Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- RebellComedy über Racial Profiling: „Comedy entsteht aus Schmerz…
> Die Mitglieder der Gruppe RebellComedy haben unterschiedliche
> Backgrounds. Deutsche können von ihnen was lernen.
Bild: Benaissa Lamroubal (M.) und andere Mitglieder der Gruppe RebellComedy
taz.am wochenende: Herr Lamroubal, seit der letzten Silvesternacht regen
sich viele über den Begriff „Nafri“ auf. Am 1. Januar hat Ihre Gruppe
RebellComedy [1][das Video „Du bist mein Visum“ rausgebracht]. Da tanzt
nachts ein Mann im Michael-Jackson-Look eine Frau an, bedrängt sie und
singt „Du bist mein Visum“. Was haben Sie sich denn dabei gedacht?
Benaissa Lamroubal: Die Message ist: Michael Jackson hätte auch
Nordafrikaner sein können, die Locken, der Teint. Und dann ist er auch noch
einer, der nachts Frauen antanzt – also zumindest in [2][seinem Video „You
make me feel“]. Keiner hat sich darüber aufgeregt, dass im Video zig Leute
im Ghetto nachts einer Frau nachjagen. Also wenn man das heute noch mal
sieht mit diesem Silvestergedanken im Hinterkopf, dann kann man nur denken:
Michael Jackson muss Nordafrikaner gewesen sein.
In wenigen Tagen hatte das Video über eine halbe Million Klicks. Haben Sie
mit so einem Erfolg gerechnet?
Nein, überhaupt nicht. Es sollte sich einerseits an diejenigen richten, die
glauben, dass man Nordafrikaner profilen könnte. Aber es war auch ein
Insider für alle, die das Thema Scheinehe kennen.
Scheinehe?
Marokkaner haben hier in der Regel keinen Anspruch auf Asyl. Die meisten
Marokkaner, die hier leben, sind in den siebziger Jahren als Gastarbeiter
nach Deutschland gekommen – so wie mein Vater. Aber ein großer Teil kam
auch über Scheinehen. Deutsche Frauen sind also der ausschlaggebende Punkt
dafür, dass sie jetzt hier sind. In Marokko ist allgemein bekannt, dass
sich deutsche Frauen gegen Geld für eine Scheinehe anbieten. Darauf wollten
wir in unserem Video „Du bist mein Visum“ aufmerksam machen.
Aber die Frau in ihrem Video ist ja nicht irgendeine Frau, sondern Frauke
Petry. Es geht um sexuelle Belästigung, Flüchtlinge, Scheinehe und Frauke
Petry. Hatten Sie keine Bauchschmerzen, diese ganzen Themen zu mischen?
Nee, das hat uns eher angezogen.
Warum ausgerechnet Frauke Petry?
Die kennt halt jeder und ich hab auch nichts gegen sie, für diese Rolle
schien sie einfach perfekt zu sein.
Sie haben nichts gegen die AfD und Frauke Petry?
Frauke Petry ist eine intelligente Frau. Ich würde die AfD nie wählen, aber
die Partei kommt grad gut an, die haben richtig Hunger, da könnten andere
Parteien mal nachlegen.
Haben Sie eine Reaktion von der AfD bekommen?
(Lacht) Nein, wir kriegen eher Kritik von Leuten, die die AfD wählen. Da
merkt man auch, dass diese Leute noch viel dümmer sind als das
Parteiprogramm.
Ich hab mal die Kommentare unter dem Video gelesen. Da kriegen Sie von
allen Seiten etwas ab, auch von Muslimen …
Ja, ja, die Extremen aus jeder Gruppe. Wir haben ja auch viele Dumme. Wenn
wir eine AfD hätten – also „Ausländer für Deutschland“, dann gäbe es …
viele, die das wählen würden. Im Video heißt es ja zum Beispiel „Für dich
esse ich sogar Schweinefleisch“, und dann kommen Kommentare wie „Nein,
Schweinefleisch ist haram“ – die verstehen den Humor dahinter überhaupt
nicht.
Macht Ihnen das Angst?
Nein, das ist gleich Stoff fürs nächste Comedyprogramm. Es gibt nichts
Witzigeres als Menschen, die sich über Witze aufregen.
