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# taz.de -- Über Rassismus reden: Racial Profiling? Nö, wär doch illegal
> Nichtweiße Menschen geraten öfter in Polizeikontrollen? Offiziell gibt es
> das nicht in Deutschland. Betroffene haben andere Erfahrungen gemacht.
Bild: Von Racial Profiling Betroffene
Seit ich in Deutschland bin, wurde ich 23 Mal von der Polizei kontrolliert
– meist während ich zu Fuß unterwegs war, beim Joggen oder Spaziergang im
Park. Ich bin Journalistin und nach 23 Kontrollen wollte ich verstehen, wie
groß das Problem von Racial Profiling in Deutschland ist. Ich wandte mich
an Polizeibehörden und andere Stellen, ich schrieb über meine Erfahrungen
und Recherchen einen [1][Artikel, der auf der Webseite der
Rechercheplattform Correctiv erschien]. Ebenfalls dort rief ich vor ein
paar Wochen LeserInnen dazu auf, mir von ihren Erfahrungen mit Racial
Profiling in Deutschland zu berichten.
Etwa 700 Menschen haben auf meinen Aufruf reagiert – per E-Mail oder
Nachrichten auf Twitter und Facebook. Weil es bisher keine flächendeckenden
Daten zu diesem Thema gibt, sind die Ergebnisse erhellend. Aber sie sind
auch nur ein Ausschnitt dessen, was Menschen, die in Deutschland leben oder
zu Besuch sind, erfahren. Viele Berichte von Ereignissen etwa am Rande von
Großveranstaltungen erinnern an das Racial Profiling der Silvesternacht in
Köln. Andere erzählten von Kontrollen in ihrem ganz normalen Alltag.
Von den über 700 Rückmeldungen handelten mehr als 400 von persönlichen
Erfahrungen. Die anderen 300 waren Hassbotschaften: Leute schrieben, die
Recherche, auf der mein Correctiv-Text basierte, sei falsch und die Polizei
zu Recht hinter mir und den ganzen anderen „Illegalen“ her. Manche drohten
mir, Nazis hätten es auf mich abgesehen, ich solle „wieder in mein Land
zurückkehren“ und meine Türen verschließen, weil ich sonst womöglich
attackiert werden könnte. Manche Leute fragten mich, ob ich mir denn meiner
Nationalität sicher sei. Einer schrieb: „Ich hätte nicht gedacht, dass Sie
Amerikanerin sind. Ehrlich gesagt, sehen Sie viel mehr aus wie eine Asiatin
oder eine Afrikanerin.“ Diese Nachrichten befeuerten bloß meine Recherche
und Berichterstattung.
## Berichte und Hassmails
Leute schrieben mir aus vielen Städten Deutschlands – unter anderem aus
Hamburg, Mainz, Freiburg, Köln, Berlin, Karlsruhe und München. Sie
erzählten, wie sie von der Polizei angehalten und nach Drogen gefragt
wurden. Oder danach, ob sie schon einmal Ärger mit Behörden gehabt hätten.
Sie wurden nach ihrem Ausweis und Aufenthaltsstatus gefragt. Sechzig
Prozent derer, die in Reaktion auf meinen Aufruf persönliche Erfahrungen
berichteten, wurden schon einmal auf der Straße angehalten, 12 Prozent
davon gaben an, mindestens einmal die Woche kontrolliert zu werden.
Viele schrieben, dass sie sich freuten, mit ihren Erfahrungen nicht allein
zu sein. Es waren sehr persönliche Berichte. Viele baten darum, anonym zu
bleiben. Deshalb und aufgrund der Hassmails, die ich selbst bekommen habe,
werde ich im Folgenden nur Vornamen nennen.
Zum Beispiel schrieb mir Dennis, eine Mann aus Hamburg. Er ist in
Deutschland geboren und aufgewachsen. Seine Frau kommt aus Brasilien und
ist schwarz. Sie erwarten in ein paar Monaten ihr erstes Kind. Dennis macht
sich große Sorgen. „Wie oft wird mein Kind wohl diese dummen Fragen
beantworten müssen? Wie oft wird es Racial Profiling erleben oder die
Erfahrung machen, dass Menschen es anders behandeln, nur aufgrund seiner
Hautfarbe? Wie können wir ernsthaft behaupten, eine offene und freie
Demokratie zu sein, wenn konstant Menschen multiethnischer Herkunft, die
hier geboren sind, ausgeschlossen werden?“, fragt er.
Auch Caroline schrieb mir, sie ist Mutter von fünf Kindern, zwei von ihnen
kommen aus Sri Lanka. Caroline erklärte, dass ihre Tochter im Supermarkt
oft verdächtigt werde, etwas geklaut zu haben. Sie werde an Bahnhöfen und
in Restaurants angehalten. Als Mutter fühle Caroline sich hilflos. Sie sei
wütend, weil sie nicht viel tun könne, um ihre Tochter davor zu schützen.
Eine andere Frau – eine Asiatin aus Australien – schrieb, dass sie sich
einmal an der polnisch-deutschen Grenze ausweisen musste. Sie war auf dem
Rückweg von einem Ausflug. Die Polizisten hielten sie und zwei schwarze
Männer im Zug an. Der Zug war voll besetzt, die anderen Passagiere waren
weiß und wurden nicht kontrolliert. Auch nicht der weiße Ehemann der Frau.
