weil wir das Verfahren gewonnen haben. Aber was in der Hauptverhandlung | |
| rausgekommen ist, machte allen Anwesenden fassungslos. Die wiederholt | |
| rassistischen Kontrollen sind schlimm, aber das Absprechen von Aussagen mit | |
| solch einer Selbstverständlichkeit widerspricht jeglichem rechtsstaatlichen | |
| Verhalten und ist ein Skandal. Wenn die Bundespolizei gemeinsam mit ihrer | |
| Rechtsabteilung Zeugenaussagen abspricht und vielleicht auch miterfindet, | |
| um einen Bürger zu diffamieren, müsste das weitgehende Konsequenzen haben.“ | |
| Es ist Mittwoch, der 1. Februar 2017. Fast genau drei Monate nach dem | |
| Gerichtstermin erhalten Kanwal Sethi und Sven Adam das Urteil. Die | |
| „Personalienfeststellung“ des Klägers im März 2014 am Bahnhof in Erfurt s… | |
| rechtswidrig gewesen. | |
| Der Pressesprecher des Verwaltungsgerichts Dresden, Robert Bendner, | |
| erklärt: „Das Urteil besagt natürlich nicht, dass der Kläger zukünftig | |
| nicht mehr überprüft werden darf. Selbst wenn er tatsächlich noch mal in | |
| genau so eine Situation kommt, wird ihm das im Zweifel wohl wenig nützen. | |
| Man kann insoweit sicher nur hoffen, dass die Beamten etwas gelernt haben.“ | |
| Die Kosten des Verfahrens inklusive Sethis Anwaltskosten muss die | |
| Bundesrepublik übernehmen. | |
| ## Weitere Absprachen? | |
| Auch Sethis und Adams Vermutungen werden in dem Urteil bestätigt. Auf den | |
| Seiten sieben und acht ist zu lesen: „In Anbetracht der Tatsache, dass der | |
| Zeuge [Thomas S.] für dieses Gespräch im Rahmen einer Dienstreise von | |
| Bayreuth nach Pirna angereist ist, erscheint es nicht nachvollziehbar, dass | |
| es bei diesem Gespräch lediglich um eine Belehrung zu dem grundsätzlichen | |
| Ablauf der anstehenden Verhandlung gegangen sein sollte, sondern es ist | |
| nicht auszuschließen, dass bei dieser Gelegenheit auch der konkrete | |
| Sachverhalt eine Rolle gespielt hat. […] Weiterhin besteht allein durch das | |
| Stattfinden dieses Termins auch die Besorgnis, dass über Details Absprachen | |
| getroffen worden sind […]. Es ist auch nicht erforderlich, den ebenso am | |
| Gespräch beteiligten Justiziar der Beklagten zum konkreten Gesprächsablauf | |
| und -inhalt zu befragen, da bereits aufgrund der Angaben des Zeugen für die | |
| Kammer ein solcher Zweifel entstanden ist […].“ | |
| Die Bundespolizeidirektion Pirna wollte sich bis zur Urteilsverkündung und | |
| auch danach, trotz mehrmaliger Anfrage, nicht konkret zu dem Vorfall | |
| äußern. Auf die daher allgemein formulierte Frage der taz, ob es üblich | |
| sei, Beamte in die Polizeidirektion zu bestellen, um Aussagen | |
| „zusammenzuführen“, schickt ihr Pressesprecher folgende Antwort: „Die | |
| Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundespolizeidirektion Pirna | |
| unterliegen sowohl im Rahmen ihres Dienstverhältnisses gegenüber dem | |
| Dienstherrn als auch gegenüber dem verhandelnden Gericht im Rahmen der | |
| mündlichen Verhandlung in vollem Umfang der Wahrheitspflicht.“ | |
| Auf ein klares Nein konnte man sich in Pirna, auch nach gemeinsamer | |
| Absprache, offenbar nicht einigen. | |
| 5 Feb 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Hanna Voß | |
| ## TAGS | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Racial Profiling | |
| Bundespolizei | |
| Gericht | |
| Racial Profiling | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Dresden | |
| Black Lives Matter | |
| NRW | |
| Junge Freiheit | |
| Racial Profiling | |
| Schwerpunkt taz.meinland | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Rassistische Kontrolle der Bundespolizei: Straffrei und substanzlos | |
| Bundespolizisten hatten Zeugenaussagen im Fall Sethi abgesprochen. Straf- | |
| oder dienstrechtliche Konsequenzen gibt es aber nicht. | |
| Kommentar Antidiskriminierungsurteil: Wegweisender Richterspruch | |
| Ein öffentliches Hamburger Wohnungsunternehmen hat Bewerber nach Namen | |
| sortiert. Endlich gibt es ein Machtwort gegen strukturellen Rassismus. | |
| Kunst und Geschichte in Dresden: Debatte über Gedenken im Gange | |
| Dresden gedenkt der Zerstörung der Stadt vor 72 Jahren. Am Montag werden | |
| 10.000 Menschen bei einer Menschenkette für Frieden und Toleranz erwartet. | |
| Polizist schoss auf Geflüchteten: Mehr Schüsse als nötig? | |
| Ein Zivilpolizist schoss vergangene Woche auf einen Geflüchteten in St. | |
| Georg und verletzte ihn schwer. Die Polizei spricht von Notwehr, andere | |
| bezweifeln das | |
| Polizei rät Flüchtlingen vom Karneval ab: Rassismus in der 5. Jahreszeit | |
| Nach der Empfehlung an Flüchtlinge, dem Karneval fernzubleiben, hagelt es | |
| für die NRW-Polizei Kritik von allen Seiten. Nun rudert die Behörde zurück. | |
| Januar 2017 in rechten Medien: Rein in die rechte Blase | |
| „Nafris“, Trump und Höcke: Worüber haben rechte Medien im Januar | |
| diskutiert? Wir haben sie gelesen, damit andere es nicht tun müssen. | |
| Schauspieler über Racial Profiling: Hamlet mit Adjektiv | |
| Murali Perumal spielte Rosenverkäufer, Taxifahrer und Islamisten. Dann | |
| machte er den Mund auf. Was für ein Stigma ist seine Hautfarbe heute? | |
| Soziale Ausgrenzung durch „Othering“: Weg mit dem Müll | |
| Eine offene Gesellschaft braucht die ehrliche und kritische | |
| Auseinandersetzung mit Stereotypen. Allerdings auch mit den eigenen. | |
| Über Rassismus reden: Racial Profiling? Nö, wär doch illegal | |
| Nichtweiße Menschen geraten öfter in Polizeikontrollen? Offiziell gibt es | |
| das nicht in Deutschland. Betroffene haben andere Erfahrungen gemacht. |