Hatten Sie keine Bedenken, dass das Video Frauen verletzen könnte, die
sexuelle Gewalt erfahren haben, oder Menschen, die tatsächlich ein Visum
brauchen?
Nein, wenn ich ein politisches Statement machen müsste, dann hätte ich
Berührungsängste. Aber das ist Comedy. Wir fordern ja keine Männer auf,
Frauen zu bedrängen. Ich finde, zwischen dem ganzen Sichaufregen kann man
ruhig einmal lachen. Das ist Rumalbern, auch wenn es ein politisches Thema
ist.
Wie kam es zu dem Video?
Ich hab mich schon früher mit dem Thema Scheinehe auseinandergesetzt, und
ein Bühnenprogramm von mir endet mit dem Satz: „Martina, du bist mein
Visum.“ Der Satz ist intern zu einem Running Gag geworden, und das Lied von
Michael Jackson haben wir immer gehört, und so ist das alles zufällig
entstanden.
Aber es war kein Zufall, dass Sie das Video ausgerechnet am 1. Januar
veröffentlicht haben.
Nein, das war natürlich geplant. Und wir verstehen es auch als ein
Geburtstagsgeschenk an viele Einwanderer. Viele kennen ihr genaues
Geburtsdatum nicht, weil das in ihren Heimatländern keine Rolle spielt.
Aber auf einem deutschen Amt muss man trotzdem ein Datum angeben. Deshalb
haben in der ersten Gastarbeitergeneration viele offiziell am 1. Januar
Geburtstag. Mein Vater zum Beispiel auch.
Sie sind ja in Marokko geboren, aber mit einem Jahr nach Deutschland
gekommen. Was halten Sie eigentlich von dem Begriff „Nafri“?
Wäre der Begriff in einem anderen Kontext entstanden, hätte ich vielleicht
nicht so große Probleme damit. Aber er steht direkt im Zusammenhang mit
Silvester 2015 und den Ausschreitungen in Köln. Jetzt werden viele in eine
Schublade mit den Straftätern gesteckt, und Racial Profiling wird mit
diesem Ereignis gerechtfertigt. Die Polizei behauptet ja, sie wüsste genau,
wie ein Nordafrikaner aussieht. Aber die Straftäter hatten sich teils über
die Balkanroute eingeschleust und als Syrer ausgegeben. Da hat die Polizei
sie nicht als Nordafrikaner erkannt. Viele der Migranten aus Marokko, die
schon länger hier sind, sind hier gefestigt und gut integriert. Das Thema
„Nafri“ schmeißt uns zurück auf null.
Jetzt mal ehrlich, benutzen Sie das Wort „Nafri“ im Freundeskreis
untereinander?
(Lacht) Nee, wirklich nicht. Das ist so wie mit dem Wort „Kanake“. Viele
denken, wir benutzen das Wort ständig unter uns. Aber wir benutzen das Wort
auf der Bühne, um gesellschaftlich eine Wahrnehmung zu spiegeln. Aber im
normalen Sprachgebrauch wäre das für mich wie ein Fremdkörper, ein
Störfaktor.
Apropos „Kanaken“: Sie haben in einer Comedyshow mal einen Test
vorgestellt, mit dem man entscheiden kann, ob man Deutscher oder „Kanake“
ist. Also alle, die mit einem gültigen Ticket fahren und trotzdem Schiss
kriegen bei einer Kontrolle – das sind ganz klar „Kanaken“.
Ja, aber das bezieht sich eigentlich nicht nur auf die Herkunft. Es gibt
auch viele deutsche Kanaken.
Was sind denn „deutsche Kanaken“?
Menschen, die in der gleichen sozialen Schicht aufgewachsen sind, in der
Unterschicht, dort, wo die meisten Gastarbeiter halt landen, wenn sie in
einem Land neu anfangen. Bei uns gab es da auch viele Deutsche, und die
ticken genauso, das sind deutsche Kanaken. Umgekehrt gibt es aber auch
viele Ausländer, die so gut integriert sind, dass da überhaupt nichts
Kanakisches mehr ist. Die sind 100 Prozent deutsch.
Und was sind Sie?
