# taz.de -- YouTuber im Kino: Minimale Formate, maximaler Ruhm | |
> YouTuber wie PewDiePie oder das Comedy-Team Smosh sind heute bekannter | |
> als Hollywood-Stars. Trotzdem zieht es einige von ihnen ins Kino. | |
Bild: Felix Arvid Ulf Kjellberg aka PewDiePie posiert auf dem roten Teppich, Si… | |
Neulich war Sascha Lobo gemeinsam mit Kelly a.k.a. MissesVlog bei Marie | |
Meimberg zu Gast. Jemand hatte das auf Facebook verlinkt, klang | |
interessant, war interessant, gerade weil mir von den dreien nur Sascha | |
Lobo was sagte, der Mann mit dem Iro, der seit Jahr und Tag den digital | |
nicht so Nativen das Netz und die Folgen erklärt. | |
Marie Meimberg, die ich nicht kannte, hat beim YouTube-Vermarkter | |
Mediakraft gearbeitet, macht Musik und [1][hat einen recht erfolgreichen | |
YouTubekanal]. Unter anderem lädt sie dort unter dem Titel „Maries | |
Stammtisch“ im Tresenambiente zu Themen wie „Ehe für alle“ oder | |
„Flüchtlinge“ Leute zum Talk, die man außerhalb von YouTube oftmals nicht | |
kennt. | |
Sascha Lobo hatte in der Sendung seinerseits ein offen eingestandenes | |
Fremdheitserlebnis: Er hat von den Stars mit ihren | |
Millionen-Abonnenten-Accounts – [2][zu denen auch Kelly gehört] – meist | |
nicht mehr als den Namen gekannt, den von [3][Superstar Dagi Bee] sprach er | |
prompt und zum Amüsement der beiden Anwesenden auch noch falsch aus. | |
Umgekehrt gilt das übrigens auch: Lobo war Kelly Vlog nicht wirklich ein | |
Begriff. Man kam trotzdem ganz gut ins von Lobo allerdings dominierte | |
Gespräch. Wer sich für das Internet von gestern und das von heute | |
interessiert, sollte das sehen. | |
Klar, von Le Floid kann man als Altmediennutzer inzwischen wissen, der | |
hatte es schon [4][vor dem Interview mit Angela Merkel] in | |
außer-youtubische Aufmerksamkeitssphären geschafft. Was auch daran liegt, | |
dass er einer der wenigen ist, die sich im üblichen frontalen | |
Single-Kamera-Monolog-Format überhaupt zu Gesellschaft und Politik äußern. | |
Aber Dagi Bee und Kelly, die Schminktippmädchen und Haulpräsentatorinnen, | |
die Let’s-Play-Videospiel-Kommentatoren und die Witzemacher und | |
Sketchproduzenten mit ihren oft in die Millionen gehenden Zuschauern und | |
Abonnentinnen? Es gibt eben tatsächlich ein Innerhalb und ein Außerhalb von | |
YouTube, die meisten YouTuber, die in ihrer Zielgruppe Superstars sind und | |
im richtigen Leben Menschenaufläufe von kreischenden Teenies verursachen, | |
sind für den Rest der Welt einfach niemand. | |
Aber für die Zielgruppe sind sie richtige Stars. Eine Umfrage, die das | |
Filmbranchenblatt Variety im letzten Jahr in den USA in Auftrag gab, kam | |
zum Ergebnis: Unter den 13- bis 18-jährigen sind die YouTuber in so | |
ziemlich jeder Hinsicht beliebter und bekannter als die Stars aus Film und | |
Fernsehen. Das an der Spitze der Bekanntheit liegende [5][Comedy-Team | |
Smosh] übertrifft die Werte von Jennifer Lawrence oder Johnny Depp sehr | |
deutlich. Der prominenteste Hollywood-Star auf Platz sechs lebt, böse | |
Ironie, schon nicht mehr: Es ist der „Fast and Furious“-Protagonist Paul | |
Walker. Kein Zufall, dass die Umfrage von Variety kam: Hollywood macht sich | |