Nach dieser Erfahrung verließ sie Berlin. Sie schrieb mir, dass der
Rassismus, den sie erlebt habe, ein entscheidender Beweggrund dafür gewesen
sei.
In einigen Zuschriften ging es um Kontrollen an Flughäfen. Dharmesh, der
aus Indien kommt und in Berlin wohnt, sagte, er fliege für seinen Job
regelmäßig innerhalb Deutschlands. In den letzten vier Monaten sei er jedes
Mal am Flughafen aus der Schlange gezogen und zur Sprengstoffuntersuchung
gebracht worden – nur er und keiner der weißen Passagiere. Drei- bis
viermal pro Woche sei ihm das geschehen.
Verschiedene NGOs und andere Organisationen, mit denen ich über das Thema
gesprochen habe – darunter die Vereinten Nationen, die Initiative Schwarze
Menschen in Deutschland und Amnesty International – empfehlen, dass sich
Deutschland mit dem Rassismus im Land auseinandersetzen und die
Polizeipraxis genau untersuchen muss. Sie alle sprachen davon, dass
Rassismus in der Polizei weit verbreitet sei und die Polizei Menschen mit
Migrationshintergrund unter Verdacht stellt.
In der Vergangenheit gab es einige Gerichtsverfahren, in denen
Ausweiskontrollen aufgrund der Hautfarbe verhandelt wurden. Mehr und mehr
Fälle wurden zugunsten der Opfer entschieden, wie zum Beispiel kürzlich am
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz. Ich sprach mit Sven Adam, der als
einer der Anwälte an dem Fall beteiligt war. Er sprach von zehn
unterschiedlichen Fällen, die gerade an verschiedenen Verwaltungsgerichten
laufen. Die Bundespolizei versuche oft Gründe vorzuschieben, indem sie
sagt, die Kontrolle sei notwendig gewesen, etwa weil die Person verdächtig
aus dem Fenster geblickt hätte oder zu schnell gelaufen sei. Doch vor
Gericht stelle sich oft heraus, dass dies gelogen oder nicht nachweisbar
sei, sagt Adam.
Ich habe der Polizei in allen sechzehn Bundesländern geschrieben und mich
nach den Vorschriften erkundigt, nach denen Personen kontrolliert werden.
Alle bis auf die Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern antworteten. Ich
fragte, ob Racial Profiling stattfände, ob es Daten über kontrollierte
Personen gebe und Trainings, in denen vermittelt werde, wann und wer zur
Personenkontrolle angehalten werden darf. Die Antworten waren immer gleich:
Nein, es gebe kein Racial Profiling, denn das sei illegal. Und ja, darüber
werde in der Polizeiausbildung aufgeklärt. Thomas Neuendorf, Sprecher der
Berliner Polizei, sagte, dass Verdachtskontrollen vorkämen, und wenn sich
der Verdacht nicht bestätige, werde die Kontrolle nicht dokumentiert.
## Genaue Anzahl der Beschwerden? Keine Auskunft
Einige Polizeipräsidien erklärten außerdem, dass sie gezielt Menschen mit
Migrationshintergrund einstellen würden, die ihre Erfahrungen in die Arbeit
einbringen. Es gebe Polizeibeamte mit interkulturellen Kompetenzen und
Diversity-Beauftragte, die die Polizeikräfte darüber informierten, wie mit
diesen Problemen umgegangen werden sollte.
In Bremen gibt es Fachtagungen zum Thema Ethnisches Profiling. Die Polizei
gehe dort proaktiv mit dem Thema um und arbeite mit Organisationen
zusammen, die MigrantInnen unterstützen. Wenn die Polizei jemanden anhält,
dann nur, weil sie auch einen Grund dafür hat. Mit anderen Worten: Die
Person sieht einer verdächtigen Person ähnlich. In allen Bundesländern gibt
es Beschwerdestellen der Polizei.
Doch Auskunft über die Anzahl der Beschwerden wollte mir niemand erteilen.
Das Thema wird auch auf europäischer Ebene diskutiert. 2014 empfahl die
Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) den deutschen
Behörden, Racial Profiling zu verbieten und den Aktionsplan gegen Rassismus
und Intoleranz zu aktualisieren. Dies war seit 2008 nicht mehr geschehen.
Meine Recherche hat mir eines gezeigt: Die Polizei in Deutschland muss
anerkennen, dass sie ein Problem hat. Sie muss beginnen, Daten zu erfassen,
um wirklich zu verstehen, wie verbreitet dieses Problem ist. Bis dahin wird
es weiter Racial Profiling geben und es wird sehr schwierig sein, genau zu
sagen, wie viele Menschen davon betroffen sind. Menschen, die sich
betroffen fühlen, sollten sich an Organisationen wie Amnesty International
oder die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland wenden. Denn die
arbeiten aktiv daran, die Rechte von People of Color in Deutschland zu
verteidigen.
Übersetzung: Amna Franzke
24 Jan 2017
## LINKS
[1] https://correctiv.org/recherchen/flucht/artikel/2017/01/03/racial-profiling…
## AUTOREN
Sandhya Kambhampati
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