Ich bin beides, eine Koexistenz geht auch. Ich hab auch zwei Pässe. Also
ich bin auf dem Papier, aber auch innerlich deutsch und marokkanisch.
Hat dieser „Kanaken-Test“ etwas mit Ihrer Erfahrung mit der Polizei zu tun?
Ja, absolut. Wir haben eine Reflexangst vor der Polizei. Wir sind es
gewohnt, kontrolliert zu werden, völlig willkürlich, dass uns die Polizei
auf offener Straße die Schuhe auszieht und uns durchsucht. Man kann sich in
der Situation auch nicht wehren. Im Nachhinein könnte man sich vielleicht
einen Anwalt nehmen. Aber das habe ich nie gemacht.
Und wurden Sie schon oft so kontrolliert?
Locker 50 Mal in meinem Leben.
Das sind vermutlich keine Situationen, über die man lacht.
Nicht in dem Moment, aber im Nachhinein. Ich glaube, Comedy entsteht aus
Schmerz. Das Lachen im Nachhinein ist wie ein Signal vom Körper, okay, wir
müssen hier etwas reparieren.
Sie wollten eigentlich Grundschullehrer werden. Sie haben angefangen,
Deutsch und Englisch auf Lehramt zu studieren, bevor es mit Comedy losging.
Bringen Sie denn heute Ihrem Publikum etwas bei?
Ja, gerade Deutsche, die wenig Berührung mit Ausländern oder Menschen mit
Migrationshintergrund haben, können bei unseren Shows viel lernen. Wir
bringen ja viel Insiderwissen aus verschiedenen Communitys auf die Bühne.
Die Comedians bei RebellComedy haben alle einen unterschiedlichen
Background, manche sind als Flüchtlinge gekommen, manche als Gastarbeiter,
andere sind hier geboren.
Mir ist aufgefallen, dass Sie oft das Wort „Wir“ benutzen. Mal meinen Sie
Ihre Gruppe, mal „Wir Ausländer“, mal „Wir Marrokaner“ – ganz
unterschiedlich.
Ja, es kommt auf den Kontext an. Es kann marokkanisch, aber auch deutsch
meinen. Mein „Wir“ kann wandern, es teilt nicht endgültig in Wir und Ihr.
15 Jan 2017
## LINKS
[1] https://youtu.be/99PWZR5KZbo
[2] https://www.youtube.com/watch?v=HzZ_urpj4As
## AUTOREN
Jasmin Kalarickal
## TAGS
Comedy
WDR
Racial Profiling
Lesestück Interview
Kabarett
Racial Profiling
Schwerpunkt Rechter Terror
Lesestück Recherche und Reportage
Youtube
heute show
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kabarettist Herbert Feuerstein ist tot: Deutschland verliert an Witz
Der Kabarettist Herbert Feuerstein ist im Alter von 83 Jahren gestorben. An
der Seite von Harald Schmidt schrieb er deutsche Comedy-Geschichte.
Schauspieler über Racial Profiling: Hamlet mit Adjektiv
Murali Perumal spielte Rosenverkäufer, Taxifahrer und Islamisten. Dann
machte er den Mund auf. Was für ein Stigma ist seine Hautfarbe heute?
Rassismus und Polizei: Die Blindheit der Ermittler
Schüler in Walle haben die Wanderausstellung „die Opfer des NSU“ nach
Bremen geholt. Die Beschäftigung mit den Morden hat ihren Blick verändert
Bundespolizei und Racial Profiling: Warum wird nur er kontrolliert?
Ein Mann soll sich ausweisen. Weil er schwarz ist, sagt er. Weil es nach
Marihuana riecht, sagt die Polizei. Unsere Autorin sagt als Zeugin vor
Gericht aus.
YouTuber im Kino: Minimale Formate, maximaler Ruhm
YouTuber wie PewDiePie oder das Comedy-Team Smosh sind heute bekannter als
Hollywood-Stars. Trotzdem zieht es einige von ihnen ins Kino.
Satire-Formate im ZDF: Lachen ja, aber bitte ernsthaft
„Die Anstalt“ und die „heute-show“ sind mehr als nur Schenkelklopfer f�…
besser Informierte. Sie versorgen ein politikfernes Publikum.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.