Sorgen, es könnte den Anschluss verpassen. | |
## Grenzenlose Fragmentierung | |
Aber auch die Zielgruppe ist in sich differenziert, das versteht sich von | |
selbst, die Welten der Let’s-Play-Fans (tendenziell männlich) und die der | |
Haul-Guckerinnen (tendenziell weiblich) überschneiden sich wenig. Robert | |
Kyncl, der Boss der Google-Tochter YouTube, beschreibt das selbst so: „In | |
der vernetzten Welt ist auf den Regalen unbegrenzt Platz, aber auch die | |
Fragmentierung ist grenzenlos. Die Superfans wissen alles über die | |
Menschen, für die sie sich interessieren. | |
In der Zukunft wird es weniger Überschneidungen geben, weniger Stars, die | |
auch sonst jeder kennt. PewDiePie hat 32 Millionen Abonnenten – aber die | |
meisten haben noch nie von ihm gehört.“ PewDiePie ist ein schwedischer | |
Let’s-Play- und Gameplay-YouTuber; das Zitat stammt aus einem | |
New-Yorker-Artikel vom vergangenen Dezember, die Zahl ist nicht mehr | |
aktuell, sie liegt jetzt bei über 38 Millionen. | |
Bei aller Differenzierung: Jung sind sie fast alle, Teens, Twens, die | |
wachsen da auch schnell wieder raus, die meisten YouTuber sind mutmaßlich | |
Wegwerfstars, aktuell ist unklar, wie sich eine solche Karriere verstetigen | |
ließe. Macht erst einmal nichts, für die Werbung sind diese Stars hoch | |
attraktiv. Sie haben meistens nicht die mindesten Berührungsängste mit dem | |
Kommerz, beim Haul – also dem Video über Fashion- und andere Einkäufe – | |
geht es ja gerade um die Marken, den Style, die Personality, die sich über | |
Brands selbst brandet. | |
## Direkt ins Lachzentrum von Zwölfjährigen gezielt | |
Und von der Aufmerksamkeit, vom Geld, von den Distinktionen hätten viele | |
gern etwas ab, nicht zuletzt die Filmindustrie. Und auch umgekehrt: | |
YouTuber fühlen sich als Upstarts und Underdogs, den Glam des Kinos, von | |
Hollywood hätten sie gerne auch. Brittany Furlan ist einer der | |
erfolgreichsten Stars auf Vine, aber sie gibt offen zu: „Die ganzen | |
Vine-Stars wollen nicht hier versacken. Wir wollen ins Fernsehen, ins Kino | |
– obwohl wir ironischerweise doch mehr Zuschauer haben als die.“ | |
Vine ist in Deutschland noch nicht so big, ein Minimalvideoformat, das | |
passenderweise zu Twitter gehört: Sechs Sekunden, mehr geht da nicht. In | |
den USA ist das trotzdem enorm populär, man kann auch staunen, was an | |
Anspielungen und (Eigen-)Bezügen so alles möglich ist in dem Format. Die | |
mit insgesamt über 6 Milliarden Abrufen wohl populärste Vinerin Lele Pons | |
produziert erstaunlich hoch verdichtete Sketche, die den Vorzug haben, das | |
mehrmalige Sehen zu provozieren – nicht umsonst heißen die Abrufe bei Vine | |
deshalb „Loops“. | |
So richtig ins Kino geschafft haben es bislang allerdings die wenigsten. | |
Klar, es gibt auf YouTube auch eigenproduzierte Webserien, wiederkehrende | |
Figuren, Sketchformate. Besonders berühmt und viel abonniert ist in | |
Deutschland etwa Freshtorge (mit bürgerlichem Namen Torge Oelrich), der mit | |
einzelnen Sketchvideos um die extrem begriffsstutzige Schülerin Sandra | |
(gespielt von Freshtorge) Abrufzahlen von über 12 Millionen hat. | |
Das ist total albernes Zeug, professionell billig gemacht, jetzt auch nicht | |
unbedingt blöder als Bully, aber doch sehr direkt ins Lachzentrum von | |
Zwölfjährigen gezielt. Oelreich hatte freilich weiter reichende Ambitionen, | |
das Ergebnis lässt sich aktuell unter dem sinnbefreiten Titel | |
„Kartoffelsalat“ in deutschen Kinos betrachten. | |
Es wimmelt in diesem Film von deutschen YouTubern, meist in | |
Sprechrollen-Häppchen; als Mann aus ganz anderen Zeiten mischt Otto Waalkes | |
mit, seine Firma Transwaal hat sogar koproduziert. Das Genre: Schulkomödie | |
meets Zombies, das Ganze wird aus nicht näher genannten Gründen mit einer | |
Reihe von Anspielungen auf „Breaking Bad“ serviert. Heraus gekommen ist ein | |
jämmerlich witzloser Film, der am ehesten an die zum Glück ziemlich | |
vergessenen Tiefpunkte von Didi Hallervordens Kinokarriere oder auch die | |
Lümmel-Filme der Siebziger erinnern. | |
## Mantel des Schweigens über „Kartoffelsalat“ | |
Was auch größere Teile der Zielgruppe nicht anders sehen. Die | |
Besucherzahlen sind mit bislang 240.000 alles andere als übel, aber selbst | |
auf YouTube sind die Kommentare teils gar nicht freundlich, und in der | |
Internet Movie Database liegt „Kartoffelsalat“ bei genau einem Stern (von | |
zehn möglichen): zu recht, man breitet am besten den Mantel des Schweigens | |
über dieses Desaster. | |
Und blickt noch einmal nach Amerika, wo es ein anderer Deutscher mit dem | |
Crossover schlauer angestellt hat. Flula Borg heißt der Mann, kommt aus | |
Franken, was man seinem Amerikanisch auch anhört. Im Vergleich etwa zum | |
coolen Schwulenaktivisten Tyler Oakley, der es bis in die Talkshow von | |
Ellen DeGeneres schaffte und mehr als 7 Millionen Abonnenten hat, nehmen | |
sich Borgs 600.000 recht kümmerlich aus. | |
Allerdings hat er sich mit einem eigenwilligen Format die Aufmerksamkeit | |
Hollywoods gesichert. Er kapert auf seinem Kanal nämlich das Genre des öden | |
Promo-Interviews mit Hollywood-Stars, fordert sie dabei auf, bestimmte | |
Worte und Sätze zu sagen und Geräusche zu machen und remixt das dann flott | |
und gekonnt zu Spoken-Word-Performances. | |
Stars wie Susan Sarandon, Amy Schumer und Will Ferrell machen das (mehr | |
oder weniger) freiwillig mit. Der Trick hat geklappt: Flula Borg ist | |
gelandet, wo viele der YouTuber landen wollen, nämlich im Film. Im extrem | |
erfolgreichen Sequel des Comedy-Musicals „Pitch Perfect“ hatte er dieses | |
Jahr eine kleine Nebenrolle als ein gewisser Pieter Krämer. Prompt führte | |
ihn der Hollywood Reporter kürzlich unter den 25 Top Digital Stars. Da | |
passt am besten das Wort, mit dem Borg seine Interviews zum Schrecken der | |
Gegenüber stets lautstark beginnt: BOOM! | |
14 Aug 2015 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/user/mariemeimberg | |
[2] https://www.youtube.com/user/MissesVlog | |
[3] https://www.youtube.com/user/Dagibeee | |
[4] /Youtube-Star-trifft-Kanzlerin/!5213065/ | |
[5] https://www.youtube.com/user/smosh | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
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